Mittwoch, 15. Mai 2019

Eine Leseprobe

Es fing eigentlich damit an, dass ich im September 2015 ganz für mich, still und heimlich mein 40jähriges Bestehen als Journalist in der IT-Branche feierte. Bestehen ja, verstehen nein, sagte ich mir. Aber Du kannst es ja einmal versuchen. Immerhin waren es vier Jahrzehnte voller aufregender Stories, die Du mal ganz nah, aber meistens aus der Ferne beobachten durftest. Es wird Zeit, so sagte ich mir, dass Du Dir mal selbst ein paar Dinge erklärst. Inzwischen sind fast 300 Seiten Word-Datei daraus geworden, durch die ich immer wieder brause, um zu verbessern und zu erweitern. Manchmal passiert es aber auch, dass ich etwas eher verwässere als verbessere. Vor zwei Jahren - an meinem Geburtstag - merkte ich, dass ich in all dem Geschreibsel eine Botschaft versteckt hatte, eine, die ich vor mir selbst an die Oberfläche bringen musste. Es ist die Botschaft einer Enttäuschung - enttäuschen heißt ja, dass man sich vorher getäuscht hat.
Doch davon soll später, wenn erwünscht, die Rede sein.
Ich merkte mehr und mehr, wie unglaublich mühsam und anstrengend allein der Versuch ist, das zu verstehen, was man so alles in 40 Jahren erfahren, gesehen, empfunden und empfangen hat. Dann kam noch das Archiv hinzu, das aus mehr als 1000 Ordnern und noch etlichen unbearbeiteten Zeitungsstapeln besteht. Was man dort alles findet?Ungezielt, zufällig, ungeordnet!!! Lässt sich dieses viele Stroh überhaupt noch in Stoff (von Gold wollen wir gar nicht reden) verwandeln? Dahinter stand dann seit einem Jahr auch die Bedrohung, dass diese Berge von Papier demnächst im Müllcontainer landen werden! Wohin damit, wenn man nun spürt, dass man älter wird und sich eigentlich auch keiner dafür interessiert. Das war dann der Zeitpunkt, an dem ich, ehrlich gesagt,resgignierte. So kam es, dass ich auch keinen Bock mehr auf "Journalyse" hatte. Trotzdem schrieb ich weiter - in meinem Kämmerlein. Mal mehr, mal weniger. Damit da kein falscher Eindruck entsteht: Es sind hier nicht irgendwelche Memoiren,ich bin zwar eitel (wie alle Journalisten), aber nicht vermessen, sondern es sind Versucherle, Essays, bei denen ich nicht genau weiß, ob ich mich da nicht häufig in meinen Gedanken-Gängen verirre, in meinem Kopf ein Labyrinth entstanden ist, aus dem ich nicht mehr herausfinde. Ein Kapitel, das eigentlich nur aus wenigen Zeilen bestehen sollte, wuchs über mich hinaus, so dass ich es zellteilen musste. Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass das, was sich da zusammengeschrieben hat, an die Öffentlichkeit möchte - und wenn es zum Preis des völligen Verrisses ist. Gestern habe ich es dann durchs Indesign gejagt und heraus kamen diese drei Doppelseiten. Selbstbewusst genug sind sie ja,um Eure Kritik auszuhalten.
Ich hoffe, dass die Veröffentlichung nicht als anmaßend empfunden wird. Denn eigentlich habe ich eine Riesenfreude daran, den Gedanken-Gängen all der Menschen nachzugehen, die in diesem Manuskript zu Wort kommen. Vielleicht geht es Euch (das Siezen lassen wir hier mal weg) ebenso.
Raimund Vollmer
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... der sich mit diesem Text sehr schwrer getan hat.

8 Kommentare:

Dottore Bianco hat gesagt…

Moin lieber Raimund!

Ich finde Deine total schön aufbereiteten Journalysen genial!

Gibt es die auch als Buch?

Herzliche Grüße vom Weiß-Präsident

Raimund Vollmer hat gesagt…

Lieber Weiß-Präsident, es ist schön, Dich hier zu sehen. Natürlich schwebt es mir vor, das als Buch erscheinen zu lassen. Schon deshalb tut mir Deine Frage verdammt gut. Würde Dich mal gerne wieder sehen!!! Raimund

Besserwisser hat gesagt…

Apropos Enttäuschung

Das Word hatte zunächst die positive Bedeutung „aus einer Täuschung herausreißen“, „eines Besseren belehren“, eine Desillusion.

Der negativen Bedeutung von „täuschen“ folgend, entwickelte sich der negative Sinngehalt als „einer Erwartung nicht entsprechen“.

Anonym hat gesagt…

Illusionen können soooo schön sein. Für mich hat Desillusion auch eine negative und keine positive Bedeutung!
Auch wenn Illusionen natürlich trügerisch sind...

Raimund Vollmer hat gesagt…

Lieber Besserwisser, stimmt. Eigentlich weiß ich es auch nicht besser - zumal ich, ohne diese Enttäuschung, niemals derart ins Grübeln geraten wäre, was ja nicht unbedingt das Schlechteste ist.

Analüst hat gesagt…

Ich finde es kafkaesk - bedrohlich, irreal und so diffus wie nötig!

Was überliefert uns Kafka? Erfahrungen der Angst, Unsicherheit, Entfremdung und des Ausgeliefertseins an anonyme und bürokratische Mächte...
In diesem Fall Software und Automaten

Ich finde am besten Kafkas Kurzgeschichte "Auf der Galerie": Eine Situation, zwei Perspektiven und zwei völlig unterschiedliche Wirklichkeiten. So ist die Welt heute – es gilt die Heisenbergsche Unschärferelation!

Aber ein steht fest, wie ich Raimund kenne: Eine Kurzgeschichte wird DAS niemals werden :-)))))

Raimund Vollmer hat gesagt…

Lieber Analüst, Kafka geht mir natürlich auch nicht aus dem Kopf. Er ist später dran. Die Kurzgeschichte "Auf der Galerie" werde ich mir auch noch einmal anschauen (zuletzt in der Schulzeit gelesen). Und die Heisenbergsche Unschärfe ist auch einmal ziemlich scharf in den Kopf geschossen. Es ist so schön zu sehen, wie wir dieselben Assoziationen haben. Heute war ich im Medienzentrum einer Schule. Mon Dieu, welch ein üppiges Material - und dann sagt die Leiterin: "Aber die Kinder lesen nichts, nur das, was sie müssen." Todtraurig!

Analüst hat gesagt…

Vorlesen ist auch aus der Mode gekommen. Genauso traurig. Woher sollen die Kids es denn haben??
Wenn ich mir dann noch die vielen völlig demotivierten Leerkörper ansehe, bei uns gegenüber in der Grundschule...

Alles kein Wunder und wirklich todtraurig.