Wir sollen also ein Zukunftsministerium bekommen, wünschen sich eine Staatsministerin und ein Professor heute in der ‚FAZ‘. Es ist Mode geworden, im Doppel-, Drei- und Vierfach-Modus zu schreiben und ein ganz neues Wir-Gefühl damit zu kommunizieren. „Wir“ meint nicht mehr uns, sondern eine Elite, die alles tut, um sich selbst zu versorgen. Die Zukunft ist auch nicht mehr unser aller Angelegenheit, sondern die eines zukünftigen Zukunftsministeriums, das genau weiß, was Zukunft ist und deswegen mit umfangreichen Zugriffs- und Durchgriffsrechten ausgestattet werden soll.
Zukunft ist Macht. Genau darin liegt der Fehler, ja, der Verrat an der Zukunft. Denn Macht macht dumm. Zukunft ist zudem vor allem eins nicht: zentral. Es sei denn, es besteht massiver Nachholbedarf. Es sei denn, man muss gegenüber anderen Volkswirtschaften aufholen, es sei denn, man hat vorher eine ganze Menge versäumt. Ja, dann kann ein Zukunftsministerium sehr wohl helfen – nur wird es dann aus reinen Selbsterhaltungsmotiven heraus immer beim Aufholen bleiben. Deshalb hat Deutschland bei den Informationstechnologien seit Jahrzehnten immer das Nachsehen gehabt. Das hat auch etwas damit zu tun, dass sie immer ein elitäres Unterfangen blieben. Selbst die hochgerühmte SAP, unser Vorzeigeunternehmen schlechthin, erreicht allenfalls Gegenwartsstatus, kommt aus der Buchhaltung, die zentral alles weiß, was ist, aber nicht, was dezentral kommt. Sonst müssten unsere Automobilhersteller nicht nach Teslas Pfeife tanzen und zusehen, wie in kürzester Zeit vor ihrer Nase ein Automobilwerk entsteht. Stattdessen entschied sich für sie die Zukunft an den Spaltenbreiten in den Karosserien. Man suchte nach dem Nachholbedarf der anderen anstatt den eigenen zu sehen. So wurde auch staatliche IT-Politik seit den sechziger Jahren betrieben.
Zukunft ist dezentral. Zukunft, also echte Zukunft geschieht. Sie ist immer überraschend. Und sie kommt aus Winkeln, mit denen keiner rechnet. Google, Facebook, Amazon – geplant hat sie ein Silicon Valley nie. Sie waren plötzlich da. Auch Microsoft wurde nicht geplant durch irgendein Ministerium. Und das Internet, einmal von Regierungsseite befreit, baute sich selbst in einem wahrhaft rasanten Tempo. Wer erinnert sich nicht an das EWS-Debakel in den siebziger jahren (wahrscheinlich kaum noch einer), als Siemens und SEL komplett die Digitalisierung der Telefonnetze verpennten. Selbst amerikanische Bürokraten konnten sich nicht vorstellen, dass man paketvermittelt miteinander telefonieren kann. Heute tun wir es alle. Gar kein Thema. Hat sich selbst gebaut.
Was Extrapolation bedeutet, konnten wir lange vor dem Corona-Monothemismus dort beobachten. Auch die Eisenbahnen haben sich im 19. Jahrhundert selbst gebaut. Ihre Zukunft war zu Ende, als der Staat sie übernahm.
Die Zukunft ist sich selbst ihre eigene, souveräne Macht, die darin besteht, dass sie nicht ausgeübt wird, sondern einfach geschieht. Sie kann von keiner Elite, von keiner Regierung beherrscht werden. Die Regierung, die Bürokratie, kann nur so tun also ob. Leider gibt es sehr viele Menschen, die sich an diesem Schauspiel beteiligen – gerne beteiligen, weil es ihnen ganz persönlich Zukunft gibt. Und wir, wir, deren Zukunft wirklich von der Zukunft abhängt, fallen immer wieder darauf rein. Raimund Vollmer