Samstag, 23. März 2024

Zum Tage

 „Ich kann die Achtung aller Menschen entbehren, nur meine eigene nicht.“

Otto von Bismarck (1815-1898), kleindeutscher Politiker

 

Freitag, 22. März 2024

Zum Tage

 

„Schlechte Staatsdiener werden von guten Bürgern gewählt, die nicht wählen.“

George Jean Nathan (1882-1958), amerikanischer Autor

Donnerstag, 21. März 2024

Zum Tage

 „Demagogen sind Leute, die in den Wind sprechen, den sie selbst gemacht haben.”

Helmut Qualtinger (1928-1986), österreichischer Kabarettist und Autor

Mittwoch, 20. März 2024

Zum Tage

 „Ein angeknurrter Hund knurrt wieder, ein geschmeichelter schmeichelt zurück.“

Arthur Schopenhauer (1788-1860), deutscher Philosoph

Dienstag, 19. März 2024

Zum Tage

 »Unterwerfet Euch nun Gott, widersteht dem Teufel.«

Jacobus, Apostel und „Bruder von Jesus' (4 v.Chr. bis 62 n.Chr.) , Neues Testament

Montag, 18. März 2024

Zum Tage

 

1954: »Allein das Problem, ein Schachspiel mit allen Möglichkeiten vorauszurechnen, würde auch mit den besten Maschinen eine 175stellige Zahl von Jahrtausenden beanspruchen.«

Heinz Zemanek (19202014), österreichischer Computerpionier


Sonntag, 17. März 2024

Gedankenexperimente aus tausend und einer Seite (Teil 12)

Welt der Befehle

Von Raimund Vollmer 

 

2000: »Ist das Internet Freund oder Feind des Kapitalismus?«

The Wall Street Journal am 27. Juli 2000

 

Wir entdeckten die Sprache. Irgendwann. Und die Sprache entdeckte uns. Der erste Schritt.

Wir entdeckten das Bild. Vor 40.000 Jahren schmückten wir unsere Höhlen mit Malereien. In ihnen sahen wir alles. Sie sind uns seitdem Glaube, Träume, Wissen, Kunst.

Wir erfanden die Schrift. Vor 5000 Jahren gaben wir damit unserem Verstand ein externes Gedächtnis. Zum geschriebenen Wort gesellte sich die Zahl.

Schließlich entdeckten wir die Welt der Daten und deren Verarbeitung. Die Maschine kam ins Spiel. Vor 400 Jahren – in Gestalt einer astronomischen Rechenuhr. Um 1623 ganz nebenbei von einem Professor für biblische Sprachen erfunden, von Wilhelm Schickhardt aus Tübingen, wird sie seitdem permanent neu erfunden. Zuletzt als Computer.

Von da an drehte sich der Zyklus um. Zuerst war der Computer nichts anderes als elektronische Datenverarbeitungsanlage, EDV. Eine epochale Entwicklung seit den sechziger Jahren. Dann eroberte die Maschine den Text, die Schrift. Begeistert nahm der Markt diese Errungenschaft in den siebziger Jahren auf. Bilder zu zeichnen und zu erkennen, wurde in den achtziger Jahren zur großen Herausforderung – vor allem in der Industrie, in den Wissenschaften, in der Verteidigung. Doch um das, was bei uns im Anfang war, das gesprochene Wort, die Sprache, erweist sich bis heute als das sperrigste Thema – trotz aller Fortschritte, trotz ChatGPT. Die Maschine hört uns, aber sie versteht uns nicht. Sie täuscht es nur vor – und zwar so geschickt, dass wir ihr gehorchen bis in die totale Bewusstlosigkeit. Sofort und immerdar. Je mehr die Maschine für uns tut, desto mehr passen wir uns ihr an – bis zur Selbstaufgabe.

 Befehle bilden die einzige vollständige Satzform, die auf Subjekt und Objekt verzichten kann. Befehle sind zeitlos, kennen weder Vergangenheit noch Zukunft, weder Tat noch Täter. Weder Subjekt noch Objekt. Weder Dich noch mich noch sich selbst, im Englischen kennen sie sogar weder Einzahl noch Mehrzahl. Sie kennen nur das Tun, nur das Jetzt, den unendlichen Augenblick, die Funktion, vor allem aber den Prozess.

