Freitag, 23. Oktober 1987

Der Crash von 1987 (Teil 5)

1985: »Heute sitzen zwischen der Wall Street und Los Angeles Tausende von Händlern vor ihren Computerterminals und orchestrieren die Bewegungen  gewaltiger Geldsummen im Rhythmus der Zahlen, die auf ihren Bildschirmen erscheinen. Unentwegt jagen sie nach kurzfristigen Vorteilen, wobei sie sich ebenso auf ihre Intuition als auch auf Analysen verlassen. Der Händler ist der König in der Kasinogesellschaft.«
Business Week, 16. September 1985

Synchronlauf in die Krise

Normalerweise läuft die Ent­­wicklung an den Börsen nicht synchron. In einem Vergleich von 23 Bör­senplätzen wurde festgestellt, dass die Korrelation durch­schnitt­lich bei 0,222 Punkten liegt, wobei 0 für völlige Unabhängigkeit und 1 für kom­plet­­te Übereinstimmung steht. Im Oktober 1987 schnellte in­des dieser In­­dex auf 0,755 hoch.[1] Der elektronische Marktplatz war zum erstenmal vereint ‑ in Panik. Und die Computer­pro­fis ahnten, dass dies ein bitterer Triumph für sie war.
Auf jeden Fall hatte niemals zuvor die Welt ei­nen Beweis dafür be­kommen, wie effizient Informationen inzwischen um den Erdball roll­ten. Aber glücklich war darüber niemand. »Wenn alle Markt­teil­nehmer gleichzeitig über die gleichen Informationen verfügen, ist zwar völ­­­lige Markttransparenz gegeben«, beobachtete in einer Ana­ly­se der Er­­­eignisse Karl Herbert Schneider‑Gädicke, stellver­tre­ten­der Vor­stands­­­vor­sit­zender der DG‑Bank, »aber es ist bedenklich, wenn An­la­ge­entschei­dun­gen ausschließlich am Bildschirm getroffen werden.«[2] In der Tat ‑ von den Bildschirmen schien der Anstoß für dieses Mas­saker an den Weltbörsen ausgegangen zu sein. Die kollektive Schuld für das Desaster wurde spontan dem pro­gramm­gesteuerten Han­del ange­la­stet. Diese Technik war Anfang der achtziger Jahre ein­­ge­führt wor­­den ‑ und dies war ihr erster Crash. »Man kann mit Men­schen Bör­sen­ge­schäfte machen, aber nicht mit Computern«, klagte in der Wo­che nach dem Crash der Wertpapierspezialist John Lyndon. »Mit den Leu­ten auf dem Parkett kann man verhandeln, aber nicht mit Pro­gram Tra­­ders, die nur auf einen Knopf zu drücken brau­chen, um jede Menge an Aufträgen raus­zu­schleudern.«[3] »Der Computer tat es!« titelte mit klamm­heim­licher Freude die Compu­ter­world, die mit Großrechnern groß geworden war und wie kaum ein anderes Fachblatt der Zunft der IS‑Experten die Stange hielt.[4]
Ja, der Computer tat es. Aber war er wirklich schuld? Tatsache war, dass sie an diesem Tag eine Auftragsflut bewältigen mußten wie es sie zuvor noch nie gegeben hatte. Natürlich waren sie zeitweilig über­fordert gewesen. Unterbrechungen gab es bei fast allen Kompo­nenten des komplexen Börsenhandelssystems. Ein Auftragsabwick­lungs­system, das die Order der Brokerhäuser an das Parkett weitergab, crashte viermal am 19. Oktober.[5] Doch wenn es einen technischen Eng­paß gegeben hatte, dann waren es weniger die Rechner gewesen als die Drucker auf dem Parkett. Sie waren überfordert, als ihre Steue­rungseinheiten auf dem Höhepunkt der Krise seine Maximal-Kapazität von 68 Aufträgen pro Sekunde überschritt und 72 Orders an die Prin­ter verteilte, die höchstens zehn bis 12 Ausdrucke in der Mi­­nute schaff­ten. Das erhöhte Volumen konnten sie nicht mehr pac­ken. Die Folge war, dass die Verkaufsaufträge verspätet und zu Prei­sen auf dem Parkett ausgeführt wurden, die nicht mehr synchron wa­ren mit den Konditionen, zu denen die Orders erteilt wurden. Die Me­chanik lief der Elektronik hoffnungslos hinterher.[6] Dabei war Synchronisierung das A&O des Börsenhandels - vor allem für die sogenannten Pro­gram Traders. Diese ausgefuchsten Experten hatten die Krise durchaus effizient & effektiv ge­ma­nagt ‑ bis etwas geschah, womit Profis nie rechnen: das Unerwartete.

// Teil 1 // Teil 2 // Teil 3 // Teil 4 // Teil 5 // Teil 6


[1] The Economist, 11.3.89: »Why stockmarkets move together«
[2] Die Welt, 2.1.1988, Inge Adam: »Im Bör­senjahr 1988 beherrscht der Dollar die Kulisse«
[3] Finan­cial Times, 29.10.87, James Buchan/Deborah Hargreaves: »A program for di­stress«
[4] Computerworld, 18.1.1988, Mitch Betts: »The computer did it!«
[5] Time, 8.2.88: »System failure«
[6] Compu­ter­world, 1.2.88, Mitch Betts: »GAO finds NYSE systems guilty in market crash«

Keine Kommentare: