Aus: Die Geschichte des PCs - Von Raimund Vollmer
Es war in der Halbzeit des Superbowls, als plötzlich die Mattscheibe in das Schwarz-Weiß-Zeitalter zurückfiel und eine riesige Halle einblendete. Zu Zombies erstarrte Menschen stieren mit leeren Augen auf einen gewaltigen Bildschirm, von dem ein übermächtiger Big Brother herabblickt. Inmitten dieser gespenstischen Szene taucht auf einmal ein junges, athletisches Mädchen in apfelroten Shorts auf der nun wieder farbigen Mattscheibe auf, rennt zu dem Bildschirm, wirbelt herum und zerschmettert ihn mit einem Vorschlaghammer. Während das Bild des Big Brothers in tausend Scherben zerfällt, erwachen die Seelen der grauen Menschen zu neuem Leben.
Dann erscheint ein Text: »Am 24. Januar wird Apple den MacIntosh vorstellen. Und Sie werden sehen, daß 1984 wird nicht so sein wird wie `1984’. Apple Computers.«[1]
Der heilige Krieg. »Für jeden, der irgendetwas über IBM und Apple wußte, waren die Implikationen unmissverständlich klar. Apple war der kühne Held, der mit unkonventionellen Methoden arbeitete. IBM hingegen stand für die Tyrannei der großen Firmen, die mit ihrem Konformitätszwang jedermann quälte«, kommentierte das Fachblatt Electronics die Werbe-Show.[2] Für Newsweek hatte der nun offen zu Tage tretende Konflikt zwischen den beiden Anbietern bereits den Charakter eines »heiligen Krieges«:[3]
Auf der einen Seite stand der alte Goliath IBM (Umsatz 1983: 40,2 Milliarden Dollar), auf der anderen Seite der David Apple (Umsatz 1983: 982,8 Millionen Dollar). Welch ein Mißverhältnis! Big Blue war 40mal größer als der Herausforderer. IBM schien der strahlende Sieger zu sein: Während Apple 1981 noch 41,2 Prozent des amerikanischen Desktop-Marktes beherrschte, war ihr Anteil 1983 auf etwa 24 Prozent gesunken. Wertmäßig - so ermittelte die Gartner Group - waren es am Jahresanfang sogar keine zehn Prozent mehr gewesen.[4] War sie 1981 noch die Nummer 1, so rangierte sie jetzt auf Position 2 - und das, obwohl ihr Umsatz 1983 um 69 Prozent gestiegen war.
DER CLICK ZUM CLIP:
http://www.macprime.ch/cinema/movie/steve-jobs-praesentiert-1984/
Die Pleite des PCjr. Rund 1,4 Millionen Exemplare hatten die Kalifornier laut Dataquest bis Ende 1983 von ihrem Starprodukt Apple II verkauft. Allein im Dezember sollen 90.000 bis 100.000 Exemplare über die Händler-Tische gegangen sein. » Apple sollte sich eigentlich in Rabbit [Kaninchen] umtaufen lassen, denn deren Rechner vermehren sich so schnell«, scherzte Thomas M. Lodahl, damals Chefanalyst für Bürokommunikation bei der Diebold Group.[5] Noch einmal hatte die legendäre Maschine, die 1977 auf den Markt gekommen war, abgeräumt und Apple stolze Bruttomargen von 48 Prozent beschert.[6] Sie konnte dies ungehindert tun, weil der PCjr. – IBMs Gegenofferte – das Weihnachtsgeschäft verpasst hatte. Der Apple II leistete sogar noch mehr: er kompensierte den Mißerfolg, den der Ende 1980 angekündigte Apple III den Kaliforniern beschert hatte. Das Produkt war nicht ausgereift gewesen. So mussten rund 14.000 Maschinen zurück ins Werk gerufen werden. Damals war die Firma gerade mit einem Kurs von 22 Dollar an die Börse gegangen und konnte sich solche Image-Verluste kaum leisten. Nachdem der Kurs auf 10 Dollar gesunken war, rettete der Apple II das Ansehen.
