1934: »Gentlemen, machen Sie keinen Fehler! Die Börse ist eine perfekte Institution.«
Richard Whitney, Präsident des New York Stock Exchange, gegenüber dem amerikanischen Senat, der die Börsenaufsicht Securities Exchange Commission einführen wollte. 1938 wurde Whitney wegen des Diebstahls von Wertpapieren seiner Kunden eingekerkert.
Das Vorspiel
Düstere Vorahnungen: Titelseite des
Wirtschaftsmagazins The Economist aus 1982
Von Raimund Vollmer
New York. Donnerstag, 12. August 1982. Der Dow
Jones hatte mit 776,62 Punkten den Rekordtiefstand des Jahrzehnts erreicht.
Sollte die Börse wieder in die Langeweile der siebziger Jahre zurückfallen?
Es sah so aus. Nachdem der Index am 18. Januar 1966 für wenige Augenblicke die
1000er Marke genommen hatte, mußten die Börsianer sieben Jahre warten, bis er
sie endlich am 14. November 1972 mit dem Schlußkurs von 1003,16 fixiert
hatte. Doch dann war lange Zeit nicht viel geschehen.[1] Es kamen
Jahre »des langsamen Wachstums, hoher Zinsraten, der gallopierenden
Inflation und der sinkenden Gewinne«, räsonnierte Business Week über diese trübe Zeit.[2] Und auch
jetzt roch es nach einer Baisse.
Die 1000er Marke war weit entfernt. Gar einen Abfall auf 750 Punkte
kalkulierten viele institutionelle Investoren inzwischen ein.
So gratulierten sie sich an diesem Tag gegenseitig dafür, dass sie
sich aus der Börse zurückgezogen hatten und in eine Cash‑Position geflüchtet waren. Sie waren dem Rat ihres
Börsengurus gefolgt, vor dem sie innerlich allesamt stramm standen: Joseph Granville, Herausgeber eines
allmächtigen Börsenbriefs. Alles, was von der Börse zu erwarten sei, wäre
»eine Hausse für Einfaltspinsel«.
So hatte Big Joe posaunt.[3] Zu den
naiven Amateuren wollten die Profis nicht gehören.
Doch dann gab es einen Ruck. Der Grund: Henry Kaufman, der noch größere Bär in der Investmentszene und
Chefvolkswirt bei Salomon Brothers,
hatte am Dienstag, 17. August 1982, um 10.20 Uhr im Widerspruch zu seinen
eigenen früheren Ansichten erklärt, dass sich die Zinsen in den nächsten zwölf
Monaten im freien Fall befänden.[4] Auf
einmal sahen die institutionellen Anleger ziemlich alt aus. Kaufman hatte sie auf dem falschen
Fuß erwischt. Sie stürzten sich nun wie verrückt auf den Aktienmarkt. Das durchschnittliche
Tagesvolumen an der New Yorker Börse hatte 1980 noch bei 49 Millionen Aktien
gelegen. An diesem 17. August 1982 registrierten die Börsianer, dass nahezu
93 Millionen Aktien gehandelt wurden. Innerhalb einer Woche legte der Index
fast 100 Punkte zu. »Wilde Zeiten an der Wall
Street«, schrieb die Londoner Financial
Times.[5]
Es gab kein Halten mehr. »Eine maximale Position bei Aktien« einzunehmen,
empfahl nun David B. Bostian,
ein anderer Finanzguru. Jetzt gäbe es nur noch den schönsten Kurs aller Kurse:
nordwärts, nach oben.[6]
Davon profitierten vor allem die amerikanischen Broker‑Häuser. In den folgenden vier
Monaten stiegen ihre Aktien um 200 Prozent. Von jetzt an war alles auf
Expansion eingestellt.[7] Und die
IBM‑Aktie, die 1979 nach 30 Jahren der Abstinenz wieder Teil des Dow Jones geworden war, sollte bei
den Industriewerten die treibende Kraft werden.[8] Dafür gab
es einen triftigen Grund: bei der Durchdringung der Volkswirtschaften mit immer
mehr Computerpower zu dramatisch sinkenden Preisen spielte sie als größter DV‑Hersteller
der Welt die mit Abstand wichtigste Rolle.
Vor allem aber war es ein Signal für Tausende von Absolventen der Elite‑Hochschulen.
Die Wall Street lockte in
Erwartung des Booms die Yuppies an. Sie hatten nicht nur
die Börse als Arbeitsplatz der Zukunft entdeckt, sondern auch ein neues
Instrument: den IBM PC. Rund 200.000 mal war er bis August 1982 allein in den
USA verkauft worden. Dabei war die Auslieferung erst im Oktober 1981 gestartet
worden. Einer der Hauptabnehmer war Wall
Street. Und nun sollte dieser Tausendsassa endlich seine belebende
Wirkung für die gesamte Wirtschaft & Finanzwelt zeigen. Der Dow Jones, dieses grandiose
Stimmungsbarometer, das im Mai 1996 hundert Jahre alt wurde, setzte zu einem
einzigartigen Sturmlauf an.
