Samstag, 28. Dezember 2024

TITAN ODER UNTERTAN (Teil 2)

 


Teil 2: Der Abstieg des Menschen

„Und nun wälzte sich Wolke auf Wolke über den Geist: bis endlich der Wahnsinn predigte: ‚Alles vergeht, darum ist Alles wert zu vergehen!‘ ‚Und dies ist selber Gerechtigkeit, jenes Gesetz der Zeit, dass sie ihre Kinder fressen muss‘, also predigt der Wahnsinn.“

Friedrich Nietzsche (1844-1900), deutscher Philosoph, in „Also sprach Zarathustra“

 

Es ist der pure Wahnsinn: Sie gelten als die wahren Tech-Titanen – jene paar Firmen, denen es gelungen ist, im Namen des Erfolges tausend Milliarden Dollar und mehr an Börsenwert auf sich zu ziehen – es sind Kapitalisierungen, die auf jedem von uns, der ihre Produkte und Dienste direkt oder indirekt nutzt, basieren. Diese Riesen sind die Kapitalisten des Konsums – keine Giganten mehr, sondern längst Titanen der Transformation, der Umformung allen Lebens ins Digitale. In die Cloud, die alles Wesenhafte in sich aufsaugt – in ihr alles durchdringendes Nebel-Leben.

Herbert Marcuse (1898-1979), der deutsche Philosoph der 68er, Emigrant, Marxist und Heidegger-Schüler, wies 1955 in seinem Büchlein „Triebstruktur und Gesellschaft“, ohne je den Begriff der Cloud gehört oder in seiner technischen Bedeutung geahnt zu haben, auf Nietzsches Superwolke hin – so, als hätte er gewusst, was ihre Funktion ist:

Er schrieb: sie dient dazu „die Unterprivilegierten dieser Erde zu beruhigen, ihnen einen Ausgleich zu bieten, sie zu rechtfertigen und diejenigen zu beschützen, die sie zu Unterprivilegierten machten und darin festhalten.“ Nun – die Unterprivilegierten, das sind wir, aber nicht nur wir: „ Das Ergebnis wuchs zur Lawine und riss Herren und Knechte, Herrscher und Beherrschte in jener Flut produktiver Unterdrückung mit sich, die die westliche Zivilisation zu einem immer höheren Wirkungs- und Leistungsstand vorantrieb. Die wachsende Wirksamkeit allerdings bedeutet eine zunehmende Degeneration der Lebenstriebe – den Abstieg des Menschen.“[1]

Ja, die Wolke, die Cloud, verleiht uns ungeheure Produktivität – vor allem dann, wenn sie sich mehr und mehr als Künstliche Intelligenz manifestiert. Und indem dies geschieht, können wir uns selbst bei unserem Abstieg beobachten. Unser Blickfeld verengt sich zu Smartphones, die uns unerbittlich diktieren, was wir zu tun und zu lassen haben.

Wir sind Follower, brave Follower, wir sind des sogar gerne und jederzeit. Jeder von uns ist zwar nur Pfennigkram im Börsenwert dieser Titanen, aber höchst profitabel für sie. Die Titanen lassen uns zwar machen, was wir wollen, aber nur solange sie allein es sind, die wissen, was wir wollen. Und dafür tun sie alles.

Wir sind die Opfer unseres Konsums.  Denn im Konsum ist alles wert, zu vergehen. Doch für den Nachschub ist jederzeit gesorgt. So lautet das Gesetz des Netzes, das sich über alle Lieferketten spannt und unerbittlich alles einfängt.

Cogito, ergo consum. Nein, ich denke nicht. Ich konsumiere nur. Es ist der pure Wahnsinn.

Angesichts der gewaltigen Börsenwerte könnte man meinen, dass die Titanen der Technik inzwischen so mächtig sind, dass sie die Börsenwerte der anderen, der kleineren Firmen nach und nach absaugen und auf sich vereinen. Sie sind die modernen Rockefeller, die dereinst nicht selbst das Öl schöpften, sondern es nur sammelten und verteilten. Und so lautet auch das Geschäftsmodell dieser Wolkenprasser. Sie sind es, die den Preis bestimmen, nicht die Lieferanten, nicht die Konsumenten. Wir sind die Unterprivilegierten, die wir alle im Vergleich zu ihnen sind – Herren und Knechte, Herrscher und Beherrschte. Egal, wir degenerieren.

Und dennoch steht den Tech-Riesen eine heimliche Angst im Nacken. Es ist die Angst vor uns. Die Angst vor unserem Unbewussten  - dem wahren Giganten…

Fortsetzung folgt - obwohl ich mit dem, was ich heute geschrieben habe, gar nicht zufrieden bin...



[1] Herbert Marcuse, Frankfurt 1969, „Triebstruktur und Gesellschaft“ (1955), Seite 121

22 Kommentare:

Analüst hat gesagt…

A.E.I.O.U. – Alles Erdreich ist Österreich untertan.

