1940: »Kein mathematisches Modell kann das Erscheinen einer Innovation vorausberechnen. Der technologische Wandel wird jedes mögliche Gleichungssystem kollabieren lassen.«
John von Neumann, Mathematiker an der Princeton University
Unsere verpassten Zukünfte
Überall wurde in den sechziger Jahren mit Hochdruck an der Zukunft gearbeitet. Ja, es gab nicht mehr nur eine Zukunft, sondern jede Menge Zukünfte. Sie wurden in zumeist spektakulären Szenarien festgehalten. Dabei griff zum Beispiel 1969 der kalifornische Biologe Paul Ehrlich von der Stanford University zur Feder und berichtete in Form einer Reportage direkt aus der Zukunft, indem er aktuelle, tatsächliche Ereignisse intuitiv und visionär verlängerte. So entstand ein imponierendes, anschauliches Horrorszenario einer totalen Umweltzerstörung.Mit Hilfe von Analogien aus der Geschichte versuchte der Historiker Arnold Toynbee die Zukunft zu gestalten. Er forderte 1965 angesichts der immensen Herausforderung durch Atombomben, Wettrüsten und Überbevölkerung in Indien und China - die Errichtung eines Weltstaates (ähnlich dem Römischen Reich) - mit einer eigenen Weltreligion (vergleichbar mit der Christianisierung unter Karl dem Großen). Er nannte seine Glaubensrichtung »Religion Koexistenz«. Dabei waren ihm die westlichen Religionen, die maßgeblich am wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Aufstieg des Westens seit der Renaissance mitgewirkt hatten, nicht attraktiv genug. Sein allmächtiger, allwissender und allgegenwärtiger Gott war ihm zu eifersüchtig und intolerant. Buddhismus oder Hinduismus waren daher seine Favoriten.
Das waren indes mehr feuilletonistische Versuche, die Zukunft zu bestimmen. Sehr viel optimistischer und naturwissenschaftlicher war in ihren Vorhersagen die kalifornische Rand Corporation, eine regierungsnahe Denkfabrik.
1964 entwarf sie mit Hilfe der Wissenschaftsgemeinde eine minutiöse »Langfrist-Vorhersage« auf das 21. Jahrhundert. Es war eine gewaltige Wette auf die Zukunft, in die 82 Experten mit ihren Prognosen einstiegen. Angewandt wurde dabei eine Methode, die sie wegen ihres orakelhaften Ansatzes »Delphi« nannten. 2000 und so weiter. Den Fachleuten wurden dabei Fragebogen zugesandt, in denen sie angeben sollten, wann sie das Eintreffen einer bestimmten Neuerung für möglich hielten. Anschließend wurden die Ergebnisse von der Denkfabrik zusammengetragen, konsolidiert und den Experten zur nochmaligen Überprüfung zugestellt. Durch dieses Feedback konnte der einzelne Wissenschaftler seine eigene Ansicht nochmals korrigieren und sich zur Gruppenmeinung positionieren. Dreimal wurde dieser Feedback-Prozess durchlaufen, bis die Zukunft feststand. Herauskam ein bunter Kaleidoskop der – wie wir heute schon absehen können – genialen Fehlprognosen.
Sie seien hier aus dem Delphi-Projekt und anderen Studien der sechziger Jahre zusammengetragen.
1975: Zu diesem Zeitpunkt ist das Büro der Zukunft bereits automatisiert. Die Wettervorhersage ist exakt. Weiterbildung gilt als ein angesehener Zeitvertreib. Einsatz von biologischen Waffen im Krieg.
1978: Computer übersetzen in korrekter Grammatik fremdsprachige Texte. Bemannter Flug zum Mars und zur Venus.
1979: Bei ihrer Entscheidungsfindung bedient sich das Management elektronischer Systeme, die ihm mit Rat und Tat zur Seite stehen. 1982: Errichtung einer permanenten Mondbasis mit einer zehnköpfigen Besatzung.
1983: Allgemeiner Verbrauch von Psychodrogen wie LSD und Marihuana.
1985: Die kontrollierte Kernfusion gelingt. Somit ist der Energiemangel behoben, die Risiken der Atomtechnik sind besiegt. Landung auf dem Mars und glückliche Rückkehr.
1987: Wetterkontrolle wird anwendbar.
1988: Allgemeiner Einsatz von Dienstleistungsrobotern. Sie machen sich im Haushalt nützlich, übernehmen Drecksarbeiten wie Müllabfuhr und Inspektion von Kanalisationsnetzen.
1990: Herstellung von Treibstoffen und Rohstoffen auf dem Mond. Erzgewinnung vom Meeresboden.
1994: Impfschutz gegen alle Bakterien- und Virenerkrankungen.
1997: Weiterbildung durch direkte Informationseinspeisung ins Gehirn. Durch die elektronische Kommunikation entsteht eine Weltsprache.
2000: In den USA und Europa werde es jeweils 350 Millionen Privatfahrzeuge geben. Überschallflüge verkürzen eine Luftreise zwischen London und Sydney auf 60 Minuten. Die Ozeane werden agrarwirtschaftlich kolonialisiert. Die Erdbevölkerung verdoppelt sich auf sechs Milliarden Menschen.
2006: Auf dem Mars wird für eine zehnköpfige Besatzung eine permanente Bodenstation errichtet.
2020: Der Alterungsprozess beim Menschen wird so verlangsamt, dass die Lebenserwartung um fünfzig Jahre steigt. Bemannte Landung auf den Monden des Jupiters. Tiefschlaf erlaubt es Menschen, sich auf eine neue Form der Zeitreise zu begeben – hinein in die weitere Zukunft.
2022: Telepathie wird als eine ernsthafte Methode erwogen, um mit außerirdischen Lebewesen kommunizieren zu können.
2040: Die Züchtung intelligenter Tiere wie Affen und Delphine gelingt. Sie sollen einfache menschliche Arbeiten verrichten.
2050: Nachrichtenkontakt mit Aliens. Die Schwerkraft lässt sich in ersten erfolgsversprechenden Ansätzen kontrollieren.
Wir kennen die Zukunft – zumindest bis zum Jahr 2012. Eigentlich kann man nur erstaunt sein darüber, was sich die Menschen der sechziger Jahre uns und sich selbst alles zugetraut haben. Was nicht ist, kann ja zumindest noch werden. So meinte 1966 der britische Starprophet Arthur C. Clarke in seinem Buch »Im höchsten Grade phantastisch«, dass es »beim gegenwärtigen Tempo des Fortschritts unmöglich« sei, sich irgendeine »technische Errungenschaft vorzustellen, die, wenn sie überhaupt realisierbar ist, nicht auch in den nächsten fünfhundert Jahren verwirklich werden könnte.« Vielleicht werden wir es erleben...
2 Kommentare:
Nicht einmal die relativ einfache Prognose zur Entwicklung der Weltbevölkerung stimmte :-(
Innovationen lassen sich nicht als Trend aus der Vergangenheit ableiten. Denn dann wären es keine Innovationen, sondern lang- oder auch kurzweilige, normale Entwicklungen
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