Samstag, 9. November 2024

Zum Tage: DDR

 Über die Menschen in der DDR im August 1990

„Man hat das Bewusstsein, dass man Erfahrungen, Zumutungen, Zwängen in einer solchen Intensität ausgesetzt war, dass die eigene Gesellschaft dadurch zu einer existentiellen Erlebniseinheit wurde. Das bedeutet, dass man nicht verstehen kann, wer ihr nicht angehört hat. (…) Die Doppelrolle des Staates als Unterdrücker und Versorger wurde sogar doppelt positiv verinnerlicht.“

Christian Meier (*1929), deutscher Althistoriker


Freitag, 8. November 2024

Zum Tage: Westentaschendiktatoren

 DIE IM DUNKELN SIEHT MAN NICHT...

„Ein wichtiger Punkt in jeder Theorie des nichttyrannischen (also ‚demokratischen‘) Staates ist das Problem der Bürokratie. Denn unsere Bürokratien sind ‚undemokratisch‘ (in meinem Sinn des Wortes).  Sie enthalten unzählige Westentaschendiktatoren, die praktisch nie für ihre Taten und Unterlassungen zur Verantwortung gezogen werden. Max Weber hat dieses Problem für unlösbar gehalten, und er wurde darüber zum Pessimisten.“

Sir Karl Raimund Popper  (1902-1994), österreichisch-britischer Philosoph


Zum Tage: Ladies and Gendermen...

 „Sprache ist ein System, das nur seine eigene Ordnung kennt.“

Ferdinad de Saussure (1857-1913), Schweizer Sprachwissenschaftler 

 Sie ist aber auch ein Machtinstrument, das über sich selbst hinauswirkt... (R.V.)

Donnerstag, 7. November 2024

Zum Tage: Lügen heißt siegen

"Sagen wir, wie es ist: Trumps politische Kommunikation besteht aus ständigen Provokationen, er lügt und betrügt, verschiebt die Grenzen des Sagbaren und erniedrigt seine politischen Gegner. Damit ist er offensichtlich so erfolgreich, dass er immer noch mehr Leute mobilisiert. Das ist eigentliche Nachricht dieses Tages – und zwar, dass diese Art von Politik, die auf Emotionalisierung, Hass und die Ängste der Menschen setzt, bis ins Weiße Haus führen kann. Damit hat Trump durchschlagenden Erfolg."

Volker Depkat (*1965 in El Paso, Texas), lehrt American Studies an der Universität Regensburg.

Quelle: T-Online

Zum Tage: Künstlichkeit

 1987: „Kunst – Künstlichkeit – ist das Schönste, was ein Mensch vermag. Man kann nämlich mit ihr die eigene Natur überwinden.“

August Everding (1928-199), deutscher Regisseur und Intendant

Mittwoch, 6. November 2024

Dienstag, 5. November 2024

Zum Wahltage: Vater und Sohn

 Die Anti-Politik

 Mein Vater, der vor vierzig Jahren starb, war CDU-Mitglied. Und so war er natürlich nicht sonderlich glücklich, als es 1969 zur ersten sozial-liberalen Koalition kam. Ich, der ich damals noch gar nicht wählen durfte, war es umso mehr. Ich freute mich. Endlich Ende der großen Koalition, einer Koalition, die damals wirklich noch groß war

Aber dann sagte er etwas, was fortan mein Denken über Politik nachhaltig prägte. Das sei ja nicht so schlimm, denn im Bundesrat haben  CDU/CSU die Mehrheit und nach zwanzig Jahren der Kanzlerschaft von CDU und CSU seien alle entscheidenden Jobs in der Verwaltung mit Mitgliedern des konservativen Teils besetzt. Zudem würden CDU/CSU im Bundestag die größte Fraktion bilden. So begann damals die heißeste Phase in der noch jungen Geschichte der Bundesrepublik. Sitzungen des Bundestages, zumal dann, wenn Franz-Josef Strauß (CSU) sich mit einer Rede ankündigte und die Debatte im Fernsehen live übertragen wurde, waren regelrechte Straßenfeger. Tagsüber. Dann, wenn die Bundesrepublikaner und Bundesrepublikanerinnen zu arbeiten hatten. Politik war wichtiger als alles andere – und man hatte das Gefühl, keiner hatte zu viel Macht.

Damals lernte ich, dass es gut ist für eine Demokratie, wenn die sie tragenden Institutionen nicht in einer Hand versammelt sind, sondern auf durchaus verzwickte und komplexe Weise auf viele verteilt ist. Die Gefahr einer „totalen Verwaltung“ (Max Horkheimer), sich in eine “totalitäre Verwaltung“ zu verwandeln, bestand kaum. Und die Gewaltentrennung tat ihr Übriges. Das Parlament war die höchste und vornehmste Institution.

Das Charisma der frühen Jahre ist längst verschwunden. Die Leidenschaft, die uns damals über alle Parteigrenzen, alle Differenzen hinweg in gegenseitiger Toleranz  miteinander verband, weicht mehr und mehr einem Gefühl des dumpfen, irrationalen Hasses aufeinander.

In einem mich sehr nachdenklich machenden Essay des Londoner „Economist“ wird diese Tendenz als „negative Parteinahme“ und „Antipolitik“ bezeichnet. Und mit dem heutigen Wahltag in den USA werden wir davon nun ein Paradestück erleben und möglicherweise den Höhepunkt dieser Antipolitik – einer Entwicklung, die mit den neunziger Jahren begann, mit dem Fall der Mauer und dem Fehlen eines äußeren Feindes, der nach altbekannter Weise, den inneren Zusammenhalt stets fördert.

