Dienstag, 23. Juli 2019

Deutsche Lobbypolitik: Erst die Cloud feiern, dann beschimpfen...

(Kommentar) ... wenn sie zu amerikanisch wird. "Kein Techno-Nationalismus" - unter dieser Überschrift kommentiert die FAZ heute und meint damit nicht die Bundesrepublik, sondern fordert dies eher von den USA unter Trump und von China unter seiner "Einparteien-Diktatur". Leute, die "bestens vernetzt" sind, malen ein Schreckensbild an die Wand, bei dem "Cloud-Dienste" von ausländischen Mächten gekappt werden, so dass wir plötzlich abgeschnitten sind von unseren eigenen Daten.
Gute 35 Jahre ist es her, also durchaus erinnerbar, da titelte der Autor dieser Zeilen "Keine Daten aus den Staaten", weil der damalige Präsident der Vereinigten Staaten, Ronald Reagan, das Internet von dem Militärnetz, das es ursprünglich war, trennte und damit den Zugriff auf amerikanische Datenbanken erschwerte. Daraus entstand das Netz, das heute alles weiß, auch das, was es nicht wissen soll. Daraus ging wiederum das Deutsche-Forschungs-Netz hervor (nach amerikanischen Vorbild), das sich übrigens OSI auf die Fahnen geschrieben und TCP/IP den Tod prognostizierte.
Es kam genau andersherum. Open Systems Intercoonection starb, TCP/IP regiert seit 1974.
Noch weiter zuvor gab es die "amerikanische Herausforderung", die nach einer hochsubventionierten, europäischen IT-Industrie schrie. Mit dem Ende der Subventionen vberschwanden auch die Nutznießer, und überlebende Firmen wie Siemens brauchten japanische und amerikanische Hilfe. Wetten, dass ähnliche Subventions-Gelüste nun wieder im Hintergrund stehen? Darauf ist doch die ganze Kampagne angelegt - schon bei der Digitalisierung war dies sehr deutlich zu spüren. Es ist jämmerlich, erbärmlich, aber entspricht dem intellektuellen Redlichkeitsstand der Meinungsführer.
Als jemand, der seit 1975 diese Branche beobachten darf, habe ich inzwischen nur noch Verachtung übrig für die deutsche IT-Szene, die niemals an die Ursachen ihres eigenen, mehr oder weniger versteckten Scheiterns geht, sondern immer nur auf die Wirkung achtet. Das ist fast schon beleidigend.
Außer langweiligen, angestrengt powerpointenden Buchhaltungs-Helden wie SAP oder DATEV haben wir doch nicht viel zu melden in dieser IT-Welt. Und wenn wir dann mal jemanden haben, der mehr draufhat, dann warten wir lieber,bis dasselbe aus den USA oder demnächst vermehrt aus China kommt.
Schade, dass da keiner mal sagt: "Die sind doch alle nackt."
Raimund Vollmer

8 Kommentare:

Besserwisser hat gesagt…

Mal an IT-Helden wie Bosch, Dürr und ZF denken. Auch die Chemiker sind weit vorne.
Bitte nicht so pessimistisch sein. Die meisten deutschen IT-Experten arbeiten nicht bei IT-Herstellern, sondern bei Anwendern.

Das sagt alles darüber, wo wir auch weiterhin die Prioritäten setzen sollten.
Erdöl, Gas & andere Vorprodukte kaufen auch ein. Warum nicht die IT?

