Mittwoch, 21. Oktober 1987

Der Crash von 1987 (Teil 3)



1987: »Wir sehen einen Anstieg der Gier. Wir sehen, dass Menschen Geld schnell und hart hineinwerfen - ohne nachzudenken.«
Thomas Czech, Marktforschung Blunt Ellis & Lowi

Die Umschichtung von Kapital & Arbeit


Vor dem Crash hatte in den USA die Zahl der Merger ein Volumen von 161 Milliarden Dollar erreicht und lag damit fast schon so hoch wie das gesamte Jahr 1986, das mit 173 Mil­liarden Dollar abschloß. Gleichzeitig hielten sich die Unter­neh­men bei Ka­pi­tal­in­ve­stitionen im Inland zu­rück­hielten. Konsum war alles. Es sah so aus, als würde in einem kollektiven Rausch die Drohung verdrängt, dass alles auf einen Zeitbruch hinsteuerte. »Der­zeit sind 25 bis 29 Millionen Menschen in amerikanischen Pro­duk­tionsjobs en­ga­­giert«, orakelte 1982 Raj Reddy, Wissen­schaft­ler an der Car­ne­gie Mel­lon University. »Ich erwarte, dass es im Jahr 2010 we­ni­ger als drei Millionen sein werden.« Eine Prog­no­se, die niemand an der Bör­se ernst­haft anzweifelte. Im Gegenteil, sie sahen sich auf der si­cheren Seite. Unter den Studienabgängern waren Arbeitsplätze in Pro­duk­tions­unternehmen alsbald verpönt. Nur an der Wall Street schienen die Jobs nicht nur sicher zu sein, sie bereiteten auch ko­los­­salen Spaß. Und dafür sorgte der Computer. Er war der beste Freund der Börsia­ner.
Die Informati­sierung feierte grandiose Triumphe ‑ vor allem bei den Fondsmana­gern. Bis dahin hat­ten sie passiv an den Märk­­ten teil­ge­nommen. Sie waren schlafende Riesen, die den Experten der Invest­ment­häuser und Banken ausgeliefert waren. Doch nun hatten sie im Computer ein pro­fessionelles Werkzeug gefun­den, das es ihnen er­laubte, an den vo­la­tilen Kapitalmärkten eben­so mit­zu­­spielen wie die etablierten Bör­sianer. Ihre Fondskollegen, die noch mit Papier und Blei­stift ar­bei­te­ten, hatten sie bereits ge­schlagen. Wer das ihm anver­traute Ver­mö­gen per Computerbefehl von einer Chance zur näch­sten jagte, hatte allein zwischen 1981 und 1985 den Geldeinsatz um 218 Prozent ge­stei­gert, während der Durchschnitt der da­mals 905 Fonds sich mit einer Vermehrung von 91,7 Prozent zufrie­den geben mußte.[1]  Es war klar: wer über Computer verfügte, besaß einen Informationsvorsprung, der konnte den Index schlagen ‑ und sich damit von der Masse abheben. Damit war man nicht nur ef­fi­zient, sondern auch effektiv. Täglich abzulesen, an den steigenden Aktienkursen. Hier wurden Werte geschaffen. Man mußte nur blitzschnell zuschlagen.
Auch die konservativen Pensionsfonds sahen ihre Chance. In den USA verwalteten sie 1981 etwa 20 Prozent des Aktienkapitals, 1987 hat­ten sie sich 30 Prozent gesichert ‑ und auch sie hingen nun am Com­pu­ter. Die Informationstechnologie hatte die Händler des Geldes und der Vermögen mit sei­ner enor­men Leistungsfähigkeit zu neuen Helden gemacht. Anstatt in ihre Betriebe zu investieren, spielten die Kon­zerne an den Kapitalmärkten. Sie starteten Takeovers, kauf­ten Ak­tien zurück oder inszenierten Leveraged Buy‑Outs. Und die Börse gab ihnen in allem, was sie taten, auch noch recht. Jeder bestätigte je­den in seinem Tun. Immer raf­fi­niertere Methoden und Modelle wur­den ausgetüftelt, um mit Hilfe von Computer­ aus Geld immer schnel­ler noch mehr Geld zu machen. Die Bör­se hatte alle in­sti­tu­tionellen Akteure vereinigt. Und damit waren sie in eine gran­diose Falle getappt: Gefangen in einem weltweiten Netz der Finanz­märkte senkten sie »ihre Aufmerksamkeit gegenüber den eigentlichen Wünschen der Kunden. Sie waren nur noch damit beschäftigt, sich selbst so zu positionieren, dass sie von den niemals enden wollenden Schwankungen des Marktes pro­­fitierten«, staunte im September 1985 Business Week.