1987: »Wir sehen einen
Anstieg der Gier. Wir sehen, dass Menschen Geld schnell und hart hineinwerfen -
ohne nachzudenken.«
Thomas Czech, Marktforschung Blunt Ellis
& Lowi
Die Umschichtung von Kapital & Arbeit
Vor dem Crash hatte in
den USA die Zahl der Merger ein
Volumen von 161 Milliarden Dollar erreicht und lag damit fast schon so hoch wie
das gesamte Jahr 1986, das mit 173 Milliarden Dollar abschloß. Gleichzeitig
hielten sich die Unternehmen bei Kapitalinvestitionen im Inland zurückhielten.
Konsum war alles. Es sah so aus, als würde in einem kollektiven Rausch die
Drohung verdrängt, dass alles auf einen Zeitbruch hinsteuerte. »Derzeit sind
25 bis 29 Millionen Menschen in amerikanischen Produktionsjobs engagiert«,
orakelte 1982 Raj Reddy, Wissenschaftler
an der Carnegie Mellon University.
»Ich erwarte, dass es im Jahr 2010 weniger als drei Millionen sein werden.«
Eine Prognose, die niemand an der Börse ernsthaft anzweifelte. Im
Gegenteil, sie sahen sich auf der sicheren Seite. Unter den Studienabgängern
waren Arbeitsplätze in Produktionsunternehmen alsbald verpönt. Nur an der Wall Street schienen die Jobs nicht
nur sicher zu sein, sie bereiteten auch kolossalen Spaß. Und dafür sorgte der
Computer. Er war der beste Freund der Börsianer.
Die Informatisierung feierte grandiose Triumphe ‑ vor allem bei den
Fondsmanagern. Bis dahin hatten sie passiv an den Märkten teilgenommen.
Sie waren schlafende Riesen, die den Experten der Investmenthäuser und Banken
ausgeliefert waren. Doch nun hatten sie im Computer ein professionelles
Werkzeug gefunden, das es ihnen erlaubte, an den volatilen Kapitalmärkten
ebenso mitzuspielen wie die etablierten Börsianer. Ihre Fondskollegen, die
noch mit Papier und Bleistift arbeiteten, hatten sie bereits geschlagen.
Wer das ihm anvertraute Vermögen per Computerbefehl von einer Chance zur
nächsten jagte, hatte allein zwischen 1981 und 1985 den Geldeinsatz um 218
Prozent gesteigert, während der Durchschnitt der damals 905 Fonds sich mit
einer Vermehrung von 91,7 Prozent zufrieden geben mußte.[1] Es war klar: wer über Computer verfügte,
besaß einen Informationsvorsprung, der konnte den Index schlagen ‑ und sich
damit von der Masse abheben. Damit war man nicht nur effizient, sondern auch
effektiv. Täglich abzulesen, an den steigenden Aktienkursen. Hier wurden Werte
geschaffen. Man mußte nur blitzschnell zuschlagen.
Auch die konservativen Pensionsfonds sahen ihre Chance. In den USA
verwalteten sie 1981 etwa 20 Prozent des Aktienkapitals, 1987 hatten sie sich
30 Prozent gesichert ‑ und auch sie hingen nun am Computer. Die
Informationstechnologie hatte die Händler des Geldes und der Vermögen mit seiner
enormen Leistungsfähigkeit zu neuen Helden gemacht. Anstatt in ihre Betriebe
zu investieren, spielten die Konzerne an den Kapitalmärkten. Sie starteten Takeovers, kauften Aktien zurück
oder inszenierten Leveraged Buy‑Outs.
Und die Börse gab ihnen in allem, was sie taten, auch noch recht. Jeder
bestätigte jeden in seinem Tun. Immer raffiniertere Methoden und Modelle wurden
ausgetüftelt, um mit Hilfe von Computer aus Geld immer schneller noch mehr
Geld zu machen. Die Börse hatte alle institutionellen Akteure vereinigt.
