Dienstag, 29. Oktober 2024

Gedankenexperimente aus tausend und einer Seite (Teil 69): Das Gold von Bretton Woods

Titelseite 1981
 1969: »Für Gold gibt es immer einen Markt. Man braucht nicht einmal einen Hehler zu bezahlen. Jeder Tölpel kann sein Gold verkaufen, wenn er an die richtige Stelle kommt.«

Eric Ambler (1909–1998), britischer Schriftsteller, in seinem Roman „Das Intercom–Komplott“

 

Rettung durch
Bretton-Woods

  Von Raimund Vollmer 

 

Bretton–Woods. Samstag, 1. Juli 1944. In dem Wintersportort nordöstlich von New York, im US-Staat New Hampshire ging es hoch her. Franklin D. Roosevelt, Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika, hatte – mitten im Krieg – Ökonomen aus aller Herren Länder in das Mount Washington Hotel am Fuße des 1916 Meter hohen Berges zu einer epochalen Währungskonferenz geladen.[1] Alle Länder, die im Krieg gegen Deutschland und Japan standen, sollten sich geld- und handelspolitisch vereinen – zum System von Bretton Woods. Es war eine einzigartige historische Situation, die bis heute die Fachwelt fasziniert – auf der Suche nach einer Lösung für die Organisation des globalen Währungssystems.

Der D-Day, der 6. Juni 1944, die Landung der Alliierten in der Normandie war gerade vier Wochen her. Der unaufhaltsame Vormarsch auf Deutschland hatte begonnen. Das Ende des Krieges war in Sicht. „Sie trafen sich während des Krieges, um sich auf den Frieden vorzubereiten“, schrieb 1983 der 'Economist' über das Treffen.[2] Nun wollte man darüber nachdenken, wie die Zeit danach zu gestalten sei – vor allem die Welt des Geldes, der Währungen und deren Werte.

Eins schien klar. Geld war Gold. Wer aber stand dafür? Wer war der Garant?

Drei Wochen lang wurde beraten. Sehr ernsthaft, sehr konkret. und in einer Ruhe und Abgeschiedenheit, wie sie heute unvorstellbar ist. Erinnert sich der 'Economist': „Der Krieg hatte den Regierungen nahezu vollständige Kontrolle über die Wirtschaft und die internationalen Beziehungen verliehen.“[3] Sie genossen eine Macht, wie sie diese in Friedenszeiten niemals erlangen konnten. Das war geradezu ideal. Der Krieg hatte die bestehende Ordnung zerstört, und so saßen die Staatsmänner, die die Institutionen der Nachkriegszeit entwarfen, vor einem weißen Blatt Papier, auf dem sie nach Belieben herumkritzeln konnten“, meinte 2008 der britische Journalist Gideon Rachman in der Londoner 'Financial Times'.[4] Endlich – so schwärmte damals der amerikanische Finanzminister Henry Morgenthau – würden die „wucherischen Geldverleiher aus dem Tempel des internationalen Finanzwesens vertrieben“.[5] Keine Spekulation mehr. So lautete die Hoffnung auf ein stabiles, unerschütterliches, autoritäres Währungssystem. Das war die Verheißung.

Die Konferenz von 1944 in Bretton Woods

Als einzige Nation der Welt verpflichteten sich die USA, jederzeit Gold für einen festen Wert von – damals – 35 Dollar je Unze einzutauschen. Ein sauberer, ein klarer, ein fairer Deal. Sollte man meinen. Rund 700 Delegierte, darunter  Notenbankchefs und hochkarätige Geldexperten aus 44 Ländern hatten der Konferenz beigewohnt. Ohne  Japan und Deutschland, das erst nach seiner Neugründung 1949 dem System beitreten konnte. Der prominenteste Gast war niemand anders als der britische Starökonom John Maynard Keynes, der zwar mit faszinierenden Lösungen aufwartete, doch in Währungsfragen ohne Erfolg blieb. Schließlich musste er sich den Vorschlägen der amerikanischen Seite beugen – entwickelt von dem unrühmlichen, später als Stalins Spion entlarvten Amerikaner Harry Dexter White. Er sah allein den Dollar im goldenen Mittelpunkt. Und damit wechselte unwiderruflich die Macht über das Geld vom Vereinigten Königreich hinüber zu den Vereinigten Staaten – „dem größten Schlag“, gleichzusetzen einem verlorenen Krieg für die Insel, wie einer der Teilnehmer aus dem Kreis der Bank of England gesagt haben soll. [6]

Der Brite Keynes hatte die Idee vorgestellt, eine eigene Weltwährung, den Bancor, einzuführen – mit allen Konsequenzen. Der Bancor war weder eine nationale Währung, noch in Gold konvertierbar, diesem „instabilen Spekulationsobjekt“, wie es der deutsche Wirtschaftsprofessor und Bankmanager Wilhelm Hankel (1929–2014) formulierte. Gedanklich kam der Bancor der Idee der Bitcoins schon ziemlich nahe. Der Bancor war eine sich selbst regulierende Währung.