Das Ergebnis: In den nächsten 15 Jahren, also bis 1997, legte er 5000
Punkte zu ‑ und die Zahl der PC Anwender stieg auf weit über 200 Millionen. Und
wieder 15 Jahre weiter, im Oktober 2012, stand er bei über 13.000, die Zahl der
PCs werde - so prophezeite noch 2008 die Marktforschung Gartner - 2014 die
Zwei-Milliarden-Grenze überschreiten. Ob es so kommen wird angesichts der Flut
alternativer Produkte, wissen wir nicht. Tablett-Computer und andere Mobilgeräte
verändern momentan das gesamte Marktbild.
In meiner Story von 1997 stand folgende Projektion auf das 2011/12:
"In 15 Jahren könnten es durchaus zwei Milliarden Nutzer sein. Und
der Dow Jones wird dann wohl
längst sechsstellige Dimensionen erreicht haben." Pustekuchen. Zwei
Milliarden Benutzer stimmte zwar, aber damit war die Zahl der Internet-Benutzer gemeint.
Dann fragte ich in der Story: "Welche Rolle wird im Jahr 2011 Big Blue einnehmen? War bis 1987 IBM
die treibende Kraft, so erlebte dieses stolze Unternehmen danach eine
beispiellosen Talfahrt ihres Aktienkurses von mehr als 170 Dollar im August
1987 auf einen historischen Tiefstand von 40,23 Dollar in 1993. Doch seit 1994
befindet sich das Unternehmen wieder im Aufwind und hat die 100 Dollar‑Marke
überschritten. Der Grund dafür ist ein radikal anderes Verständnis ihres
Geschäftes: sie betrachtet die Welt aus der Sicht der Märkte."
Geradezu überschwänglich äußerte sich jetzt der Analyst Tim Brugger im
Blog von The
Motley Fool über Big Blue, deren Spitzname wohl demnächst zu Big Blue Data
erweitert werden müsste. Denn beim Management großer Datenmengen und deren
Analyse sei IBM weltweit führend. Und das Marktpotential steigt ins
Unermessliche. Allein in den letzten 20 Jahren seien 90 Prozent aller Daten
gesammelt worden, die es auf der Welt gäbe. Und der Analyse zitiert dann die
Wall Street, die IBMs Kursziel in den nächsten zwölf Monaten bei 250 Dollar
sieht. Der aktuelle Stand in der Woche der Wahrheit: 208 Dollar. (IBM wird morgen ihr Quartalsergebnis veröffentlichen)
Vor dem Hintergrund ihrer eigenen Geschichte seit den neunziger Jahren
scheint IBM tatsächlich eine kolossale Wende genommen zu haben. Vor allem an
den Märkten. Denn diese nahmen zu Beginn der neunziger Jahre fürchterliche Rache an IBM dafür, dass sie glaubte,
über allen Märkten schweben zu können. Dieser Hybris war nicht nur der Gigant
verfallen: Das erlebten vor allen Dingen ihre wichtigsten Kunden: die
Herrscher der Finanzwelt. Beide scheiterten an ihrer eigenen Professionalität.
Während jedoch IBM für Kontinuität steht, durchleidet die Finanzwelt seit fünf
Jahren ein Fiasko nach dem anderen. Wird IBM über kurz oder lang auch in diese
Katastrophe hineingezogen? Bislang konnte sie sich davor schützen, indem sie
den Gewinn steigerte, aber beim Umsatzwachstum nicht gerade brilliert. Wielange
wird sie das durchhalten können?
Versuchen wir die Zukunft aus der Vergangenheit zu erkunden. Schalten
wir uns ein in das Börsenjahr 1987, das Jahr, in dem die Börse krachte...
// Teil 1 // Teil 2 // Teil 3 // Teil 4 // Teil 5 // Teil 6
[1] Time, 19.1.1987: »The Bull tops 2000«
[2] Business Week, 2.2.1987, Jeffrey M. Laderman, William Glasgall,
Joan Berger: »What the rally really means«
[3] Die Zeit, 22.5.1987: »Schlechter Rat vom Guru«
[4] Financial Times, 19.8.82: »Wild times on Wall Street«
[5] Financial Times, 19.8.82: »Wild times on Wall Street«
[6] Business Week, 1.11.82: »Inside
Wall Street: A guru who called the rally looks
ahead«
2 Kommentare:
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