Friedrich III. (1415 - 1493), römischer König und Kaiser

Anonym hat gesagt…

„Willst du dir alles untertan machen, so mache dich selbst der Vernunft untertan; du wirst über viele gebieten, wenn du die Vernunft zu deiner Gebieterin machst.“

Lucius Annaeus Seneca (ca. 4 v. Chr. - 65 n. Chr.), genannt Seneca der Jüngere; römischer Philosoph, Stoiker, Schriftsteller, Naturforscher und Politiker

Anonym hat gesagt…

Olli VulvaKahn zählte leider auch nicht zu den Giganten!
QED Ronaldo

Anonym hat gesagt…

Zu viel Wissen macht unzufrieden.

Aristoteles (384 - 322 v. Chr.), griechischer Philosoph, Schüler Platons, Lehrer Alexanders des Großen von Makedonien

Anonym hat gesagt…

Das sehe ich an meiner Frau. Die weiß immer alles (besser) und ist so.
Dass Aristoteles das so treffend sagt, obwohl er sie nicht kannte!

Anonym hat gesagt…

Wenn wir mehr selbst dächten, so würden wir sehr viel mehr schlechte und sehr viel mehr gute Bücher haben.
C. G. Lichtenberg

Anonym hat gesagt…

Es gibt eine gewisse Art von gekünstelten Unsinn, den die Hohlköpfe leicht für tiefe Weisheit, ja wohl gar für ein Weben des Genies halten....
Es ist nichts. Fünf gegen eins, der Mann der es geschrieben hat, ist ein Tropf, der mehr scheinen will, als er ist.
G.C. Lichtenberg
Göttinger Gelehrter

Anonym hat gesagt…

Ein guter Ausdruck ist soviel wert als ein guter Gedanke, weil es fast unmöglich ist, sich gut auszudrücken, ohne das Ausgedrückte von einer guten Seite zu zeigen.
G. C. Lichtenberg

Anonym hat gesagt…

Man solle nicht im Tiefen graben, wenn man nicht hat dazu die Gaben.

Anonym hat gesagt…

"Und dennoch steht den Tech-Riesen eine heimliche Angst im Nacken. Es ist die Angst vor uns. Die Angst vor unserem Unbewussten - dem wahren Giganten…"
??
Diese Riesen haben noch nie Angst vor uns gehabt, allenfalls voreinander.
Steht den Musks oder Zukermans die Angst im Gesicht geschrieben?
Sie interessieren sich für unser Bewusstsein oder gar Unterbewusstsein nur, wie sie damit Macht und Geld generieren können.
Sie sind Getriebene - wie wir.
Nur auf völlig anderen Ebenen.
Übrigens: Unser Unbewusstes ist ein Nichts!

Anonym hat gesagt…

Lieber Herr Vollmer, machen Sie sich nicht noch im alten Jahr so viele Sorgen, inbesondere wenn sie Sie so amorph umtreiben.
Im neuen Jahr haben Sie genug Zeit dazu, wenn wir eine schöne Regierung haben und der MAGA-Präsident im ersten Vierteljahr die Konflikte gelöst hat.
Dann ist genug Zeit, dass wir uns mal um unsere Probleme kümmern.

Anonym hat gesagt…

Auch mit Vernunft hätte man sich die Ampelregierung nicht mehr untertan machen können. Wo die Unvernunft regiert, versagt jede Vernunft.

Anonym hat gesagt…

Was nicht im Bett erledigt werden kann, ist es nicht wert, überhaupt erledigt zu werden.
Groucho Marx

Anonym hat gesagt…

Der Traum der Vernunft gebiert Ungeheuer.
Bildinschrift des Capriccio 43
(1797/98) von Francisco Goya

Besserwisser hat gesagt…

Das Unbewusste ist viel moralischer, als das Bewusste wahrhaben will.

Sigmund Freud

Anonym hat gesagt…

Das ist wohl richtig.
Aber erdrückende Zwänge, Normen, Moral und andere Fremdbestimmung unterdrücken unser Unterbewusstsein.

Anonym hat gesagt…

I'm free.
Praise the Lord, I'm free.
No longer bound.
No more chains holding me.
My soul is resting.
It's just a blessing.
Praise the Lord, hallelujah, I'm free.

Gospel

Anonym hat gesagt…

Come on (come on)
Please, please me, whoa, yeah, like I please you

The Beatles

Besserwisser hat gesagt…

Kein Wunder, dass Aristoteles das konnte! Er war doch ein begnadeter Philosoph…

Anonym hat gesagt…

Wer sich eine Regierung Untertan machen will, leidet unter Größenwahn oder hat Allmachts-Fantasien

Anonym hat gesagt…

Im Bett werden nur Männer erledigt – Frauen nutzen es lediglich als Sprungbett 😉

Anonym hat gesagt…

Boxspringbett