Freitag, 27. Dezember 2024

TITAN ODER UNTERTAN (Teil 1)

 

Teil 1: Die Entscheidung

Unter uns Online-Journalisten, die um die Augäpfel der Leser buhlen, ist es immer mehr üblich geworden, einen Artikel mit einer atemberaubenden Frage oder Behauptung zu beginnen, um sie dann unter Einsatz  langatmiger Ausführungen ins Banale verflüchtigen zu lassen. Zwischendurch gibt es zwar mal eine direkte Antwort auf Frage oder Behauptung, aber diese hätte sich der Leser selber geben können. So eilen seine Augen durch die Zeilen auf der Suche nach Auflösung, um dann völlig enttäuscht zu sein. Nur nebenbei wird das Thema, das uns reizte, behandelt. Uns Online-Journalisten ist dies eigentlich völlig egal. Wir wollten ja sowieso etwas ganz anderes erreichen. Eigentlich nur die Aufmerksamkeit - und damit verbunden eine kommerziell verwertbare oder zumindest eine unser Ego streichelnde Verweildauer.

Die Leser haben mal wieder ihre Zeit an uns verplempert. 

Click sei Dank.

Damit das keiner merkt, gilt: Die Frustration muss stets eine andere werden. Und darin sind wir inzwischen sehr erfahren.

Zur Frustration wurden wir erzogen. Zur Frustration streben wir. Frustration - Vergeblichkeit - war eines der Schlüsselworte der 68er, ergänzt um den Begriff Manipulation. Wir, die Journalisten und einzigen Nachfolger der 68er, lieben es, Eure Frustration, liebe Lesende, zu manipulieren. Das ist unsere Leidenschaft. Das ist unser Geschätsmodell. Ironie ist verboten, weil sie zerstört unsere Autorität und unsere Legitimation. Wir sind die Hüter der über allem stehenden Moral. Wir wissen, was gut und was böse ist. Wir sind die Titanen des Sozialen und des Medialen. Wer uns folgt, wird gerettet werden.

Ich frage Sie also: Sind Sie stark genug für die Wahrheit und für Nichts als Wahrheit? Dies ist also eine Warnung vor Neben- und Nachwirkungen.

So viel Fairness muss sein von einem Journalisten Ihres Vertrauens.Das können Sie, das dürfen sie erwarten.

Nach diesen vielen Zeilen, die Ihre Erwartungshaltung ins Unermessliche gesteigert haben, kommen nun die „Fragebomben“, um einen Begriff der Dichterin Nelly Sachs zu verwenden. Ich zitiere die Literaturnobelpreisträgerin, um Ihnen, liebe Lesenden, ein beliebiges Beispiel für meine eigene Belesenheit zu geben und mir bei Ihnen den notwendigen Respekt zu verschaffen und für eine entsprechende Distanz zu sorgen, die dadurch gemildert wird, weil ich weiß, dass Sie wissen, wer Nelly Sachs war, ohne dafür Google bemühen zu müssen. (In Wirklichkeit wollte ich nur den Begriff „Fragebombe“ loswerden. Der passt so schön zu uns allen überlegenen investigativen Journalisten, als den Sie mich natürlich einstufen sollen.)

Jetzt gehören Sie bestimmt zu meinen Lesenden, oder? 

Ein den ungeschriebenen Regeln des Online-Journalismus entsprechender, echter Anfang sähe so aus:

 

DAS CONNECTIV-COLLECTIV: 

 

Dass ich in diesem Artikel nicht annähernd das halten kann, was der Titel verspricht, erwarten Sie bereits. Denn Sie als Lesender holen sich hier dann Ihre tägliche Ration an Frustration. Sie werden hier als Konsument angesprochen, also als entmündigt. Sie sind untertan.

Viel ehrlicher wäre es, wenn ich zu einer ganz anderen Masche greifen würde, bei der sich Marketing und Journalismus einander bis zur Nichtunterscheidbarkeit angleichen. Sie ist insofern ehrlicher, weil sie Dich (und jetzt sind wir auf der Ebene der Duz-Freundschaft)  von vornherein herumkommandiert und dabei voraussetzt, dass Du unbedingt die Digitale Transformation willst und Dich dazu bekennst. 