Keynes betrachtete den Goldstandard als ein „barbarisches Relikt“. Nach dem Ersten Weltkrieg hatte man versucht, ihn wieder zu etablieren – mit dem Ergebnis einer Depression und eines zweiten Weltkrieges. 1931 hatte sich Deutschland, das seit der Reichsgründung von 1871 dem Goldstandard huldigte, aus dem System verabschiedet. „Um 1936 war der Goldstandard tot“, befindet der 'Economist'. [7] Von da an herrschte „internationale monetäre Anarchie“, meinte 1994 John Williamson vom Institute for International Economics in Washington.[8] Zwischen den Weltkriegen begann eine Zeit der Abwertungen und der Deflation, der permanenten Unruhe. Diese Erfahrungen bildeten den Hintergrund, vor dem die Staatsmänner und Experten 1944 in Bretton Woods konferierten, ohne zu ahnen, dass ihr neues System am genauen Gegenteil scheitern sollte: an der Inflation und den Aufwertungen.[9] Mit dem Treffen in Bretton Woods keimte derweil die Hoffnung auf, an jenes goldene Zeitalter wieder anzuschließen, das man mit dem Beginn des Ersten Weltkrieges verlassen hatte: eine Ära der Stabilität.

Keynes hatte zudem die Errichtung einer Weltzentralbank vorgeschlagen, also einer Institution, die gleichsam das Hauptbuch über die neue Währung führen sollte.[10] Aber daraus wurde nichts. Denn das alles missfiel den Amerikanern, die das Kommando für sich beanspruchten. Sie wollten statt des Bancors den Dollar an die Spitze aller Währungen setzen. Sie hatten gute Argumente. Immerhin verfügten die Vereinigten Staaten, wie für 1948 nachgewiesen, über 72 Prozent der Goldreserven, was sich dann aber auf maximal 46 Prozent einpendelte.

Was Keynes bekam, war die Weltbank, die sich um die Finanzierung armer Länder kümmern sollte, und den Internationalen Währungsfonds (IWF), der in Finanznot geratenen Ländern helfen sollte. „Der Keynes-Plan war intellektuell faszinierender, aber es war schnell klar, dass der Wagen in die andere Richtung fuhr“, erinnert sich 1994 in der 'Zeit' Jacques Polak, der als Vertreter der niederländischen Exil–Regierung an der Tagung teilnahm. Nach Keynes hätten Länder wie Deutschland für Handelsüberschüsse Guthaben-Zinsen zahlen müssen. White hingegen sah die Verpflichtung bei Defizitländern, eine Entscheidung, von der vor allem der Exportweltmeister Deutschland profitierte.[11] Zudem muss man sehen, dass das Konzept von Industrieländern für Industrieländer konzipiert worden war. Doch heute, besonders seit dem Ende des Kalten Krieges, dienen Weltbank und IWF in erster Linie Entwicklungsländern.

„Der Dollar war König“, meinte 1980 der Zukunftsforscher Alvin Toffler in seinem Buch „Die Zukunftschance“.[12] Hankel: „Nur der Dollar hatte als einzige der in Bretton Woods vertretenen Währungen eine feste Relation zum Gold beibehalten. Er war in Gold einlösbar – zwar nicht für Amerikaner, aber für die Zentralbanken“. Keynes, der sich mit seiner gänzlich allen politischen Egoismen entzogenen neutralen Weltwährung nicht hatte durchsetzen können, ahnte, dass „dies den USA  die Gelegenheit geben würde, nach Herzenslust Geld auszugeben. Die USA würden sich zuerst ein kleines, und dann ein von Jahr zu Jahr größer werdendes Defizit leisten.“ [13] So sollte es dann ja auch kommen. Nicht nur in den USA, sondern überall in der Welt.

Exakt 247 Billionen Dollar – diese gigantische Summe schuldete 2018 die Welt – Gedanken–Stich – sich selbst. Das entsprach 318 Prozent des Weltwirtschaftsproduktes. So die Berechnungen des Institute of International Finance (IIF). [14] Inzwischen sieht das Institut den Schuldenpegel bei 312 Billionen Dollar, wovon knapp ein Drittel, 92 Billionen, den Staaten zugerechnet werden.  

Die Welt macht mehr Schulden als alle Bitcoins der Welt, möchte man hinzufügen. Vielleicht ist dieser Vergleich Quatsch. Aber ein stabiles System haben uns die von Zentralbanken geführten Währungen seit 1971 nie wieder beschert.