Und damit waren sie in eine grandiose Falle getappt: Gefangen in einem
weltweiten Netz der Finanzmärkte senkten sie »ihre Aufmerksamkeit gegenüber
den eigentlichen Wünschen der Kunden. Sie waren nur noch damit beschäftigt,
sich selbst so zu positionieren, dass sie von den niemals enden wollenden
Schwankungen des Marktes profitierten«, staunte im September 1985 Business Week.[2] In diesen
Schwankungen lagen die Chancen. Aber die Fixierung auf das schnelle Geschäft in
einem globalen Umfeld zeigte 1986 bereits erste Crash‑Symptome: den Profis gelang es immer weniger den Index zu
schlagen. Die Unterschiede zwischen den Teilnehmern schwanden. Die
Gleichförmigkeit griff. Der Index trieb nach oben, aber um von ihm zu
profitieren, musste immer mehr Geld eingesetzt werden. Davon gab`s genug.
Kleinanleger wollten nun ebenfalls von der Hausse profitieren‑ und fielen in denselben Rausch.
Ohne die Hilfe ihrer Rechner konnten die Broker gar nicht das viele Geschäft abwickeln. Aber für die
Investmentbanken wurde es immer weniger lukrativ. Die Personalkosten liefen
ihnen davon, die Profite sanken. In Deutschland hingegen, wo die
Automatisierung der Börsen noch völlig unterentwickelt war, wurden private
Anleger sogar abgewimmelt. Wer vor zehn Jahren noch bis zehn Uhr seine Aufträge
nicht erteilt hatte, kam gar nicht zum Zuge.[3] In New
York hingegen herrschte action.
Vergessen war längst die Warnung von solchen Auguren wie Reddy: »Niemand, der heute an der
Macht ist, versteht, was geschieht, oder erfaßt, was kommen wird.« So hatte
er zu Beginn der Hausse gesagt.[4] Aber es
mußte doch auch keiner verstehen, was geschah. Es funktionierte doch! Vier
Jahre später meinte 1986 Walter
Wriston, bis 1984 Chairman
der besonders innovationsfreudigen Citicorp.:
»Wir sind nun an dem Punkt, wo es keinen Weg mehr zurück gibt. Die 200
Millionen Aktien, die täglich an der New Yorker Börse gehandelt werden, können
von Menschen ebenso wenig gemeistert werden wie die Vermittlung von Telefongesprächen.
Es gibt dazu einfach zu wenig Menschen auf der Welt«. Das war natürlich Wasser
auf die Mühlen der Computerprofis. Sie waren es gewesen, die diese hocheffiziente
Infrastruktur aufgebaut hatten. Ohne die Dinos im Hintergrund waren die Desktops machtlos.
Mochten die Börsenprofis noch
soviel Geschäft heranholen, ohne die intelligente Infrastruktur würden sie
keinen einzigen Deal abwickeln
können. »In nicht weniger als einer Dekade«, so rekapitulierte das
Wirtschaftsmagazin The Economist
im Juli 1990 das zurückliegende Jahrzehnt, »verwandelte die Macht der Computer
die Natur des Kapitals. In unerwarteter Weise veränderten sie die Art und
Weise, in der die Nutzer der Technologie miteinander konkurrieren.«[5]
63 Monate währte der Börsenboom zwischen 1924 und
dem Crash im Oktober 1929. Beinahe hätten die Computer in den 80er Jahren
diesen Rekord eingestellt. Es fehlte 1 Monat.
// Teil 1 // Teil 2 // Teil 3 // Teil 4 // Teil 5 // Teil 6
[1] The Economist, 21.3.87: »Computer challenge the stockmarket gurus«
[2] Business Week, 16.9.85, Anthony Bianco: »Playing with fire«
[3] Frankfurter Allgemeine Zeitung, 25.2.86: »Die
Papierflut erschwert den Börsenhandel«
[4] Business Week, 8.3.82: »Artificial Intelligence«
[5] The Economist, 21.7.1990, Dominic Ziegler: »In search of the crock
gold ‑ a survey of international capital markets«
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