 

DAS CONNECTIV-COLLECTIV:




Das zweite Beispiel könnte deshalb direkt aus der IT-Branche kommen, tausendfach angewendet. Begleitet meistens von einem total gentrifizierten Foto. Alle sind gleich alt. Total. Alle strahlen. Dental. Alle sind alle Typen. Genial. 

Du bist uns hier als Mitarbeitender herzlich willkommen. Wir schaffen hier an einem Projekt, das größer ist als alles andere, was der Mensch bisher geschaffen hat. 

Ja, wir schaffen uns selbst ab, um als Avatare neu geboren zu werden. Du bist hier ein Titan.

***

Und Sie, Sie müssen sich jetzt entscheiden, ob Sie lieber dem „Krieg der Superhirne“ folgen wollen oder ob Du lieber „Deine Digitale Transformation“ realisieren willst. 

Leider endet dieser Teil 1 ebenfalls in einer genial inszenierten Frustration, die da lautet: Morgen mehr. 

(Nachsatz: Sollte ich übrigens weniger als zehn Kommentare bekommen, werde ich frustriert sein.)

 




22 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Kommentar1: ein kleiner Schritt zur Frustrationsbekämpfung

Anonym hat gesagt…

1 Kommentar kommt selten allein 😉

Anonym hat gesagt…

Aller guten Dinge sind drei!

Raimund Vollmer hat gesagt…

Danke schon einmal für diese drei Kommentare.

Besserwisser hat gesagt…

Es gibt nur einen Titan: Sein Name lautet Olli Vulkan 😉

Anonym hat gesagt…

Immer dieses hölzerne 'Lesender.
Gibt's 'Leser' nur noch historisch?

Anonym hat gesagt…

Wenn von Online-Schreibern (Online-Journalisten verwende ich nicht mehr) allzu offensichtlich die Fangarme in Überschriften oder Intros ausgestreckt werden, lese ich regelmäßig nicht weiter. Der Kick ging meist viel zu schnell ins Öde und die Enttäuschung über und die Zeit dahin. Wenn schon Zeit verplempern, dann bitte ohne Enttäuschung.

Anonym hat gesagt…

...buhlen um Augäpfel....
"Die toten Glotzböbbel vom Dr. Marcuse": Reutlinger Variante des Edgar-Wallace-Films
Nach manchen Artikel sind die Augäpfel auch tot. Langsam eingedämmert während des Lesens. Oft ist das Gehirn noch schneller.

Anonym hat gesagt…

Zwei Kommentare sind noch nicht das Wahre.

Anonym hat gesagt…

Kommt der Kommentar zum Dritten, geht's auf 10 mit schnellen Schritten.

Anonym hat gesagt…

Wenn ich mich auch sonst genier', ich trau' mich mit der #4.

Anonym hat gesagt…

Die 10 sind erreicht!

Anonym hat gesagt…

Die 1000 Glotzböbbel, net die 'doude'.

Analüst hat gesagt…

Vielleicht können die Schreibenden nicht anders 🤣🤣🤣

Besserwisser hat gesagt…

Der Schreibende, bitte. Wir wollen doch gendergerecht UND genau bleiben

Analüst hat gesagt…

Ich poste, also bin ich!

Anonym hat gesagt…

Ich proste, also ....

Anonym hat gesagt…

Dr. Mabuse

Analüst hat gesagt…

Prostata!

Anonym hat gesagt…

Wie öde das Leben auf dieser Welt ohne Dummköpfe wäre!

Michail Jurjewitsch Lermontow (1814 - 1841 (im Duell)), russischer Offizier, Schriftsteller und Lyriker,

Anonym hat gesagt…

20 Kommentare - wo bleibt die Fanfare?

Anonym hat gesagt…

🎶🎶 📯