Hier am Kornmarkt hatte alles vor 50 Jahren begonnen... |
Der Nachfolger, zweiter von rechts, Dieter Kempf, und dessen Nachfolger, Robert Mayr, zweiter von links
Ein leerer Saal blieb gestern der Ort der Gründung. Das Innere des CVJM
Fotos: RV
Es war der wohl am stärksten bewegende Augenblick der
Jubiläumsfeier, als schließlich, ganz am Ende der Begrüßungszeremonie in der
Nürnberger Oper, Dieter Kempf, den Namen seines Vorgängers im Amt des
Vorstandsvorsitzenden aufrief: Heinz Sebiger, der Mann, der am 14. Februar 1966
in Nürnberg, im Saal des CVJM, als Steuerberater gemeinsam mit Berufskollegen die
DATEV gründete, eine Genossenschaft mit heute 40.000 Mitgliedern und rund 880
Millionen Euro Umsatz. Minutenlang applaudierten die Gäste stehend dem nun bald
93jährigen Gründer. Ergriffen von dieser mächtigen Demonstration des Dankes und
des Respekts stockte Sebiger die Sprache. Er suchte nach der Fortsetzung seines
Satzes, der nach dem Wort "Verbindung" einfach nicht zu Ende gebracht
werden wollte. Es war so, als wolle dieses eine Wort alles sagen, was die
Geschichte, Gegenwart und Zukunft der DATEV ausmacht. In der Tat: Diese
Genossenschaft ist eine einzigartige Verbindung von Individuen, vorn
Einzelkämpfern, die in dem vergangenen fünf Jahrzehnten immer wieder über sich
selbst hinauswuchsen, um sich dem technischen Fortschritt zu stellen, ein
Netzwerk von Gleichgesinnten, deren gemeinsamen Interessen weit über die
eigenen, die persönlichen hinausgingen und hoffentlich auch immer hinausgehen.
Nicht unbedingt eine altruistische Verbindung, aber durchaus eine, die über die
Grenzen ihrer eigenen Gemeinschaft hinausdenkt und handelt - das ist die DATEV.
Mit ihren 7000 Mitarbeiter ist sie natürlich vor allem die Wohlstandsmaschine
des steuerberatenden Berufs in Deutschland, auch wenn zu ihren Adressaten die
anderen rechtsberatenden Berufe gehören.
Vielleicht gehört es zum kollektiven Unbewusstsein dieser
Verbindung, dass sie in ihren ganzen Reflexen und ihrer alles überlagernden Ausstrahlung
intern und extern immer nur aus dem Blickwinkel des Steuerberaters gesehen
wird. Kein Wort während der Pressekonferenz über die Zunft der Rechtsanwälte,
die ja nicht minder gleichberechtigtes Mitglied dieser Genossenschaft sind.
Auch bei der Jubiläumsfeier fiel eher beiläufig und auch nur ein einziges Mal
das Wort "Anwalt". An diesem Montag, 15. Februar 2016, also einem Tag
nach dem eigentlichen Geburtstag, fiel die DATEV zurück auf ihr ursprüngliches und
auch mit deutlichem Abstand erfolgreichstes Geschäftsmodell: Sie war die
Service-Organisation des steuerberatenden Berufes.
Dass der bayerische Finanzminister und selbst Nürnberger, Markus
Söder, in seinen Beiträgen nicht weiter dachte als an all die Themen, die
Steuerberater und Finanzämter zusammenbringen, ist verständlich. Dass aber dann
neben Nürnbergs Oberbürgermeister Maly nur Angehörige des steuerberatenden Berufs
die Plätze auf dem Podium der Pressekonferenz und des Jubiläumsaktes besetzten,
war schon bezeichnend. Themen wie das durchaus umstrittene Mandantendirektgeschäft,
unter Sebiger ein absolutes Tabu, wurde auch nicht weiter gestresst. Durch alles,
was an diesem Tag gesagt wurde, schimmerte das Bekenntnis zum ursprünglichen
Geschäftsmodell, so wie es 1966 erdacht worden war. Ein halbes Jahrhundert hat
es getragen - mehr noch, es führte dazu, dass sich die DATEV auch technologisch
mit ihren Ursprüngen rückkoppelte. Was vor einem halben Jahrhundert als
Service-Rechenzentrum begann, ist heute eine "Cloud", wie Kempf &
Co. mehrfach ansprachen. Und diese "Cloud" wird auch das Erbe sein,
das der bisherige Vorstandsvorsitzende nach 20 Jahren im Amt am 1. April an
seinen Nachfolger, an den Steuerberater Robert Mayr, übrigens Jahrgang 1966,
weitergeben wird.
