»Menschen achte ich den größten Reichtum.«Friedrich Wilhelm I., König von Preußen (1688-1740)
Vorbemerkung: Beim Stöbern in alten Manuskripten fiel mir dieser kleine Bericht in die Hände, den ich Anfang der achtziger Jahre geschrieben habe. Dahinter muss eine Auftragsarbeit gestanden haben, dessen Hintergrund ich vergessen habe. Aber dieser Artikel erinnerte mich daran, dass im Gefolge der industriellen Revolution die entstehenden Unternehmen in ihrer Organisation den Staat und das Militär als Vorbild genommen hatten. So mancher Manager, der sich mit üppigen Salären und anderen Ehren königlich bedienen lässt, sollte sich ein Beispiel nehmen an der Bescheidenheit der preußischen Vorbilder. Übrigens hatte schon ihr größter Lehrer, der Managementpapst Peter F. Drucker, Bescheidenheit für die größte und wichtigste Tugend einer Führungskraft gesehen. Raimund Vollmer
Ein Preuße war es, der als erster im Menschen »den größten Reichtum» dieser Erde sah, und der wie kein anderer diesen Reichtum rigoros für sich ausbeutete. Ein Preuße war es, der zum größten Kopfjäger avancierte und damit zum erfolgreichsten Topmanager seiner Zeit. Ein Preuße war es, der Verbrechern und Taugenichtse in hochmotivierte Mit¬ar¬beiter verwandelte, die bereit waren in ihrem Job sogar ihr Leben zu riskieren, sich voll und ganz mit dem Unternehmen identifizierten und zu absoluten Spitzenleistungen fähig waren. Der Name dieses Supermanagers lautet Friedrich Wilhelm I., auch der »Soldaten¬könig« genannt.
Er war Herrscher über einen Gemischtwarenkonzern, der unzählige Fabriken besaß und zwar »alle Gattungen von Wolle-, Eisen-, und Leder-Manufakturen. Neben dem Posten des Vorstandsvorsitzenden war er auch Chef des Aufsichtsrats. Er war also Chief Executive Officer und Chairman in einer Person. Dabei besaß er im Vergleich zu diesen modernen angelsächsischen Gegenstücken die uneingeschränkte, absolute Macht. Als er 1713 die Geschäfte in dem verschuldeten Staat übernahm, lag der Umsatz seines Konzerns bei 14,4 Millionen Goldmark. Als er sie 1740 an seinen Sohn, Friedrich den Großen, abgab, hatte er den Umsatz auf 22 Millionen Goldmark gesteigert. Mit einer Eigenkapitalquote von 37 Prozent stand das Unternehmen namens Königreich Preußen recht gesund da, zumal die acht Millionen Goldmark in Fässern aufbewahrt und als Notpfennig jederzeit liquide waren. Zudem verfügte die Company über ein beträchtliches Umlaufvermögen. So hatte der »Soldatenkönig« 21 prall gefüllte Kornmagazine anlegen lassen, die Vorläufer unserer heutigen Getreidesilos. Damit war die Ernährung seiner Beschäftigten jederzeit gesichert.
Dabei hatte er die Zahl der Mitarbeiter in seiner Amtszeit von 1,6 auf 2,2 Millionen erhöht. Dahinter stand nicht so sehr ein Anschwellen der Geburtenrate, sondern vielmehr die Anstrengungen seiner Kopfjäger, die im Ausland Führungskräfte und Spezialisten rekrutiert hatten. »Wenn es an Tuchmachern fehlet, so muß man dieselben in Görlitz, Lissa und Holland vor Geld anwerben«, empfahl 1722 der Chef des Preußen-Konzerns seinem General-Direktorium, dem General-Ober-Finanz-, Kriegs- und Domänen-Direktorium (G.O.F.D. und D.D.), das für die Personalbeschaffung zuständig war.
Wie man diese Leute am besten anwarb, hatte der Staatschef unter Punkt 10 seiner »Instructionen« klar bestimmt: »Um einen tüchtigen Gesellen anzuwerben, kaufet man demselben einen [Web-]Stuhl und giebet ihm ein hiesiges Mädchen zur Frau, das Lagerhaus aber schießet ihm die Wolle vor, dadurch kommt der Geselle zu Brot, etablieret eine Familie und wird in so weit sein eigner Herr; da dann nicht zu glauben, daß er große Mühe kosten werde dergleichen Leute zu engagieren und dieselben nach Unseren Landen ziehen.«
Das war pure Angebotspolitik. Sie war aber auch begleitet von rigorosem Protektionismus (»Keinen Groschen außer Landes!«). Die Einfuhr von Baumwolle, die nicht im Inland hergestellt werden konnte, hintertrieb er durch das Verbot von Kleidern, Schürzen und Mützen aus Baumwollstoffen. Das Verbot wurde sonntags von den Kanzeln der Kirchen verlesen. Zugleich betrieb er einem massiven Ausbau des Beamtenstandes. Um diesen bezahlen zu können, sicherte er sich das Salzmonopol und erfand andere Formen der Einnahmen. Statt des Lehnspferdes, das der Ritteradel zu stellen hatte, verpflichtete er die Feudalherrn dazu, jährlich 40 Taler zu zahlen. Die Domänen, die bislang in Erbpacht weitergegeben wurden, ließ der König einziehen und vermietete sie nur noch für sechs Jahre. So bekam er einen höheren Pachtzins. Nichtsdestotrotz war die Strategie sehr erfolgreich.
