Samstag, 6. April 2024

Zum Tage

 Die größte Offenbarung ist die Stille.“

Laotse (um 300 vor Christus), chinesischer Weiser

Freitag, 5. April 2024

Zum Tage

 Es gibt keinen Fortschritt der Freiheit.

Eric Hobsbawm (1917-2012), britischer Historiker

Donnerstag, 4. April 2024

Zum Tage

 

„Die Freiheit des Einzelnen ist Frechheit, nur der Staat, d.h. die Regierung, muss frei handeln können

Deutscher Michel, Ausgabe 1, 1850

Mittwoch, 3. April 2024

Zum Tage

 1951: »Je komplizierter eine Maschine wird, desto mehr benimmt sie sich, als ob sie einen eigenen Verstand hätte.«

Poul Anderson (19262001), amerikanischer SciencefictionAutor, in seinem Buch „Die fremden Sterne“

Dienstag, 2. April 2024

Zum Tage

1850: „Verschlaf die Zeit, vergiss das Denken, veränd’re nie Dein Schafsgesicht,
Lass Dich von jedem Ochsen lenke, und wenn er stößt, so muckse nicht.“

Deutscher Michel, Ausgabe 1, 1850

Sonntag, 31. März 2024

Gedankenexperimente aus tausend und einer Seite (Teil 15)

 Jedes Studium ist, ob mittel- oder unmittelbar, Studium des Menschen.

Heinrich Mann (1871-1950), deutscher Schriftsteller

Die alltägliche Auferstehung

 Von Raimund Vollmer 

„Im Mittelalter lagen die beiden Seiten des Bewusstsein – nach der Welt hin und nach dem Innern des Menschen selbst – wie unter einem gemeinsamen Schleier, träumend oder hellwach“, schrieb 1860 der Schweizer Kulturhistoriker Jacob Burckhardt (1818-1897) in seinem Buch „Die Kultur der Renaissance in Italien“. Doch dann – so heißt es weiter - „erhebt sich mit voller Macht das Subjektive, der Mensch wird geistiges Individuum und erkennt sich als solches.“ Ein beispielloser Siegeszug beginnt, die Eroberung der Welt. Durch Europa. Der Lohn ist eine bis dahin ungeahnte „Freiheit – die Freiheit von überkommenen Bindungen“, steigt der Schriftsteller und Politikwissenschaftler Christian Graf von Krockow (1927-2002) in diese Aussage Burckhardts ein. 1982 meinte der Graf: „Aber auch ein Preis muss gezahlt werden. Freiheit wird erkauft durch Vereinzelung, schließlich durch Einsamkeit.“

Aber das ist noch lange nicht das Ende dieses Prozesses. Denn alles ist Prozess oder wird dazu. Am Ende dieser Prozesse steht nicht mehr die Freiheit des einzelnen, sondern die Freiheit aller, der Dienst am Ganzen, das Gemeinwohl.

Das eine, die Freiheit des einzelnen,  sei in der Garantie des Rechtsstaats angelegt, das andere, die Freiheit aller, sei „Aufgabe des republikanischen Prinzips“, meinte 2023 der Jenaer Rechtsgelehrte Rolf Gröschner in der F.A.Z.. Und er sieht mit Referenz an Philosophen wie den Schweizer Jean-Jacques Rousseau (1712-1778) „das Prinzip der Republik als das Beste, was Europa in Verfassungsfragen zu bieten hat“. Ja, einer wie Rousseau wünschte sich, so schreibt Gröner weiter, „Herzensrepublikaner, die ihre angeborene Selbstliebe (‚amour de soi‘) in eine allgemeine Freiheitsliebe und mit ihr in den politischen Freiheitswillen der ‚volonté générale‘ transformieren.“

Ein verführerischer Gedanke. Gemeinwohl statt Einsamkeit. Aber denken wir klar: Diese Transformation riecht irgendwie nach Selbstaufgabe.

Inzwischen wissen wir, die wir gerade der Corona-Isolation entkommen sind, sehr genau, was Einsamkeit ist – und dass uns keine Social Media daraus befreien kann. Es gibt keine Idyllen mehr. Waren sie nicht ohnehin immer eine Illusion? Macht Einsamkeit wirklich frei – oder macht sie doch nur krank?

Krankheit ist ein Prozess.

