Ich
bedauere den Rückzug von Frauke Brosius-Gersdorf, weil nun die stets
über uns schwebende - und eigentlich auch nicht zu beantwortende - Frage
nach der Menschenwürde wieder aus der allgemeinen Wahrnehmung
verschwindet. Die Menschenwürde ist kein wissenschaftlich klärbarer
Begriff. Er liegt außerhalb "biologistischen" und jurististischen
Denkens. Das gilt auch für den Begriff der Freiheit, der eigentlich in
den Artikel 1 des Grundgesetzes gehört und auch in einem ursprünglichen
Vorschlag (der SPD im Londoner Exil) für eine neue Verfassung dem der
Menschenwürde hinzugefügt wurde. Ob etwas rechtswidrig, aber nicht
strafbar ist, mag ja seltsam klingen und "denklogisch" paradox, aber
deutlicher kann man doch gar nicht ausdrücken, dass es Lebenssituationen
gibt, die sich nicht mehr eindimensional fassen lassen. Meiner Meinung
nach - als jemand, der sich noch sehr gut an die Diskussion um den
Paragraphen 218 Anfang der siebziger Jahre erinnern kann - war und ist
jede Antwort darauf unbefriedigend, und es gehört zur Menschenwürde,
dass diese Frage so empfunden wird. Frau Brosius-Gersdorf hätte
vielleicht mit ihrer Position dieses wichtige Unbehagen gestärkt. Jetzt
wird es möglicherweise wieder verdrängt. Offensichtlich sind wir heute
nicht mehr in der Lage, offene Fragen auszuhalten. Vielleicht liegt es
daran, dass es zuviele davon gibt. Menschenwürde beginnt immer mit mir
selbst. Wann ich aber beginne, das kann ich selbst nicht bestimmen.
Vielleicht ist auch der Begriff der Menschenwürde selbst unantastbar,
auf jeden Fall unfassbar. Wir können uns ihm immer nur nähern. Danke.
Raimund Vollmer