Die neue Bankenkrise (revisited)
Von Raimund Vollmer (1995)
In ihren traditionellen Kerngeschäften verändern sich die
Märkte der Banken und der Rüstungsindustrie radikal ‑ durch die Elektronisierung, durch schrumpfende Margen. Nicht
dass die Welt weniger Geld oder weniger Sicherheit braucht, ist der Grund,
sondern dass sie beides anders organisiert haben möchte. Die alten Waffen
verlieren an Wirkung. Bei den Banken sind es Kredite & Filialnetze, bei den
Rüstungsbetrieben Schiffe, Panzer & Flugzeuge. Was beide Branchen zudem
gemeinsam haben: die Veränderungen finden vor allem in den nationalen Märkten
statt. Besonders deutlich wurde dies in den USA. Und fängt dort so etwas
einmal an, erfasst die Welle die ganze Welt. Hinter alledem vollzieht sich ein
Jahrhundertwandel.
»Man kann 1995
nennen wie man will, aber eins war es auf jeden Fall: das Jahr der Bank‑Merger«, bringt es das amerikanische
Wirtschaftsmagazin Fortune auf den
Punkt. Rund 400 Institute wurden in den USA aufgekauft oder verschmolzen.
Insgesamt flossen dabei 69 Milliarden Dollar. [1]Das ist fast dreimal mehr
als 1991, dem bisherigen Rekordjahr bei Bankenübernahmen. Damals waren 24
Milliarden Dollar geflossen. [2]
Der Grund für
diesen Ansturm: die Giganten des Geldes müssen ihre eigenen lokalen Märkte,
ihr Filialnetz und ihre Datenverarbeitung, in Ordnung bringen, um sich auf
den globalen Wettbewerb besser einstellen zu können. 1,7 Millionen
Menschen waren noch 1991 in der amerikanischen Bankenwelt beschäftigt ‑ mehr
als in der Stahl‑ und Automobilindustrie zusammen. Trotz enormer
Investitionen in die Informationstechnik war die Welt des Kapitals vor allem
eins: arbeitsintensiv. Das waren die Spätfolgen einer ehedem stark regulierten
Branche. Doch die Deregulierung griff immer stärker. Wettbewerber traten auf,
die die Personalhürde nehmen wollten ‑ und damit die Preise in die Zange nehmen.
Ein Trend, der indes nicht minder für andere Länder gilt. In Japan ebenso wie
in der Europäischen Union. So sucht jeder seine Strategie oder gibt vor, eine
zu haben.
Schrumpfende Branche? Längst seien zum
Beispiel die Spannen bei der syndizierten Kreditfinanzierung von Unternehmen
auf ein Niveau abgesunken, dass sie den Banken »die Kehle abschneiden«,
schrieb im Herbst 1995 die Londoner Financial
Times.[3]
Das amerikanische Nachrichtenmagazin Newsweek sieht bereits die »Krise in den Banken«. Es ist eine
schrumpfende Branche, die gegen ihre drohende Irrelevanz ankämpft«.[4] Ganz so schlimm war es
nicht: die Banken legten recht gute Geschäftsergebnisse vor. Im internationalen
Geschäft erreichte die Kreditfinanzierung ein Rekordvolumen von 450
Milliarden Dollar. 1994 waren es nur 289 Milliarden Dollar.[5] Kein Wunder: schon lange
nicht mehr war Geld so billig. Aber genau das macht den Banken das Leben so
schwer.