Und was unsere Daten angeht – die sollten wir gut schützen

Raimund Vollmer hat gesagt…

Lieber Besserwisser, die Anwender bekommen auch keine Subventionen. Mich stört die Beliebigkeit, mit der Situationen inszeniert werden, die nichts anderes zum Ziel haben, als Staatsknete zu kassieren. Diese Heuchelei empfinde ich als abscheulich und entwürdigend - gerade für die, die wirklich vorne sind. Und das mit den Daten: da sollte man vielleicht grundsätzlich über "Cloud" nachdenken. Die, die das Lobby machen, wollen, dass die Cloud hier über Deutschland schwebt, aus ganzz persönlichen, wirtschaftlichen Gründen. Um das zu erreichen, wird die Cloud im Ausland schlecht gemacht. In Wirklichkeit sollten die Unternehmen, also die Anwender, darüber nachdenken, ob sie - inklusive ihrer benötigten Software, SaaS, - wirklich dies aus der Cloud beziehen sollten. Die Cloud ist ein wunderbares Instrument, um die eigene, fehlende oder nachlassende Wettbewerbsfähigkeit zu verstecken. Um solche Diskussionen erst gar nicht aufkommen zu lassen, wird wieder ein Feind von außen herangepopanzt. Den gäbe es ohne Cloud aber gar nicht, wobei keine Cloud auch kein Schutz vor Hackern ist, die Cloud aber auch nicht. Das Ganze ist so primitiv, dass sich mein Vorurteil gegenüber Marketing- und PR-Strategen voll und ganz bestätigt: die halten uns für dumm. (Aber sie sollten nicht von sich auf andere schließen.)
Ich wäre gerne stolz auf unsere IT-Szene. Aber ich sehe da nur postpubertierende Nichtigtuer. Nein: Der Kaiser ist nackt.

Besserwisser hat gesagt…

Die Cloud ist nur der (Marketing-)Nebel. Im Endeffekt ist es das Timesharing der 60er Jahre – und man sollte sich gut überlegen, ob man seine Daten einem Apple, Amazon, Google oder Microsoft anvertraut...

Eine IT-Szene haben wir nicht. Punkt. Also sollten wir auf unsere Anwendung der IT stolz sein. Wir brauchen Souveränität, aber keine technische Souveränität! Nur der Nachsatz von Bitkom-Präses Berg ist korrekt: „Gegenseitige Abhängigkeiten sind akzeptabel, einseitige Abhängigkeiten aber müssen unbedingt vermieden werden.“

Solange wir das mit anderen Branchen kompensieren können, wird es gut gehen. Denn wir sind nicht nur von den USA abhängig (beileibe nicht nur technologisch), sondern z.B. auch von China:
https://www.spiegel.de/spiegel/deutschlands-wirtschaft-ist-von-china-abhaengig-a-1208784.html


Raimund Vollmer hat gesagt…

Einverstanden, sehr einverstanden, lieber Besserwisser.

Es gibt doch noch intelligente Burschen in der IT. ;-) (Spässle gemacht)

Besserwisser hat gesagt…

Na ja, würde sagen: Am Rande der IT :-)
Aber danke für die Blumen

Anonym hat gesagt…

Auch Anwender bekommen Subventionen – ich denke da nicht nur an die Agrar- und Energiewirtschaft. Ohne Moos nix los

Raimund Vollmer hat gesagt…

Stimmt, lieber Anonym, ich erinnere mich, dass während der DV-Förderungszeiten ein sehr berühmtes Unternhemen (nicht Siemens, kein klassischer ITler) Studenten anheuerte, die nichts anderes tun mussten als Zeitung zu lesen, um Fördergelder abzufeiern. Und dann fällt mir natürlich im Zusammenhang mit der Einzigartigkeit deutscher Softwareentwicklung noch die spitzentechnologische Abschaltsoftware ein, die ein deutsches Anwender-Unternehmen entwickelt hat - allerdings wohl ohne staatliche Unterstützung.
Genug gelästert: Vielleicht ist in all den Berichten rund um die Exzellenz deutscher IT einfach zu viel PR drin. Übrigens erkennt man PR immer mehr daran, dass die beiden Worte "immer mehr" darin vorkommen. Kurzum: "Immer mehr" ist PR. Ui, schon wieder gelästert...

Anonym hat gesagt…

Es kommen auch Unworte wie Blockchain, effizienter, KI, Analytics, Cloud, etc. darin vor. Meistens qualifiziert schon eines dieser Unworte einen Test als PR, sagt mit meine UX -ähm User experience :-)))))