1985: »Heute sitzen zwischen der Wall Street und Los Angeles Tausende von Händlern vor ihren Computerterminals und orchestrieren die Bewegungen gewaltiger Geldsummen im Rhythmus der Zahlen, die auf ihren Bildschirmen erscheinen. Unentwegt jagen sie nach kurzfristigen Vorteilen, wobei sie sich ebenso auf ihre Intuition als auch auf Analysen verlassen. Der Händler ist der König in der Kasinogesellschaft.«Business Week, 16. September 1985
Synchronlauf in die Krise
Normalerweise läuft die Entwicklung an den Börsen nicht synchron. In
einem Vergleich von 23 Börsenplätzen wurde festgestellt, dass die Korrelation
durchschnittlich bei 0,222 Punkten liegt, wobei 0 für völlige Unabhängigkeit
und 1 für komplette Übereinstimmung steht. Im Oktober 1987 schnellte indes
dieser Index auf 0,755 hoch.[1] Der
elektronische Marktplatz war zum erstenmal vereint ‑ in Panik. Und die Computerprofis
ahnten, dass dies ein bitterer Triumph für sie war.
Auf
jeden Fall hatte niemals zuvor die Welt einen Beweis dafür bekommen,
wie effizient Informationen inzwischen um den Erdball rollten. Aber
glücklich
war darüber niemand. »Wenn alle Marktteilnehmer gleichzeitig über die
gleichen Informationen verfügen, ist zwar völlige Markttransparenz
gegeben«,
beobachtete in einer Analyse der Ereignisse Karl Herbert
Schneider‑Gädicke, stellvertretender Vorstandsvorsitzender
der DG‑Bank, »aber es ist
bedenklich, wenn Anlageentscheidungen ausschließlich am Bildschirm
getroffen werden.«[2]
In der Tat ‑ von den Bildschirmen schien der Anstoß für dieses Massaker
an den
Weltbörsen ausgegangen zu sein. Die kollektive Schuld für das Desaster
wurde
spontan dem programmgesteuerten Handel angelastet. Diese Technik
war
Anfang der achtziger Jahre eingeführt worden ‑ und dies war ihr
erster Crash. »Man kann mit Menschen Börsengeschäfte
machen, aber nicht mit Computern«, klagte in der Woche nach dem Crash
der Wertpapierspezialist John Lyndon. »Mit den Leuten auf dem
Parkett kann man verhandeln, aber nicht mit Program Traders, die nur
auf einen Knopf zu drücken brauchen,
um jede Menge an Aufträgen rauszuschleudern.«[3] »Der
Computer tat es!« titelte mit klammheimlicher Freude die Computerworld, die mit Großrechnern
groß geworden war und wie kaum ein anderes Fachblatt der Zunft der IS‑Experten
die Stange hielt.[4]
Ja, der Computer tat es. Aber war er wirklich schuld? Tatsache war, dass
sie an diesem Tag eine Auftragsflut bewältigen mußten wie es sie zuvor noch nie
gegeben hatte. Natürlich waren sie zeitweilig überfordert gewesen.
Unterbrechungen gab es bei fast allen Komponenten des komplexen
Börsenhandelssystems. Ein Auftragsabwicklungssystem, das die Order der
Brokerhäuser an das Parkett weitergab, crashte viermal am 19. Oktober.[5] Doch wenn
es einen technischen Engpaß gegeben hatte, dann waren es weniger die Rechner
gewesen als die Drucker auf dem Parkett. Sie waren überfordert, als ihre Steuerungseinheiten
auf dem Höhepunkt der Krise seine Maximal-Kapazität von 68 Aufträgen pro
Sekunde überschritt und 72 Orders an die Printer
verteilte, die höchstens zehn bis 12 Ausdrucke in der Minute schafften. Das
erhöhte Volumen konnten sie nicht mehr packen. Die Folge war, dass die
Verkaufsaufträge verspätet und zu Preisen auf dem Parkett ausgeführt wurden,
die nicht mehr synchron waren mit den Konditionen, zu denen die Orders erteilt
wurden. Die Mechanik lief der Elektronik hoffnungslos hinterher.[6] Dabei war
Synchronisierung das A&O des Börsenhandels - vor allem für die sogenannten
Program Traders. Diese ausgefuchsten Experten hatten die Krise durchaus
effizient & effektiv gemanagt ‑ bis etwas geschah, womit Profis nie
rechnen: das Unerwartete.
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