Erinnerungen an die Cloud und andere Mietmodelle
Von Raimund Vollmer
Service-Rechenzentren nannten sie sich - und es gab so viele
davon, dass sie in Deutschland sogar einen eigenen Verband gründeten. Die
Hoch-Zeit war in den sechziger Jahren - und das, was sie leisteten, würde man
heute Cloud nennen. Die Datenübertragung war noch etwas mühsam, ging über den physischen
Transport von Lochkarten und Magnetbändern, oftmals per Kurier mit der
Deutschen Bundesbahn, aber jeder hätte das Big Data genannt, wenn es damals den
Begriff gegeben hätte. Und die Abhängigkeit von den USA, vornehmlich von IBM,
die die größten Service-Rechenzentren betrieb, war natürlich auch ein Thema.
Ansonsten war es üblich, seinen Rechner inklusive Software
(ohne gesonderte Berechnung) zu mieten. Jederzeit konnte man seinen Mietvertrag
gleichsam zum Monatsende kündigen. System-Software wurde verschenkt, war Teil
der "public domain", was man heute Open Source nennen würde. Die
Strategie "Object-Code-Only" gab es erst in den achtziger Jahren. Software
war ein Service, der mit dem Mietvertrag abgegolten wurde. Im Prinzip besaß IBM
über die Miete überall in der Welt bei ihren Kunden ein eigenes Rechenzentrum.
Hätte sie die alle vernetzt, was damals durchaus schon diskutiert wurde, wäre
es bereits eine gigantische Cloud gewesen. Und wiederum sorgten sich die Kunden
und die Politiker in Europa um eine allzu starke Abhängigkeit von einem
Amerikaner.
In den siebziger Jahren hatte dieses Mietgeschäft eine
solche Dimension bekommen, dass sich jeder ausrechnen konnte, wie lange IBM
davon zehren konnte, ohne auch nur einen einzigen Finger krümmen zu müssen. Man
musste nur noch managen. Innovationen, die Unruhe in die Mietbasis gebracht
hätten, wurden unterdrückt oder nur am Rande bedient. Die Erweiterbarkeit des
Hauptspeichers war eingeschränkt, weil man den Kunden lieber zugleich einen
größeren, aufwärtskompatiblen Rechner verkaufen, nein, vermieten wollte. 2K-Chips,
die zu jener Zeit technologisch den Hauptspeicher-Engpass lösten, wurden so
lange wie es ging, als billig zu produzierende Chips in die Rechner gepfropft,
obwohl es 16 und später 64 K-Speicher längst am Markt gab. Ältliche, ebenfalls
billig herzustellende bipolare TTL-Prozessoren gab es noch bis weit in die
achtziger Jahre hinein, dabei schaltete die Konkurrenz längst mit schnellerer, stromsparender
ECL-Technik. Kurzum: IBM hielt Innovationen schon auf der untersten Systemebene
zurück.
Hätte es nicht die sogenannten PCMer gegeben, die
plug-compatible manufacturer, die steckerkompatiblen Hersteller, dann hätte IBM
diese Strategie niemals verlassen. Aber sie verlor ab Mitte der siebziger Jahre
massiv Marktanteile - und vier Jahre später fing sie an, sich zu rührern,
aggressiver denn je, innovativer denn je, flexibler denn je. Sie verkaufte ihre
Mietbasis, veränderte ihre Softwarelizenzpolitik, drehte jeden Stein um. Aber
es war zu spät. Zu Beginn der neunziger Jahre stand sie nach Angaben ihres neuen
Chefs, Lou Gerstner, kurz vor dem Bankrott.
Nun haben wir wieder solche Platzhirsche, die alles
vermieten, auch das, was niet- und nagelfest ist. Bezahlt wird nur nach
Nutzung. Allein das ist ein sehr verräterischer Ansatz und einer
Sonderbetrachtung wert.
