... ist immer noch dann, wenn Menschen aus den unterschiedlichsten Unternehmen und den unterschiedlichsten Fachgebieten und mit den unterschiedlichsten Interessen zusammenkommen. Das wurde mir dieser Tage so richtig bewusst, als ich die USU World in Esslingen besuchte. Klar, man kann bei solchen Veranstaltungen alles mögliche kritisieren. Und aus lauter Angst vor Kritik betreibt der Veranstalter zumeist dieses Geschäft selbst am besten. Dabei entgehen ihm vielleicht all die sozialen Interaktionen, die letztlich eine Tagung zum Ereignis machen.
Kritisiert wird da zum Beispiel der Auftritt der eigenen Mitarbeiter. Zu langatmig, zu hölzern. Man könnte auch sagen - zu deutsch. Was ihnen nicht auffällt, war, dass diese Mitarbeiter aus allen Ebenen des Unternehmens sehr authentisch rüberkamen. Es waren keine peinlichen Synchronfassungen amerikanischer Versionen antrainierten Bühnen-Verhaltens. Wir im Publikum genossen es, dass wir endlich mal wieder Originale auf der Bühne sahen. Der einzige, der sich da noch zu sehr bemühte, den souveränen Angelsachsen zu mimen, war der Moderator. Dem stand seine eigene Eitelkeit (die war aber echt) im Wege.
Natürlich lässt sich über Inhalte immer trefflich streiten. Wenn ein Professor über die Zukunft des Internets redet und man das Gefühl hat, dass man das alles schon irgendwann irgendwo besser gehört hat, dann könnte man ja irgendwie sauer sein. Doch in Wirklichkeit - so ging es jedenfalls mir - habe ich es genossen. Wenn die Wissenschaft es auch nicht besser weiß als du selbst, dann ist es ja irgendwie eine gute Nachricht. Und wenn du dich sogar dabei erwischst, dass du es vielleicht sogar besser weißt als er, dann hast du in Sachen Eitelkeit zumindest mit dem Moderator gleichgezogen. Und dann plötzlich, während du dich in deinen Gedanken selbst bewunderst, stellst du fest, dass dich dieser Professor auf einen völlig neuen Gedanken gebracht hat. Er redet darüber, wie sehr die IT in den Unternehmen an Einfluss verloren hat in den letzten 30 Jahren. Früher war alles besser. Er redet von der Entprofessionalisierung. Er schmeichelt dem Publikum, das sich selbst garantiert zu den letzten Profis zählt, ohne die eigentlich nichts geht. Der Professor zeigt Kurven, die szenarisch belegen sollen, wie der Einfluss gesunken ist. Aber in deinem eigenen Hirn, ganz ohne Zusatz von Powerpoint, wird diese Grafik mit ihrer drei Jahrzehnte umspannenden Zeitachse von einer ganz anderen Kurve überlagert. Diese Kurve zeigt auf, dass der Machtverlust der IT einhergeht mit dem Grad der Durchdringung von IT. Kurzum: Je mehr IT in den Unternehmen, desto geringer der Einfluß des IT-Bereichs. Das ist doch eine interessante These, oder? Findest du jedenfalls selbst, ohne den Vortrag von dem Professor wärst du nie auf diesen Gedanken gekommen.
Deine Gedanken wandern zurück - und zwar in die Kurzvorträge zuvor, dem sogenannten Schaulaufen durch die Produkte und Dienstleistungen der USU. Artig, wie wir Deutschen nunmal sind, gut erzogen und brav, symapthisch, wie wir nunmal rüberkommen wollen, hat jeder der Referenten sein Thema in die hierarchische Struktur der Kundenunternehmen eingepasst. Niemand hat hinterfragt, ob diese Struktur nicht möglicherweise überkommen ist und den Grund dafür liefert, dass viele der Werkzeuge, die unter anderem die USU anbieten und mit denen die IT-Abteilungen ihren Einfluss zurückgewinnen wollen, genau an dieser Aufgabe scheitern. Am Ende ist alles nur Verwaltung und nicht Gestaltung. Du schaust dir die Leute im Publikum an und denkst: Eine solche Fragestellung könnten die ganz bestimmt vertragen. Vielleicht hätte sich dies der ein oder andere sogar getraut, aber der Weg dahin wird von dem Moderator (der diesem Titel wirklich gerecht wurde) verbaut. Er betonte zu sehr den hohen Stellenwert des CIOs für das Unternehmen. Leider besteht das Problem darin, dass ihm in dieser Beziehung keiner der Anwesenden widersprechen würde, aber es leider außerhalb der Zielgruppe andere Meinungen dazu gibt.
Auch unser Professor erzählt dem Publikum viel zu sehr, was dieses Publikum auch hören will. Es ist alles sehr brav, sehr deutsch (um nicht zu sagen schwäbisch).