Aber es wird dennoch eine andere DATEV sein als die, die der
Gründer, Heinz Sebiger, 1996 an Kempf übergeben hat. Sebiger war ein Patriarch,
Kempf war da im Führungsstil sehr viel jovialer. Und doch war sie in den ersten
30 Jahren ihrer Existenz weitaus mehr eine Familie als heute, auch wenn sie
sich immer noch so versteht. Aber diese Erosion wird sich in den nächsten zehn,
fünfzehn Jahren, in denen Mayr an der Spitze stehen wird, fortsetzen.
Der Idealismus, mit dem sich Genossenschaft und Belegschaft gegenseitig
inspirierten, wird kaum noch vermittelbar sein - zu saturiert ist der
Berufsstand, zu krisenfest sind die Arbeitsplätze. Im Wort
"gemeinsam", das die DATEV in ihre Werbebotschaft aufgenommen hat,
steckt auch das Wort "einsam".
Wenn die DATEV je in eine Fundamentalkrise geraten sollte,
wird sie ratlos sein - wie alle Institutionen, die in ihrem natürlichen
Alterungsprozess nicht merken, wie sie zum Selbstzweck depravieren. 50 Jahre
trug das Geschäftsmodell der DATEV über alle technologischen Veränderungen und Transformationen
hinweg. Es ist sogar abzusehen, dass es in den kommenden Jahren die
Umsatzgrenze von einer Milliarde Euro sprengen wird. Sie scheint mit ihrem hochgerühmten
Campus, mit all den Neuerungen, die Kempf in den vergangenen 20 Jahren
initiierte, ihre Erfolgsroute weiterverfolgen zu können. Und Mayr macht nicht
den Eindruck, als wolle er davon abweichen. Dennoch wird sich irgendwann die
Frage stellen, wie weit die DATEV einmal von ihrem ursprünglichen
Geschäftsmodell wird abweichen müssen, um sich den Herausforderungen der Zeit
zu stellen. Sie werden nicht darin liegen, dass die Technologie sie
überwältigen wird. Sie werden auch nicht darin liegen, dass sie die
Geschäftsprozesse, die heute in den Kanzleien zu bewältigen sind, sich dem technologischen
Zugriff entziehen - selbst dann nicht, wenn Verfahren, die heute eine halbe
Stunde benötigen, Durchlaufzeiten im Mikrosekundenbereich haben werden. Die
Herausforderungen werden darin bestehen, dass es die Umwelt nicht mehr gibt,
für die man diese Geschäftsprozesse benötigte.
In den achtziger Jahren hatte der Gründer seine Mitglieder aufgefordert,
sich mehr und mehr die betriebswirtschaftlichen Beratungsleistungen zu erschließen.
Es war erstaunlich, dass gestern der designierte Vorstandsvorsitzende, Robert
Mayr, genau dieses Thema wieder adressierte - mehr als 30 Jahre später. Es
könnte sein, dass die Mitglieder das DATEV genau diesen Megatrend verpassen,
weil sie zu verliebt sind in das, was sie bislang so erfolgreich tun. 30 Jahre
sind jedenfalls vergangen, 30 Jahre, in denen Mandanten sagen, dass da nicht
sehr viel passiert sei.
Raimund Vollmer