Mittwoch, 1. Juli 2015

Warum ich keinen Bock mehr auf Blog habe...

... und nur noch gelegentlich hier schreiben will: aus purer Frustration.
Es war mehr Zufall als Absicht, dass ich vor vierzig Jahren als 23jähriger, frischgebackener Redakteur in diese Branche hineinkam. Nach einer Woche bei der Computer Zeitung wollte ich schon wieder kündigen. Das war absolut nichts für mich. Freunde, die mich kannten, hatten ohnehin nicht verstanden, dass ich dieses Angebot angenommen hatte. Doch ich blieb.
Ich lernte eine Branche kennen, die mir alle Begriffe raubte, die mir hoch und heilig war. Damals, 1975, wurde in der EDV-Branche viel über Philosophie gesprochen. Dass dies nichts, aber auch gar nichts mit Kant oder Nietzsche zu tun hatte, erstaunte und entsetzte mich. Aber ich akzeptierte es. Und ich lernte, dass die Computerleute eine ganz andere Sicht auf die Dinge pflegten als ich. Sie wollten diese Dinge nicht beschreiben, sondern programmieren. Ich fand das (um einen weiteren der ausgehöhlten Begriffe zu benutzer) ziemlich spannend.. Wenn man aber in Dimensionen vorstieg, die keiner unmittelbaren Nützlichkeit oder der Selbstbezüglichkeit der Maschine unterworfen waren, stiegen die Gesprächspartner aus. Komplettes Desinteresse.

Also suchte ich mir eine Story, die sowohl mich als auch die Computerleute interessieren könnte und stieß dabei auf das Thema "IBM". Das Unternehmen, das eine Branche war, faszinierte mich. Das war "spannend". Schlimm wurde es jedoch, als dieses Thema bei Big Blue in die Fänge eines unfähigen Managements geriet. Gut, damit konnte man als Journalist noch fertig werden. Als jedoch in Deutschland Leute, die an die Börse wollten, anfingen, sich "Storys" zusammenzubasteln, die so dürftig waren, dass man sich als Leser geradezu fremdschämte (und dies trotzdem zu schwindelerregenden Bewertungen führte), ahnte ich, dass diese Branche in ihrer sogenannten Führungselite intellektuell komplett abgewirtschaftet hatte. Hier ging es nur noch um Geld. Schlimmer noch: Es herrscht geradezu eine panische Angst davor, etwas zu tun, was nicht in Geld aufgewogen wird. Eigentlich ist dies ein Zeichen für einen gigantischen Minderwertigkeitskomplex.

Geradezu ekelig wurde es, als diese Typen auch noch anfingen, den allerheiligsten aller Begriffe zu missbrauchen, das letzte Refugium von Menschen, die in Geld zwar eine Notwendigkeit, aber keine Glückseligkeit sehen: Dieser Begriff heißt Phantasie.
Dieser Begriff erlebte mit dem Aufstieg des Neuen Marktes eine geradezu inflationäre Bedeutung. Aber das, was uns als Phantasie verkauft wurde, hatte nicht das geringste damit zu tun. Ich habe dann versucht, auf andere Themen auszuweichen - und trotzdem immer wieder versucht zu verstehen, was in der Computerbranche eigentlich passiert. Einen Zugang habe ich nie mehr gefunden. Ich habe mit Kollegen gesprochen und sie gefragt: Warum rebellieren wir nicht gegen diesen geistigen Notstand, den wir in der Führung nicht nur der IBM, sondern in allzuvielen IT-Unternehmen sehen? Meistens gab es nur verlegene Antworten. Sie teilten zwar meine Meinung (glaube ich zwar ihren Worten entnommen zu haben), aber riskieren wollten sie nichts. Die meisten hatten beschlossen, mit den Wölfen zu heulen und zu heucheln.
 Heute stehen wir, die Schreiber, in Deutschland vor dem Nichts. Und dieses Nichts heißt IT. (Man könnte auch sagen IT 0.0)

Raimund Vollmer

Nachtrag: Ich habe in den letzten Monaten versucht, die letzten 40 Jahre in einer "Story" Revue passieren zu lassen und habe dabei Menschen zugehört, die das, was in der von der IT durchdrungenen Welt geschieht, genau beobachtet, vorgedacht oder vorhergesehen haben. Und dabei habe ich festgestellt: Sie waren und sind die letzten Hüter der Phantasie. Und ich habe den Verdacht, dass die IT-Branche und ihre Kunden vor nichts so sehr Angst haben wie genau vor dieser Phantasie.