Teil 2: Der Abstieg des Menschen
„Und nun wälzte sich Wolke auf Wolke über den Geist: bis endlich der Wahnsinn predigte: ‚Alles vergeht, darum ist Alles wert zu vergehen!‘ ‚Und dies ist selber Gerechtigkeit, jenes Gesetz der Zeit, dass sie ihre Kinder fressen muss‘, also predigt der Wahnsinn.“
Friedrich Nietzsche (1844-1900), deutscher Philosoph, in „Also sprach Zarathustra“
Es ist der pure Wahnsinn: Sie gelten als die wahren Tech-Titanen – jene paar Firmen, denen es gelungen ist, im Namen des Erfolges tausend Milliarden Dollar und mehr an Börsenwert auf sich zu ziehen – es sind Kapitalisierungen, die auf jedem von uns, der ihre Produkte und Dienste direkt oder indirekt nutzt, basieren. Diese Riesen sind die Kapitalisten des Konsums – keine Giganten mehr, sondern längst Titanen der Transformation, der Umformung allen Lebens ins Digitale. In die Cloud, die alles Wesenhafte in sich aufsaugt – in ihr alles durchdringendes Nebel-Leben.
Herbert Marcuse (1898-1979), der deutsche Philosoph der 68er, Emigrant, Marxist und Heidegger-Schüler, wies 1955 in seinem Büchlein „Triebstruktur und Gesellschaft“, ohne je den Begriff der Cloud gehört oder in seiner technischen Bedeutung geahnt zu haben, auf Nietzsches Superwolke hin – so, als hätte er gewusst, was ihre Funktion ist:
Er schrieb: sie dient dazu „die Unterprivilegierten dieser Erde zu beruhigen, ihnen einen Ausgleich zu bieten, sie zu rechtfertigen und diejenigen zu beschützen, die sie zu Unterprivilegierten machten und darin festhalten.“ Nun – die Unterprivilegierten, das sind wir, aber nicht nur wir: „ Das Ergebnis wuchs zur Lawine und riss Herren und Knechte, Herrscher und Beherrschte in jener Flut produktiver Unterdrückung mit sich, die die westliche Zivilisation zu einem immer höheren Wirkungs- und Leistungsstand vorantrieb. Die wachsende Wirksamkeit allerdings bedeutet eine zunehmende Degeneration der Lebenstriebe – den Abstieg des Menschen.“[1]
Ja, die Wolke, die Cloud, verleiht uns ungeheure Produktivität – vor allem dann, wenn sie sich mehr und mehr als Künstliche Intelligenz manifestiert. Und indem dies geschieht, können wir uns selbst bei unserem Abstieg beobachten. Unser Blickfeld verengt sich zu Smartphones, die uns unerbittlich diktieren, was wir zu tun und zu lassen haben.
Wir sind Follower, brave Follower, wir sind des sogar gerne und jederzeit. Jeder von uns ist zwar nur Pfennigkram im Börsenwert dieser Titanen, aber höchst profitabel für sie. Die Titanen lassen uns zwar machen, was wir wollen, aber nur solange sie allein es sind, die wissen, was wir wollen. Und dafür tun sie alles.
Wir sind die Opfer unseres Konsums. Denn im Konsum ist alles wert, zu vergehen. Doch für den Nachschub ist jederzeit gesorgt. So lautet das Gesetz des Netzes, das sich über alle Lieferketten spannt und unerbittlich alles einfängt.
Cogito, ergo consum. Nein, ich denke nicht. Ich konsumiere nur. Es ist der pure Wahnsinn.
Angesichts der gewaltigen Börsenwerte könnte man meinen, dass die Titanen der Technik inzwischen so mächtig sind, dass sie die Börsenwerte der anderen, der kleineren Firmen nach und nach absaugen und auf sich vereinen. Sie sind die modernen Rockefeller, die dereinst nicht selbst das Öl schöpften, sondern es nur sammelten und verteilten. Und so lautet auch das Geschäftsmodell dieser Wolkenprasser. Sie sind es, die den Preis bestimmen, nicht die Lieferanten, nicht die Konsumenten. Wir sind die Unterprivilegierten, die wir alle im Vergleich zu ihnen sind – Herren und Knechte, Herrscher und Beherrschte. Egal, wir degenerieren.
Und dennoch steht den Tech-Riesen eine heimliche Angst im Nacken. Es ist die Angst vor uns. Die Angst vor unserem Unbewussten - dem wahren Giganten…
Fortsetzung folgt - obwohl ich mit dem, was ich heute geschrieben habe, gar nicht zufrieden bin...