Kann es so etwas überhaupt geben: Sicherheit in Gelddingen? Samuel Brittain, Edelfeder der 'Financial Times' meinte 1994, anlässlich des 50. Jahrestages der Konferenz von Bretton Woods: „Die Erfahrung des Goldstandards lehrt uns, dass es dies geben kann.“ Dreißig Jahre später wissen wir, dass es auch in der Zwischenzeit diese Sicherheit nicht gegeben hat.

Warten wir auch weiterhin auf den Bancor. Vielleicht brauchen wir ihn zur Finanzierung des Umweltschutzes und der Energiewende…

Wir müssten dazu wie vor 80 Jahren ein Stück weißes Papier nehmen und diesmal wirklich ganz von vorne anfangen. Dazu fehlte 1944 der Mut, stattdessen griff man zurück auf Altbewährtes: auf Gold.  


12 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

„Mag mich fragen, wer da will: einem Tölpel aber werde ich schwerlich antworten.“

Nietzsche

Anonym hat gesagt…

Gold

Gold macht nicht jeden reich,
Gold ist geschmeidig und weich
Wie ein Lurch.
Schlängelt sich zwischen den Fingern durch.
Gold entrollt, von Gott gewollt.

Gold soll nicht frech sein.
Gold darf nicht Blech sein,
Nicht durchmessingt oder durchsilbert.
Gold will redlich frei sein,
Ohne aufgezwungnes Beisein,
Hören Sie, Gilbert?

Gold macht uns trunken. Gold
Stinkt als Halunkensold.
Gold macht nicht gut.
Gold wittert Blut.
Gold macht nicht froh.

Wo ist Gold? Wo?

In Europa ist kein Gold mehr da.
Alles Gold ist in Amerika.

Doch Sie haben recht, mein lieber Mister,
Deutschland nährt ein bißchen viel Minister.
In den Einzelstaats-Beamtenheeren
Könnte man die Hälfte gut entbehren.

Joachim Ringelnatz (1883 - 1934)

Anonym hat gesagt…

Doch welche Hälfte sollte es sein?

Anonym hat gesagt…

Macht den Menschen das Glück ver-rückt,
ist's nur für 'ne Weile.
Genieße es und sei beglückt.
Denn das Glück hat Eile.

Anonym hat gesagt…

Mitleid ist das einzige Daseinsgesetz der Menschheit. ----
Die Welt wird durch Schönheit gerettet werden.   ---
Dostojewski. Der Idiot

Anonym hat gesagt…

....... Und dass wir Licht und Schwerkraft ganz begreifen,
So hat ein Pol den andern bei den Haaren,
Im kleinsten Winde bläst das Absolute.

Karl Friedrich Gottlob Wetzel (1779 - 1819), deutscher Arzt, Philosoph, Schriftsteller

PS: Herr Wetzel hat übrigens in Bamberg gelebt und hier den Fränkischen Merkur redigiert, der seit 1791 erschien. Im Jahre 1807 war ein gewisser Hegel Chefredakteur dieser Zeitung.

Anonym hat gesagt…

Im Fernsehen haben sie schon wieder mal einen "Dialog auf Augenhöhe" angekündigt - oder besser gesagt: angedroht.
Armin Thurnher, Herausgeber des Wiener Magazin Falter hat einmal geschrieben: "Es ist arg selten, dass ein Dialog auf Nierenhöhe geführt wird."
Ich dagegen frage mich, warum Dialoge nicht auf Kopfhöhe geführt werden, sondern allenfalls auf Schädelhöhe.
Der Zustand der Köpfe ist offensichtlich solcherart, dass sie während der Sendung kein vergleichbares Niveau finden können.

Analüst hat gesagt…

Die schlechtere Hälfte am besten

Anonym hat gesagt…

Man idealisiert jeden, den man zum ersten Male sieht - entweder auf- oder abwärts.
Jean Paul

Analüst hat gesagt…

Dialog eines Ehepaares:
Sie: "Hast du was gesagt?"
Er: "Nein, das war gestern."

Unbekannt

Anonym hat gesagt…

An meine Generation
Nie ist bekannt geworden,
Dass der Erfinder des Dieselmotors
Vom Erfinder der Dampfmaschine
Verdächtigt worden wäre,
Wieder errichten zu wollen
Die Herrschaft der Pferdebahn.
Heinz Kahlau
Brechtschüler

Anonym hat gesagt…

Interview mit einem Dramatiker:
"Und welches Ihrer Stücke, darf ich fragen,
Ist Ihnen, Meister, ganz besonders lieb?"
"Ich will es Ihnen ausnahmsweise sagen:
Es ist das Grundstück, das ich mir er schrieb."
Hansgeorg Stengel
* 1922 Greiz
Mitarbeiter des Eulenspiegel,
Satiriker, Kinderverse