Früher verkaufte die IT-Szene Produktivität. Sie war als Job-Killer
verschrien, sie brachte gigantische Rationalisierungseffekte, die so groß
waren, dass man fehlende Innovationskraft lässig dahinter verstecken konnte. Je
geringer diese Effekte wurden, desto weniger legitimierte sich auch der oftmals
heillos überzogene Geldeinsatz. Die IT geriet in den neunziger Jahren in eine
gewaltige Legitimationskrise. Trotz des Zulaufs von unendlich vielen Neuerungen,
von denen wir - die User, die Konsumenten - vor allem profitierten.
Aber wir sind für die trägen, geldschweren Systemhersteller,
von IBM bis hin zu Siemens oder SAP, keine besonders attraktive Kundschaft.
Eigentlich scheitern sie immer an uns, der Privatkundschaft. Uns sind Themen
wie Produktivität auch schnurzegal, den Großkunden konnten sie die Vorteile
auch nur noch in künstlicher Powerpoint-Gestaltung verkaufen.
Vor dreißig Jahren sprach dann ein deutscher Philosoph (der
Name wird jetzt noch nicht verraten) im Feuilleton der FAZ davon, dass in
Zukunft die Nutzung das Kriterium sei, nach dem Waren und Dienste zu messen
seien. Da ja ITler bei Herstellern und Anwendern Feuilletons nicht lesen, weil
sie dann sehen würden, wie weit sie hinter dem Trend sind, mussten sie selber
auf diese Idee kommen. Kamen sie auch - in seiner perversesten Form, als Cloud
und SaaS. Hier wird nach Nutzung bezahlt, die Rechtfertigung muss der Kunde
sich selbst geben. Und weil man damit schön fein raus ist, driften wir nun ganz
allmählich in einer Epoche, in der Innovationen als Störenfriede aussortiert
werden, man durch Begriffe wie Künstliche Intelligenz dem erlaubten
Minimalfortschritt eine gewaltige Aura gibt.
Das meiste, was uns heute verkauft wird, sind Entwicklungen,
die dreißig Jahre lang mehr oder minder
auf Eis lagen, von der Spracherkennung und Übersetzung bis hin zu Industrie 4.0
oder multimedialen Techniken. Glasfaser oder Koax - war mal in den achtziger
Jahren eine heiße Diskussion. Satelliten-Schwärme, um auch den letzten Winkel
der Erde zu erreichen, war vor zwanzig Jahre mal eine große Initiative, Mitte
der siebziger Jahre sogar ein strategisches Konzept der IBM - zu einem
Zeitpunkt, als wenigstens noch ein paar Visionäre die Firma prägen durften.
Vieles, vieles - wie auch die Digitalisierung der Netze - ist uralt. Und ein Konrad
Zuse schrieb bereits in den vierziger Jahren mit seinem Plankakül die ersten
Algorithmen, die uns heute wie geheimnisvolle Zauberwerke verkauft werden.
Und das Zeitalter der Apps? Selbst das reicht bis in die
siebziger Jahre zurück.
Dass das alles jetzt auflebt, zeigt doch, dass die These
nicht stimmt, dass Cloud und SaaS Innovationen unterdrücken. So werden die
Gegner nun widersprechen. Im Gegenteil: sie bestätigen die These. Man möchte über diese
Techniken genau diesen Innovationsstrom wieder unter seine Kontrolle bekommen.
Ich spüre täglich, bis in die Maussteuerung hinein, dass Microsoft mit Windows
10 die Kontrolle über meinen PC übernommen hat. Alles, was mich einmal
produktiv machte, wird schlechter, ist auf Nutzung abgestimmt. Ich habe schon
gar keine Lust mehr, neue Anwendungen anzupacken, weil sie mich in eine
widersinnige, auf Nutzungsdauer angelegte Systematik hineinziehen. Und wenn das
alles auch noch durch Werbung bezahlt wird, dann wissen wir doch, zu was wir
verurteilt sind: Wir sind die Nutzer ohne Nutzen.
1 Kommentar:
Danke dafür!
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