Doch nun, im Januar 1984, war allen klar, daß die Tage des lütten 8-Bitlers aus Kalifornien gezählt waren. Die nächste Runde war eröffnet. Die durfte auf keinen Fall an IBMs PCjr. gehen. Mehr noch: ein Frontalangriff gegen den Meister aller Klassen, gegen IBM, musste inszeniert werden.[7] Einen besseren Zeitpunkt für ihre öffentliche Kriegserklärung hätte Apple gar nicht wählen können. Wir schrieben immerhin das Orwell -Jahr »1984».
Ein Clip macht Karriere. Das Volk war für das totalitäre Thema sensibilisiert. Die Sympathie gehörte dem Kleinen und Schwachen. Eine Medienanalyse ergab, daß sich selbst am Tag nach der einminütigen Aufführung 79 Prozent der Zuschauer an den Werbe-Film erinnern konnten. In den Abendnachrichten war der rund eine Million Dollar teure Streifen sogar wiederholt worden. Diesmal kostenlos. Analysierte die Fachzeitschrift Electronics: »Die Tatsache, dass der Spot nur ein einziges Mal während der Spielübertragung ausgestrahlt wurde, erhöhte nur die Mystik.«[8] Dabei hatte die Werbeagentur Chiat/Day in San Francisco die Orwell-Orgie noch zweimal wiederholen wollen, aber dem zurückhaltenderen Aufsichtsrat von Apple war eigentlich schon einmal zuviel.
Doch der Sturm-und-Drang-Spot schlug ein wie eine Bombe. Ausgedrückt im Jargon des Apple-Gründers Steven Jobs war der Erfolg schlichtweg »insanely great«. Am Tag nach der Ankündigung verkaufte Apple innerhalb von sechs Stunden Computer im Wert von 3,5 Millionen Dollar. Schon in der Woche zuvor hatten 24 amerikanische Colleges signalisiert, daß sie insgesamt Rechner im Wert von 50 Millionen Dollar plazieren würden.[9] Der Macintosh war noch gar nicht offiziell angekündigt, da war er bereits ein Verkaufsschlager und eine Legende. Er war der » Computer for the rest of us « (Werbeslogan).[10]
Den Grundstock dafür hatte seine ältere Schwester gelegt. Ihr Name: Lisa. Sie hatte als Hochpreisprodukt das vorbereitet, was ihr kleiner Bruder vollenden sollte: absolute Benutzerfreundlichkeit. Das war ihr mit einem Aufwand von 50 Millionen Dollar entwickeltes Alleinstellungsmerkmal, das nun voll auf den erheblich preisgünstigeren kleinen Bruder übertragen wurde.
JOURNALSE-Quellen: Archiv Raimund Vollmer
[1] Wall Street Journal, 24.1.1984, Erik Larson, Carrie Dolan: » Apple courts the press as it prepares ton unveil Macintosh Model today«
[2] Electronics, 4/1989, John McLeod: »Giving it one big push: Apple and `1984'«
[3] Newsweek, 30.1.1984, Michael Rogers: »It's the Apple of his eye«
[4] Computerwoche, 16.6.1983: »IBM kann bestellte PCs nicht liefern«
[5] Fortune, 3.5.1992, Bro Uttal: »What`s detainung the office of the future«
[6] The Economist, 24.8.1991: »Apple: what price glory?«
[7] Business Week, 16.1.1984: »Apple computer's counterattack against IBM«
[8] Electronics, 4/89, ohn McLeod: »Giving it one big push: Apple and `1984'«
[9] Financial Times, 32.1.1984, Louise Kehoe: »Apple seeks to fend off IBM with launch of desktop range«
[10] The Economist, 24.8.1991: »Apple: what price glory?«
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