Trotzdem bist du begeistert von dieser Veranstaltung und gehst gutgelaunt in die Mittagspause. Veranstaltungsort ist übrigens das Neckarforum in Esslingen, wenige Kilometer von Stuttgart entfernt. Das Essen ist gut. Die Menschen sind nett. Die Stimmung ist heiter.
Es geht weiter. Du hast dir das Thema Social Media rausgeguckt. Wieder
ein Professor, aber einer, der eine eigene Firma hochgezogen hat, die heute Teil der USU ist. Du
hast dir rechtzeitig einen Sitzplatz gesichert - im Unterschied zu manch anderen Teilnehmern. Denn der Andrang ist riesengroß. Und
es geht auch bald heiß her. Der Professor ist gut (der andere war es
übrigens auch, aber dieser hier ist ein Stückchen besser). Das Publikum
macht mit. Es herrscht Social Media "in echt", wie man früher, als Kind, sagte, wenn man die Wirklichkeit wieder aus der Phantasie heraustrennte. Es geht um das Thema "Monitoring", aber keine Sorge, es geht nicht um die NSA. In seinen vielen Beispielen nennt der Professor den Mitarbeiter eines Paketdienstes, der dabei gefilmt wurde, wie er achtlos mit den zu verteilenden Gütern umgeht, bei YouTube wird das Video veröffentlicht. Der Betroffene äußert sich in einem Kommentar nicht gerade geschickt, was die Sache noch schlimmer macht - und schon entbrennt eine heftige Diskussion. In echt. Auf der USU World. Auch dem letzten Teilnehmer muss klar geworden sein, dass die Strukturen, die man am Vormittag noch in Wort und Powerpoint gepflegt und gehegt hat, jetzt völlig auseinander gebrochen sind. Ist der (unterbezahlte und gestresste) Mitarbeiter schuld, durfte er sich überhaupt öffentlich äußern? Liegt hier nicht das komplette Versagen des Managements vor? Es wird heiß diskutiert.
Der Verlust an Kontrolle ist es, was die Teilnehmer umtreibt. Die Frage, wieviel Geld man in die Hand nehmen muss, um einigermaßen die Kontrolle über den eigene Ruf in einer Welt der Social Media zu behalten. Kontrolle. Kontrolle. Kontrolle. Und irgendwie ahnt man, dass man sie doch nicht behalten kann. Die IT durchdringt nicht nur die Unternehmen und deren professionelles Umfeld, sondern alle Sphären menschlichen Wirkens. Es ist unkontrollierbar - und das gilt auch in einem Land mit den schärfsten Datenschutzbestimmungen. (Das was unsere Geheimdienste nicht wissen dürfen, liefert ihnen bestimmt die NSA, die vor allem den Verkehr zwischen Deutschland und den USA beobachtet. Ausgerechnet Deutschland!)
Du wagst dich vor und stellst eine Frage. Du willst von dem sympathischen Social-Media-Professor wissen, ob die Werbung, die ja letzten Endes diese ganze andere, diese virtuelle Welt bezahlt, nicht irgendwann überfordert ist. Finanziell überfordert - und vielleicht auch deshalb, weil sie nicht den Rücklauf bringt, den man erwartet. Der Professor spürt, dass diese Frage die Struktur seines Vortrages verlässt. Und er lädt ein zu einem Pausengespräch. Und eine Zuhörerin, die den Professor duzt, entweder weil sie ihn kennt oder weil das in Social Media so üblich ist, springt ihm zur Seite und befindet entschieden, dass wir doch zum Thema zurückkehren sollten. Du grinst in dich hinein. Ja, und da haben wir dann den Salat, da sind wir dort, wo der andere Professor, der vom Vormittag, angefangen hatte, als er den Verlust an Einfluss der IT diagnostizierte.
Du gehst in die Kaffeepause (ohne Professor) und bist rundum zufrieden, auch wenn du dich hast abkanzeln lassen. Du bist mit einer grandiosen Erkenntnis nach hause gefahren: Der einzige Grund, warum die IT an Einfluss verloren hat, besteht darin, dass sie so offensichtlich zeigt, dass sie so gerne alles bestimmen möchte - und zwar in Strukturen, die keiner wirklich mag.
Die USU World aber selbst (und sie ist damit ganz bestimmt nicht allein) hat mit ihrer Tagung einen Rahmen gegeben, in dem sich die Menschen wohlfühlten. Auffällig waren nur die, die versuchten die Kontrolle zu bewahren. Sie wurden irgendwie als Fremdkörper angesehen. Sie waren nicht Teil der Social Media. In echt. (Aber ich glaube, sie haben es irgendwann gemerkt.)
Nachtrag: Für mich war es eine sehr spannende Veranstaltung. Nächstes Jahr bin ich wieder dabei. Denn der Erkenntnisgewinn ist enorm. Unter der Voraussetzung, dass man seine eigenen Gedanken nicht immer unter Kontrolle hat, sondern wandern lässt.
Raimund Vollmer
1 Kommentar:
Internett, wenn mann mal unter Leute kommt :-)
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