Montag, 20. Januar 2025

Die Macht und die Herrlichkeit (1)

 Ein Versuch, die Welt zu verstehen - Von Raimund Vollmer

 "Das goldene Zeitalter Amerikas beginnt."

Donald Trump, 20. Februar 2025, 18.05 MEZ


Es ist Montag. 20. Januar 2025, Trump-Time. Ein Angriff aus dem Nichts. Ich gegen sie.

Sie sind die neuen Herrscher. Kaiser, König, Edelmann. Meinen sie. Das Netz ist ihr Eigentum mitsamt all seinen Bewohnern. Bürger, Bauer, Bettelmann. Ein globales Feudalsystem. Errichten sie.

Es herrscht Mittelalter im Cyberspace. Ein Rückstoß um 1000 Jahre.

„Die Kirche hat das Christentum nicht mehr vernichten können“, meinte 1920 der deutsche Theologe Wilhelm Walther (1846-1924) über die Zeit damals, als die Kirche alle Herrschaft an sich reißen wollte, der Papst über aller irdischen Macht stand.

Werden wir das auch eines Tages sagen können?

„Die Digitalkonzerne haben das Menschentum nicht vernichten können.“

Fragezeichen.

Digitalkonzerne! Ein Begriff, in den ich meine ganze Verachtung hineinlege. Denn ich bin Journalist. Voller Moral. Mühsam erworben – über ein halbes Jahrhundert als Beobachter der IT-Szene.

Es begann im September 1975. Bei der Computer-Zeitung in Leinfelden bei Stuttgart. Nur einer herrschte damals, hatte die Macht über alles Geschehen. Wir nannten diesen Riesen Big Blue oder auch Mother Blue. Ausdrücke des Respekts. Unsere ganze Verachtung legten wir in den Begriff „Monopolist“.

Für mich war IBM mein Lieblings-Spielzeug. Wie wunderbar konnte ich mich hier profilieren! Alle Aufmerksamkeit auf mich ziehen! Ich gegen sie! Und so ging es los!

Ausrufezeichen.

Ein halbes Jahrhundert später haben IBM und ich eins gemeinsam: Wir sind absolut bedeutungslos. Abgestürzt. Entmachtet. So zog das Duopol Gates & Grove, Microsoft und Wintel, an mir vorbei. Dann war da plötzlich das Quadropol: Google & Apple, Facebook & Amazon. Fasziniert war ich nicht – und wenn, dann nur ganz kurz. 1, 2, 4 – was kommt als nächstes? Acht oder sechzehn? Da hilft nur noch Kaballa! Ich habe es gewagt. Ich lese im Netz.

Zahlenorakel.

Die Acht steht für Gerechtigkeit, Harmonie und weises Handeln. Sie steht aber auch für Kontrollzwang, Selbstgerechtigkeit, Neid und Intoleranz.

Das war einmal.

Die Sechzehn steht für Schwierigkeiten und Lernprozesse, für Lehren und Beraten. Zu ihr gehört aber auch Seelenstärke. „Menschen mit der Zahl 16 sind oft sarkastisch, treten in jedes Fettnäpfchen, sind chaotisch, aber auch mutig“, erfahre ich und denke an diesem 20. Januar an einen Menschen, dessen Name fast schon Programm ist.

Er kam wieder.

Trump.

Um ihn sammeln sich die Digitalkonzerne, die viele Namen haben, die sie gerne auch einmal wexeln. Die großen und die kleinen Player – mit Börsenkapitalisierungen  jenseits von Gut & Böse. Ja, Trump scheint selbst einer zu sein. Er ist der König in diesem Spiel, in dem es nicht um Schach geht, sondern um Macht. Pure Macht. Keine Regel mehr ohne Verfallsdatum!

Und ich, ich stehe auf der anderen Seite des Brettes. Ich habe meine Dystopien um mich versammelt. Ohne Verfallsdatum. Alles ist möglich. Und damit Ihr es wisst: Ich bin nicht größenwahnsinnig. Denn mir genügt ein Remis.

Schach.

Wir stehen an dem point of no return. Sage ich. Nur noch ein Zug – und wir sind verloren. Wir.

„Heute nimmt in Amerika eine Oligarchie Gestalt an, extremer Reichtum, Macht und Einfluss, die buchstäblich unsere gesamte Demokratie bedrohen.“ Mit diesen Worten verabschiedete sich Joe Biden aus seinem Amt, er ist der Präsident der Vereinigten Staaten, der an seiner Altersgrenze scheiterte. Das kann seinem Nachfolger nicht passieren. Der scheitert noch nicht einmal an sich selbst.

Das tut kein Machthaber. Kein Putin. Kein Xi. Nur Politiker scheitern. Scholz. Lindner. Habeck. So ist das in Demokratien.