Mit dem Ende des Kalten Krieges verlegte sich stattdessen der Konflikt ins Innere. Von diesen Konflikten haben wir so viele inzwischen, dass der Anteil dessen, was wir gut finden, sich auf ein Minimum reduziert.

Die Wahlen in 50 Ländern zwischen 1961 und 2021 hat der Economist gemeinsam mit Wahlforschern in einer 274 Wahlen umfassenden Studie untersucht – und ist dabei zu dem Ergebnis gekommen, dass auf einer Skala von 0 bis 10 bis etwa 1980 die Zustimmung für die eigene Partei gestiegen ist – auf fast acht Punkte. Mit den neunziger Jahren sank sie auf knapp über sieben Punkte. Das wirkt letztlich immer noch stabil. Doch rapide sank die Sympathie für gegnerische Parteien von ehedem mehr als vier Punkten auf fast zwei, sie halbierte sich praktisch. Der Argwohn: es ist fast schon zum Geschäftsmodell der Politik geworden, die latent sicherlich in gewisser Weise stets vorhandene emotionale Ablehnung des anderen zu schüren. Weltmeister darin ist natürlich der Mann, der gerne wieder Präsident der Vereinigten Staaten werden will. Aber wir spüren dies in unserem Land nicht nur in dem sich gegenseitig zersetzenden Verhalten in der Koalition, sondern in den hiesigen Beurteilungen der kriegerischen Auseinandersetzung in Israel und in der Ukraine. Da ist oftmals so viel Scheinheiligkeit dabei, dass man schon gar nicht mehr anders kann, als zu dem Eindruck zu kommen, dass es in Wahrheit nur noch um das Polarisieren geht. 

Wer sich einmal in eine mehr oder minder fragwürdige Position verrannt hat, ist bereit, auch Lügen zu akzeptieren, wenn sie denn der eigenen Meinung dienen und die „negative Parteinahme“ stärken. Ja, man sei sogar bereit, seinen  eigenen Interessen zu schaden, wenn am Ende der Gegner weitaus stärker belastet wird.

Es ist ein ungutes Klima, das auch Deutschland längst erfasst hat. Und ein großer Teil der Politik und der Publizistik wirkt daran mit, weil es die Aufmerksamkeit fördert. Dies ist mehr und mehr unverantwortlich. Und um Verantwortung geht es denen, die da schüren, in der Tat schon gar nicht.

Letzten Endes ist dies aber eine Bankrotterklärung der Politik, die nicht mehr in der Lage ist, eine positive Parteinahme in den Vordergrund zu stellen. Zugegebenermaßen: sie hat auch auf den traditionellen Feldern einer Erfolgsstrategie keine Unterstützung mehr. Wir sehen das Missmanagement in der Wirtschaft, wir sehen den fehlenden Mut auf der Unternehmerseite, wir spüren die Überwältigung aller Lebensverhältnisse durch administrative Verfahren, wir ersticken in Anpassungsprozessen, die eigentlich nur sich selbst zum Ziel haben: die Anpassung. Wir transformieren uns in absolute Sinnlosigkeit.

Es wäre an der Zeit, wieder zurück zu einer positiven Einstellung zu Politik und Gesellschaft zu kommen. Sie wird aber bestimmt nicht über die traditionellen Felder (z.B. Wohlstandspolitik) kommen. Denn wenn die jetzige Periode irgendeinen Sinn hat, dann den, dass es nicht Wohlstand und Technik sind, die Menschen einen und den Hass besiegen. Die Menschen wollen als Menschen wahrgenommen werden – und nicht als Smartphone.

So habe ich vor 65 Jahren Politik erlebt - zwischenmenschlich und nicht medial gepusht. Uns haben vorrangig die Themen bewegt. Und es war auch im Widerstreit der Institutionen ein tolles, intellektuelles Schauspiel, das uns geboten wurde. Heute zanken sie nur noch ums Geld, das in erster Linie dazu dient, sich selbst zu erhalten – und nicht die Aufgaben zu erfüllen, für die man sie dereinst geschaffen hat. Vielleicht ist diese Art der Entfremdung das Grundübel. Wir haben uns alle voneinander entfernt.

Ich weiß, dass ich damals mit meinem Vater gerne über Politik diskutiert habe. Leidenschaftlich von meiner Seite, überlegen von der Seite meines Vaters. Bitterbös wurde es nie, weil er mich verstand und ich ihn mit der Zeit auch.

Raimund Vollmer

Montag, 4. November 2024

Zum Tage: Zu spät

  "Es pflegt leider sehr schnell zu spät zu sein."

Thomas Mann (1875-1955), deutscher Schriftsteller und Literaturnobelpreisträger

Sonntag, 3. November 2024

Zum Tage: Qualprognose?

 1934: Wer den Geist tötet, tötet das Wort.  Und wer das Wort schändet, schändet den Geist, untrennbar sind sie einander verbunden.  Und immer wieder verliert der Mensch die Sprache, immer wieder entgleitet ihm der Geist, entgleitet ihm das Absolute, immer wieder wird er zurückgeschleudert in das Schweigen seines düsteren Urzustandes, das heute noch die Dumpfheit des Primitiven ist, in seine Grausamkeit, in sein düsteres Leid…

 

Hermann Broch  (1886-1951), österreichischer Schriftsteller, in seinem Vortrag:  „Geist und Zeitgeist“