[2] In diesen Schwankungen lagen die Chancen. Aber die Fixierung auf das schnelle Geschäft in einem globalen Umfeld zeigte 1986 bereits erste Crash‑Symptome: den Profis gelang es immer weniger den Index zu schlagen. Die Un­ter­schiede zwischen den Teilnehmern schwanden. Die Gleichförmigkeit griff. Der Index trieb nach oben, aber um von ihm zu profitieren, musste immer mehr Geld eingesetzt werden. Davon gab`s genug. Kleinanleger wollten nun ebenfalls von der Haus­se profitieren‑ und fielen in denselben Rausch.
Ohne die Hilfe ihrer Rechner konn­ten die Broker gar nicht das viele Ge­schäft ab­wickeln. Aber für die Investmentbanken wurde es immer we­niger lukrativ. Die Personalkosten liefen ihnen davon, die Pro­fite sanken. In Deutschland hingegen, wo die Automatisierung der Börsen noch völlig unterentwickelt war, wurden private Anleger sogar ab­gewimmelt. Wer vor zehn Jahren noch bis zehn Uhr seine Aufträge nicht erteilt hatte, kam gar nicht zum Zuge.[3] In New York hingegen herrschte action. Ver­gessen war längst die War­nung von solchen Auguren wie Reddy: »Nie­mand, der heute an der Macht ist, ver­steht, was ge­schieht, oder er­faßt, was kommen wird.« So hatte er zu Beginn der Hausse gesagt.[4] Aber es mußte doch auch keiner verstehen, was geschah. Es funktionierte doch! Vier Jahre später meinte 1986 Walter Wriston, bis 1984 Chairman der besonders innovationsfreudigen Citi­corp.: »Wir sind nun an dem Punkt, wo es keinen Weg mehr zurück gibt. Die 200 Millionen Aktien, die täglich an der New Yorker Börse gehandelt werden, können von Men­schen ebenso wenig gemei­stert wer­den wie die Vermittlung von Te­lefongesprächen. Es gibt da­zu einfach zu wenig Menschen auf der Welt«. Das war natürlich Wasser auf die Mühlen der Compu­ter­pro­fis. Sie waren es gewesen, die diese hocheffi­ziente In­fra­struk­tur auf­ge­baut hatten. Ohne die Dinos im Hintergrund waren die Desk­tops macht­los.
 Mochten die Börsenprofis noch soviel Geschäft heran­ho­len, ohne die intelligente Infrastruktur würden sie keinen einzigen Deal ab­wickeln können. »In nicht weniger als einer Dekade«, so rekapi­tu­lierte das Wirtschaftsmagazin The Economist im Ju­li 1990 das zu­rück­liegende Jahrzehnt, »verwandelte die Macht der Com­puter die Na­tur des Kapitals. In unerwarteter Weise veränderten sie die Art und Weise, in der die Nutzer der Technologie mitein­an­der kon­­kur­rie­ren.«[5]
63 Monate währte der Börsenboom zwischen 1924 und dem Crash im Oktober 1929. Beinahe hätten die Computer in den 80er Jahren diesen Rekord eingestellt. Es fehlte 1 Monat.


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[1] The Economist, 21.3.87: »Computer challenge the stock­market gu­rus«
[2] Busi­ness Week, 16.9.85, Anthony Bianco: »Playing with fire«
[3] Frankfurter Allge­mei­ne Zeitung, 25.2.86: »Die Papierflut erschwert den Börsen­handel«
[4] Bu­siness Week, 8.3.82: »Artificial Intelli­gen­ce«
[5] The Economist, 21.7.1990, Dominic Ziegler: »In search of the crock gold ‑ a survey of international capital mar­kets«

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