Befehle steuern Prozesse. Es ist ihnen völlig gleichgültig, ob es uns gibt oder nicht. Sie tun es einfach. Immer und immer wieder – gleichsam in einer „ewigen Wiederkehr“. Sie sind der pure Stumpfsinn. Sie nehmen uns Anfang und Ende. Sie bewerten und verwerten uns. Sie entwerfen und belehren uns. Sie betrügen und belügen uns. Sie nehmen uns alles, und sie geben uns alles – vor. Sie sind vernünftig, und sie sind wirklich. Sie sind Software. Sie sind ein ewiges, ein reales Utopia.

Befehle sind göttlich, allwissend, allgegenwärtig und allmächtig sowieso. Natürlich immer nur in unseren Augen. Befehle machen sich die Erde untertan.

Und wir? Was bleibt uns? Sind wir zum Zuschauen verurteilt? Zum Anblicken und Anklicken? Ist dies das neue Paradies?

Eigentlich leben wir seit Adam und Eva in einer Welt der Befehle. Nach der Missachtung eines einzigen göttlichen Befehls in seiner verneinenden Form, als Verbot, wurde das Paar aus dem Paradies vertrieben. Ungehorsam hat uns dahin gebracht, wo wir, die Nachfahren von Adam und Eva, heute sind. Unvernunft hat uns ständig Neues wagen lassen, aber auch immer wieder sündig werden lassen.

Ein Paradies war auch anfangs das Internet. Geboren im Jahr des „Summer of Love“, 1969, war es anfangs ein Reich der geistigen Freiheit und des Wissens, das zwar unter der Obhut des amerikanischen Militärs stand, aber sich spätestens seit 1983 seine Gesetze selber schaffen durfte.

Es war wie in der Bibel, in der der Prophet Ezechiel von der Vertreibung des Königs von Tyrus aus dem Garten Eden berichtet. „Du warst ein vollendet gestaltetes Siegel, voll Weisheit und vollkommener Schönheit. Im Garten Gottes, in Eden, bist du gewesen. (...) Ohne Tadel war Dein Verhalten seit dem Tag, an dem man dich schuf“, heißt es dort. Doch dann hatte dieser Menschensohn etwas sehr Böses getan: Er hatte „ausgedehnten Handel“ getrieben. Er hatte das Paradies kommerzialisiert. Er war Kapitalist geworden. Man ist versucht zu sagen: Der Kapitalismus steht für ein Ungehorsam, den Gott nicht verzeihen kann. Und Mitte der neunziger Jahre passierte genau dasselbe mit dem Internet. Es wurde kapitalistisch.

Seit der Vertreibung aus dem Paradies streben wir zurück in diesen Garten Eden. Und damit uns auf dem Weg nichts schiefgeht, errichten wir eine Welt aus Abermilliarden von Bestimmungen, Codierungen und Programmierungen. Alles Befehle. Sie sind um uns und in uns. Sie schweben über uns als edler kategorischer Imperativ, und sie steigen in uns hervor aus den tiefsten Urgründen unserer Gene. Sie kontrollieren uns. Befehle sind das Paradies.

Ja, wir haben erkannt, dass unsere gesamte Existenz auf Befehlen basiert. Selbst das Neue wagen wir nur noch als Befehl: „Mr. Watson. Come here!“, waren am 10. März 1876 die ersten Worte, die Alexander Graham Bell bei der Demonstration seines Telefons an seinen Assistenten sandte. Es war ein persönlicher Befehl.

Als im November 1969 das Internet gezündet wurde, wusste anschließend keiner mehr, wie die erste Botschaft lautete und wer sie eingetippt hatte. Jetzt ging es nur noch darum, ob der Befehl, eine Botschaft zu senden und zu empfangen, ausgeführt worden war. Es war ein technischer Befehl. 

Der Befehl hatte sich verselbständigt. Und das ist bis heute die Seele des Netzes, des Computers, aller Digitalisierung. Das ist Software, das Paradies.

Mit deren Hilfe erteilen und verteilen sich nicht nur Befehle, sondern entschlüsseln wir auch alle anderen Befehle der bisherigen Schöpfungsgeschichte – bis zurück zum Ursprung.

Wir müssen diese Befehle nur noch entschlüsseln, um alles in uns vollständig im Griff zu haben. Das ist der letzte Befehl, damit wir endlich mit uns selbst machen können, was wir wollen. Wir müssen uns nur noch selbst optimieren, uns selbst uns untertan machen.

Denkste!

„Zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit sind wir in der Lage, unser eigenes Gehirn zu gestalten“, behauptete 1994 Richard Restak, Neuropsychiater an der George Washington Universität in der US–Hauptstadt. Was wir dazu brauchen, ist nur den Griff zur Pille. Sie sagt uns dann, wo es langgeht. Das Magazin 'Newsweek' spricht von einer „Faustschen Macht“, die in diesen Willenspillen liegt. Schon 1961 hatte das Medical Center der University of California in San Francisco einen Kongress veranstaltet, der unter dem Titel „Kontrolle des Geistes“ stand. An ihm hatte auch der ungarisch-britische Schriftsteller und Journalist Arthur Koestler teilgenommen. Er war ein Verfechter der Idee, den Menschen durch Drogen zu zähmen, damit er mit seinem riesigen und unbändigen Verstand endlich zur Ruhe käme. Die Menschen würden moralisch ihrem unersättlichen Erfindergeist permanent hinterherlaufen – angesichts der Zerstörungsgewalt der Atombombe ein unkalkulierbares Risiko. 1968 äußerte er sich dazu in einem mehrseitigen Bericht im 'Spiegel'. Dass Diktaturen diese Pille missbrauchen könnten, war ihm klar. Deren Einspeisung durch die Wasserversorgung war ihm auch nicht ganz geheuer. Am besten wäre die Pille als Pille: „Das Stabilisierungsmittel könnte bei der jungen Generation internationalen Anklang finden und als neue Mode die Bärte und Meskalin-Räusche ersetzen“. 

„Ein Mensch wird sicherlich bald geklont werden“, meinte 2001 der berühmte Biowissenschaftler Erwin Chargaff (1905–2001). Auch wenn wir noch immer darauf warten, haben wir das Gefühl, dass sich diese Vision jeden Augenblick erfüllen kann. Chargaff: „Aber was ist ein geklonter Mensch? Er ist ein Sklave, er ist nicht frei erzeugt, er ist eine Konstruktion. Darf man ihn umbringen? Gelten für ihn alle Gesetze? Ich weiß es nicht.“ Wer hat den Oberbefehl über diesen Klon? Sind wir es noch, oder ist es bereits eine künstliche Intelligenz, die sich durch Unsereins, dem  Klon, ein Bewusstsein schafft? Verkaufen wir unsere Seele dem Teufel?

Einer, der glaubt, dass man nur Geist und Seele eines Menschen digitalisieruen müsse, um ihn unsterblich zu machen, ist der umstrittene amerikanische Rapper Kanye West (*1977). Prima! Und damit er sich wohl selbst sein Sklave sein kann, forderte er prompt, dass der 14. Zusatz zur amerikanischen Verfassung eliminiert wird. Der Artikel behandelt die Abschaffung und den Verbot der Sklaverei.

Gilt für den Klon noch der kategorische Imperativ, der Oberbefehl allen menschlichen Handelns schlechthin, den uns Immanuel Kant vor einem Vierteljahrhundert auf den Weg in unser Jahrtausend mitgegeben hat? Triumphiert über Kant stattdessen der „therapeutische Imperativ“, wie es der Schriftsteller Hans Magnus Enzensberger 2001 nannte, worunter die Biotechnologie zum Beispiel die „Züchtung von menschlichen Ersatzteillagern“ verstand. „Sorry, das geht einfach nicht. Hier ist eine Grenze“, widerspricht Didier Sicard als Präsident der französischen Ethikrates, solchen Ambitionen. Wir sollten schlichtweg akzeptieren, dass „das Leben einfach mal ein Ende hat“.

Doch dem Tod soll der letzte Oberbefehl entrissen werden. „Proteine herrschen“, titelte 2002 das Wissenschaftsmagazin 'Scientific American“ und nannte das „Proteonics“. Eine neue Form der Wirtschaft, die sich ihren eigenen Menschen schafft.

Wir können den Befehlen nur noch durch Fragen begegnen. Wenn wir Glück haben, sind wir es selbst, die noch Antworten geben und nicht irgendwelche Roboter. Denn „die Abschaffung des Menschen, von der die Exponenten der KI schwärmen, dient noch einem höheren evolutionärem Zweck“, meint Enzensberger  Da schaudert's einem. Unterliegt alles einem „höheren Befehl“, auf den wir keinen Einfluss mehr haben werden?

Auf welche Welt fallen wir da herein? Was ist das für eine Epoche, in die wir  hineingeworfen werden? Erleben wir den finalen Fall des Menschen?