Demokratien – so wichtig sind sie nun auch wieder nicht. Schutz ist wichtig. Deshalb sind wir im Zweifel nur „formale Demokraten“.  So nannten 1961 in ihrer Studie „Student und Politik“ die Autoren um Jürgen Habermas die größte Gruppe innerhalb der 170 intensiv Interviewten. Es waren 39 Prozent dieser Umfrage, die zwar nicht repräsentativ war, aber doch ein eher unpolitisches Verhalten signalisierte, ein Grundverhalten, das wir uns irgendwie bis heute erhalten haben. Wir wollen unsere Ruhe.

Klar, wir erwarten, wir verlangen Schutz von den neuen Herren, den Digitaloligarchen und ihrem Präsidenten. Und sie, die fremden Herrscher, sind gnädig. Sie gewähren uns diesen Schutz, indem sie uns großherzig unserem Verfall überlassen. Natürlich sind wir empört. Denn das können wir gut. Wir moralisieren uns zu Tode. Nur: die Macht und die Herrlichkeit ist nicht mit uns. Und jetzt?

Schachmatt.

Keiner glaubt mehr an uns. Sogar wir selbst glauben nicht mehr an uns. Glaube ist sowieso außer Mode. Schon lange. In seiner „Rede des toten Christus vom Weltgebäude herab, dass kein Gott sei“ schrieb 1796 Jean Paul (1763-1825): „…das ganze geistige Universum wird durch die Hand des Atheismus zersprengt und zerschlagen in zahllose quecksilberne Punkte von Ichs, welche blinken, rinnen, irren, zusammen- und auseinanderfliehen, ohne Einheit und Bestand.“[1]

Es war die Geburtsstunde des Nihilismus – und deren größte Macht sind 200 Jahre nach dem Tode dieses großen deutschen Dichters die Digitalkonzerne. Für diese gottlosen Herrscher ist „das All (...) die kalte eiserne Maske der gestaltlosen Ewigkeit“. Es ist eine Welt ohne uns. Mit dem 20. Januar 2025 werden wir endgültig zu irgendwelchen Nummern, die durch irgendwelche Algorithmen rinnen, Punkte von Ichs.

Was soll’s? Der Mensch ist nur noch eine Abstraktion im Kalkül der Herrschaften, die sich für uns an sich überhaupt nicht interessieren.  Ja, die Herrschaften garantieren uns höchste Freiheit in ihren Netzen. Es gibt keine Zensur mehr. Aber die war ihnen ohnehin lästig. Denn unsere Meinung zählt nicht. Und was nicht zählt, muss auch nicht kontrolliert werden.

Was soll’s? Seit heute  wissen sei, dass sie allein im Namen der „höchsten Sittlichkeit“ (Hegel) agieren. Dafür steht nicht der Himmel, sondern der Staat, diese andere gestaltlose Ewigkeitsklausel, dieser Staat, der kein Problem damit hat, einen verurteilten Straftäter zum Präsidenten des mächtigsten Landes der Erde inaugurieren zu lassen. Die Digitalkonzerne und der Staat werden eins! Sie verstehen sich gut.

Heute, am 20. Januar 2025 wird uns endlich das 21. Jahrhundert in seiner ganzen Reinheit und Einheit bereitgestellt.

Alles, was vorher war, ist jetzt einer neuen Weltordnung unterworfen. 50 Jahre lang lebten wir in der Transformation von dem einen Jahrhundert ins andere. Hin und her ging es. Zwischen Fortschritt und Rückschritt.

Und?

Nun sind wir angekommen – und wundern uns zuerst einmal, dass es anscheinend doch wieder nur um die alten Themen geht – um Territorien. Um Kulturen. Um Konfessionen. Das wirkt alles andere als fortschrittlich, aber in einem bislang ungeahnten Maße ist es das, was man in der linken Szene so gerne imperialistisch nennt – mit erschreckenden Folgen:

„Denn sobald wir von Ländern, Völkern, Geschichten und Kulturen sprechen, beginnen wir automatisch zu verallgemeinern. Und verlieren dabei aus den Augen, worum es eigentlich geht: den Menschen“, meinte 1995 Joseph Brodsky (1940-1996), russisch-amerikanischer  Dichter und Literaturnobelpreisträger.[2] Der Mensch interessiert nicht. Grönland interessiert. Kanada interessiert. Antarktis interessiert. Ukraine interessiert. Naher Osten interessiert. Taiwan interessiert. Hier geht es um  Landnahme. Um Rohstoffe. Um Stützpunkte. Um all das, was wir als überwunden glaubten.

Interessant.