Die Schlägerei. Das britische Wirtschaftsmagazin
The Economist erläutert den Mechanismus
des traditionellen Kreditgeschäfts: »Tatsache ist, dass die Margen im Kerngeschäft
der Bankenwirtschaft ‑ dem Recycling
von Spareinlagen in Form von Krediten ‑ immer dünner werden, je mehr
Nichtbanken‑Wettbewerber sich an der Schlägerei beteiligen und die Crème der Wirtschaftsunternehmen den
Banken an den Kapitalmärkten untreu werden.«[6] Betrug in den USA der
Anteil der Bankkredite an den Schulden der Wirtschaft ehedem 50 Prozent, so
verringerte er sich inzwischen auf 30 Prozent. Machten die Firmenkundschaft
einst 75 Prozent des Geschäftsvolumens der Banken aus, so schrumpfte der
Anteil auf unter 60 Prozent. [7]
In ihrem
traditionellen Geschäft bleibt den Bankern
nur eine Strategie übrig: sie müssen ihre Präsenz »rationalisieren, rationalisieren
und rationalisieren«, meint Walter
Shipley, Chairman der Chemical Bank, die im August 1995 mit
der Chase Manhattan Bank fusionierte.
Die elf Milliarden Dollar teure Verschmelzung war dabei ganz wesentlich mitbestimmt
von dem Wunsch, gemeinsam die alte Informationstechnologie zu meistern.
Denn in diesen kostspieligen und kostenträchtigen Investitionen der
Vergangenheit sind auch die alten Denkgewohnheiten und Strukturen verborgen,
von denen sich die Banken endgültig verabschieden müssen. Und so wird als ein
wesentliches Motiv für die amerikanischen Bankenfusionen in der Bewältigung
der Altlasten gesehen.
Gleichzeitig
aber ist damit bei der Chase‑Chemical
die Ambition verbunden, durch Erneuerung der Anwendungen die 25 Millionen
Kunden besser, innovativer und kostengünstiger bedienen zu können. Die
beiden miteinander verschmolzenen Banken benötigen dringend eine homogene,
geschäftsprozeßorientierte Anwendungsumgebung, die das Online‑Banking in all seinen Spielarten auf effizienteste und effektivste
Weise unterstützt. Shipley prophezeit:
»Die traditionellen Wege des Bankings
werden obsolet, je mehr die Technologie uns neue Angebotswege für unsere
Produkte liefert.«[8]
Noch 1986 ‑ so ergab eine Untersuchung von Coopers
Lybrand bei 250 Führungskräften im amerikanischen Finanzsektor ‑ sah nur
ein Drittel der Manager in der Informations‑Technologie die Chance, einen
strategischen Wettbewerbsvorteil zu erlangen.[9] Jetzt verschwindet die
alte Bankenwelt ‑ mitsamt ihrer alten, nur taktisch eingesetzten Technologie.
Abbruchstimmung.
[1] Fortune, 15.1.1996: »A case study:
how not to merge a bank«
[2] The Economist, 2.9.1995: »Finding
the right chemistry«
[3] Financial Times, 13. 10.1995, John
Plender: »Banks shape up to a cold climate«
[4] Newsweek, 11.9.1995, Michael Hirsh:
»A rush for exits«
[5] Financial Times, 16.1.1996, Richard
Lapper: »Back from the abyss to challenge the summit«
[6] The Economist, 2.9.1995 (Kommentar):
»Big, boring and dangerous«
[7] Time, 13.3.1995, Robert Ball:
»Banking ‑ the business that will never be the same«
[8] Financial Times, 17.10.194, John
Gapper: »Rationalise and keep risks to minimum«
[9] Business Week, 4.8.1986:
»Executives who just can't cope with data technology«
2 Kommentare:
Interessanter Vergleich – Banken und Rüstungsindustrie. Es gibt noch andere Gemeinsamkeiten, außer das die Manager dort Verbrecher sind...
Banken hätten ihr Kapital besser einsetzen müssen: Vertrauen! Doch das haben sie verspielt, um nicht zu sagen verzockt :-(
Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht, weiß schon der Volksmund. Und wie war das bei der Anlageberatung und dem Risiko? Oder bei der Finanzierung des Eigenheimes?? Vertrauen wäre der Anfang von allem gewesen, was die Banken in Zukunft auch immer an Geschäften anstreben. Jetzt sind sie am Ende. Man braucht sie nicht mehr.
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