Leo A. Nefiodow (1939-2022), deutscher Wirtschaftsforscher

Ferdinand Tönnies (1855-1935), ein namhafter deutscher Soziologe und Philosoph, hatte 1887 sein Werk „Gesellschaft und Gemeinschaft“ vorgelegt und bestimmt: „Gemeinschaft ist das dauernde und echte Zusammenleben, Gesellschaft nur ein vorübergehendes und scheinbares.“ Eine Beschreibung der Gesellschaft, wie sie geradezu perfekt passt zur Social Media. Hier ist alles fließend,  alles ein permanenter Prozess, alles scheinbar, nichts endgültig, immer offen – und doch völlig leer.

Und diese Leere überwältigt uns, reißt uns mit sich. In den sozialen Medien sind wir einsamer denn je.

Diese Leere überwältigt uns, reißt uns mit sich. In den sozialen Medien sind wir einsamer denn je. Und selbst bei den Demonstrationen für die Demokratie und gegen alles, was den Menschen des Menschseins beraubt, stellen wir am Ende fest, dass wir wieder ganz allein sind. 

Das Ich verschwindet in dieser Leere.

Wir haben – bei dem nunmehr endgültigen Übergang in das neue Jahrtausend – das Gefühl, dass es beides nicht mehr gibt. Die Gemeinschaft nicht, dieses Füreinander, und die Gesellschaft nicht, dieses Gegeneinander, bei dem wir uns mit unseren Interessen im Widerstreit mit anderen bewegen, mit unseren Meinungen und Ansichten.

 1998: Wir sind eine Gesellschaft, die noch nicht gemerkt hat, dass sie in einem ständigen Transformationsprozess steckt.

Herwig Birg (*1939), deutscher Bevölkerungswissenschaftler

 

Wohl kein anderes Gemeinwesen ist so radikal und so ohne Vorbehalt ‚Gesellschaft‘ geworden wie das bundesdeutsche“, schrieb Graf von Krockow damals in der Wochenzeitung ‚Die Zeit‘. Ja, wir waren vor allem eine Hochleistungsgesellschaft. 

Wir, also die Babyboomer, die wir während des Wirtschaftswunders in diese Welt hineingeboren wurden, hatten unsere Probleme mit dieser Hochleistungsgesellschaft. Wir waren sehr fleißig. Das schon. Wir waren es auch gerne. Aber Faulsein war auch wunderschön. Am besten im Ausland, im Urlaub. An die Massenstrände Italiens und Mallorcas.

Doch dann verloren wir uns irgendwann selbst aus den Augen.

Nun leben wir, die Generation der Babyboomer, in einem Vakuum, sind Rentner von Beruf oder diesem Berufsziel sehr nahe.

Auf der Straße begegnen wir uns selbst, den Silberrücken. Radeln aneinander vorbei. Wie früher. Als Kinder. Grinsen kurz.

Weiter geht’s! Unaufhaltsam. Unterhaltsam – der täglichen Auferstehung entgegen.  

Der Maria-Hilfs-Motor des Mofas ist nun elektrisch ins Fahrrad geladen. Welch‘ ein Fortschritt! Zwei Beine, zwei Räder – was brauchst Du mehrfür Deine Auferstehung?

Du bist wieder so frei wie ein Kind.

Genieße es, bevor Dir die Schilder-Bürokratie den Spaß verdirbt! Sie tritt bereits in die Pedale. Im Namen des Gemeinwohls. Das größte aller Imitativsysteme kassiert das letzte Stück Freiheit. Und du merkst es erst dann, wenn es längst zu spät ist. Dabei hat alles schon vor langer, langer Zeit begonnen – vor 250 Jahren. Mit der Aufklärung. Mit dem Beginn der Großen Transformation, die alles in sich verschlingt.

Doch was – zum Teufel – sind Imitativsysteme? Wir begegnen ihnen überall, aber wir erkennen sie nicht. Wahrscheinlich haben wir noch nie etwas von ihnen gehört. Dabei schauen wir täglich in deren jüngstes, perfektes und perfidestes Produkt hinein: in das Smartphone. Es hat alles, es ist die Krönung aller Imitativsysteme. Es imitiert Gemeinwohl, es imitiert die Freiheit des einzelnen – und zerstört beides zugleich.

Ein Gedanke, so klar, dass man ihn eigentlich gar nicht aussprechen darf. Jedenfalls nicht in Echt.

Sind wir überhaupt echt?

Natürlich erwarten wir darauf echt keine Antwort.