Und doch ist etwas fundamental anders. Die eigentliche Landnahme findet ganz woanders statt. Im Cyberspace. Der Kampf um die Menschheit. Am besten ohne Menschen. Ahnen tun wir es schon lange. Der Psychoanalytiker Erich Fromm sprach ganz in der Tradition eines Karl Marx von dem entfremdeten Menschen, „einem gut genährten, gut gekleideten und gut unterhaltenen Automatenmenschen, der von Bürokraten gelenkt wird, die ebenso wenig ein Ziel haben wie der Massenmensch.. Die Dinge werden den ersten Platz einnehmen, und der Mensch wird tot sein; er wird von Freiheit und Individualität reden, und er wird nichts sein“.[3]

Man muss nur den Begriff „Dinge“ durch „Daten“ ersetzen.

Vor 50 Jahren war die Frage nach dem Datenschutz, nach der Herrschaft der Computer der Hintergrund für meine Neugier, die mich nach dem Ende meines Volontariats in die IT-Branche führte. Als Redakteur.

Irgendwann habe ich dann als Beobachter gemerkt, dass diese Branche voller genialer, verrückter Typen ist, die einfach Freude hatten an dem, was sie schufen, austüftelten, ausdachten. Sie merkten nicht, dass sie mit alldem nur ihre größten Gegner fütterten: die Bürokraten.

Nun kehren diese Typen zurück. Verrückter denn je. Reicher denn je. Intelligenter denn je. Und sie spielen ein Spiel, das sich gegen das gesamte Establishment richtet. In dieses Spiel, das haben sie 2017 noch nicht gesehen, passt niemand so gut wie dieser Donald Trump. Er wird alle aufscheuchen und mit längst vergessen geglaubten Themen beschäftigen. Autokraten wie Wladimir Putin oder Xi Peng helfen ihm dabei sogar noch. Doch das ist alles nur das vordergründige Spektakel,  bei dem uns der Kampf um eine Weltordnung vorgegaukelt wird, die ihre Relevanz längst verloren hat.

In Wirklichkeit geht es nicht um irdische Territorien, sondern um Sphären, die uns unwirklich vorkommen – um den Cyberspace.

Auch dieses völlig absurde Essay kommt daher. Und Sie können dagegen nur eins tun: es nicht lesen. Ich gegen Sie.

Fortsetzung folgt (oder auch nicht)

[1] Jean Paul, 1796, Siebenkäs, Klassiker der deutschen Weltliteratur, 2006, Seite 385

[2] Die Zeit, 30. März 1995, Adam Michnik: “Dostojewskij kannte nicht die ganze Wahrheit” (Interview)

[3] Erich Fromm, Band 5, Seite 283

10 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Wir sind in einer Phase der Comedia dell'Arte, in der alle Augenblicke die absonderlichsten Gestalten auftreten und groteske Dinge ankündigen.
Oder schon mal getan haben.
Ergötzen Sie sich!

Analüst hat gesagt…

Hoffen wir, dass es eine Komödie ist – und keine Tragödie

Anonym hat gesagt…

Es muss eine Komödie sein, denn bei einer Komödie wird ein schlecht handelnder Mensch thematisiert, welcher in Konflikte gerät, die er allerdings lösen kann. Die Tragödie hingegen stellt einen vorzüglichen Menschen dar, welcher ebenfalls in Konflikte gerät, allerdings auf tragische Weise scheitert. Letzteres erleben wir derzeit nicht, denn die USA werden ab sofort von einem verurteilten Verbrecher regiert.

Anonym hat gesagt…

Was soll denn immer das mit dem "verurteilten Verbrecher"?
Ein saudummes Framing - wenn auch wahr.
Haben Sie damals bei Joschka Fischer, Cohn-Bendit, Modrow und den vielen anderen "Verbrechern" das auch bei jeder Bemerkung erwähnt?

Anonym hat gesagt…

Die menschlichen Dramen sind nichts anderes als Seifenopern. Also warum den Traum nicht genießen?
David Lynch (78)
Regisseur, Mystiker des US-Kinos,
dieser Tage gestorben.

Anonym hat gesagt…

Kennen Sie noch andere Benerkungen von mir?

Besserwisser hat gesagt…

Stimmt - Schwerverbrecher Fischer saß in Stammheim ein. Schwarzgeld Kohl dagegen wurde nur nicht verurteilt, weil sein Verfahren gegen die Zahlung einer Geldbuße von 300.000 Mark eingestellt worden war. Wie war das nochmal mit Starfighter FJ Strauß? Wer im deutschen Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen schmeißen...

Analüst hat gesagt…

Übrigens: die Antwort auf die ultimative Frage nach dem Leben, dem Universum und dem ganzen Rest ist ja inzwischen bekannt: 42 😉

Analüst hat gesagt…

Stimmt, die eigentliche Landnahme findet ganz woanders statt, denn Trump will "unser Territorium" nicht nur um Grönland, Panama und Kanada erweitern, sondern auch auf dem Mond und sogar auf dem Mars.

Anonym hat gesagt…

Gott erhalte Trump! Möglichst bald...