Kaum sind die qualifizierten Fachkräfte engagiert, werden sie - noch ehe die Firma richtig steht - an einen Webstuhl geknebelt, verheiratet und zur absoluten Seßhaftigkeit verurteilt. Maschinen und Mädchen - das waren die Sozialleistungen und Stock Options von damals, mit denen man die Mitarbeiter hielt. Friedrich Wilhelm I. wußte nur zu genau, daß man nicht nur neue Leute ködern, sondern auch halten muß. Und das funktionierte weniger durch Geld als durch gute »Sozialleistungen«. So empfahl der geschäftstüchtige König: »Mit den Strumpfmachern muß es auf diese Weise angefangen werden, und kann man dieselben in Hamburg, in der Schweiz, in Hessen und zu Frankfurt a.M. anwerben«, nannte er auch zugleich die Personalmärkte.
Noch erfolgreicher war der »Soldatenkönig« in dem Geschäftssegment, dem er schließlich seinen Spitznamen zu verdanken hatte: im militärischen Komplex. Sein Heer wuchs von ehedem 38.000 auf 85.000 Mann. Es war damit die drittgrößte Heeresmacht in Europa. Das Einfangen von wehrtüchtigen Mitarbeitern im Inland war ein reichlich brutales Geschäft: »Wenn 50 Rekruten geliefert werden sollen, gehen 100 außer Landes«, hieß es damals. Doch das Ausland bot kaum Rettung vor dem Zugriff der Kopfjäger. Denn auch hier waren sie unterwegs, um mit äußerst fragwürdigen Methoden Rekruten zu werben.
Trotzdem schuf Friedrich Wilhelm I. aus Taugenichtsen und Verbrechern das beste Heer der Welt, das über erstklassige Soldaten verfügte. So waren sie in der Lage, in Weltrekordzeit ihre Gewehre zu laden und abzufeuern. Sechs Schuß in der Minute - das machte ihnen keiner nach. Dieser Mann, den Personalberater auf ein persönliches Jahresgehalt von mehreren Millionen Euro taxieren würden, hatte seinen eigenen Job geerbt. Niemand hatte ihn angeworben. Er war in seine Aufgabe hineingeboren worden. Er war ein Manager von Gottes Gnaden und fühlte sich dennoch zuvörderst seinen Untertanen verpflichtet.
Hatte sich Friedrich Wilhelm I. primär auf die Inlandsproduktion konzentriert, so erkannte sein Sohn, Friedrich der Große, dass der Vertrieb nicht minder wichtig war. »Will man irgendeine Manufaktur anlegen, die Bestand haben soll, so muß vor allem ein Kaufmann ausfindig gemacht werden, der sie übernimmt; denn der Fabrikant kann nicht arbeiten und zugleich seine Ware verkaufen. Ferner richtet der kaufmännische Unternehmer das Augenmerk darauf, daß der fertige Stoff den Vorschriften entspricht, was den Absatz erleichtert.« Qualitätssicherung war also für den Nachfolger bereits ein wichtiges Thema. »Nichts schädigt den Handel so sehr, wie der Mangel an Reelität, falsches Ellenmaß und dergleichen Schwindeleien.« Auch Friedrich der Große verstand sich auf die königliche Kunst der Abwerbung. Während seiner Dienstzeit als Topmanager wuchs Preußens Gloria, also die Einwohnerzahl, von 2,2 auf 5,5 Millionen im Jahr 1786.
»Die Ansiedlung der Arbeiter hat mir große Ausgaben verursacht«, sah Friedrich der Große in den neuen Bürgern ein gigantisches Investitionsprogramm, das indes dem Land einen ungeahnten Aufschwung bringen sollte. Um die Kosten »mit der Zeit zu vermindern, halte ich den Arbeitern 40 Lehrlinge auf meine Kosten und er¬setze sie durch andere, sobald sie Meister werden.« So erreichte er eine Mobilität auf allen Ebenen. Mit welcher mathematischer Präzision der Hohenzollern-König seine Fachkräften-Akquisition betrieb, zeigt ein Beispiel: »Bei Prüfung der Lage der Wollmanufakturen habe ich in Erfahrung gebracht, daß die Unternehmen allgemein über Mangel an Spinnern klagen. Um dem abzuhelfen, lassen sie in Sachsen für mich arbeiten. Um gründlich zu verfahren, stellte ich Ermittlungen über diese Verhältnisse und über die Zahl der Wollspinner an, die bei uns leben könnten. Alles in allem ergab sich eine Zahl von 60.000 Seelen. Ich war über diese Entdeckung erfreut. Hier bot sich ein Mittel zur Bevölkerung des Landes. Sofort traf ich Maßnahmen, um Wollspinner zu bekommen und anzusiedeln. Sollen sie ihr Auskommen haben, so müssen sie ein Haus, ein Gärtchen und genug Weideland besitzen, um zwei Kühe zu halten. Ich habe Kolonisten aus Sachsen, aus Polen und selbst Mecklenburg herangezogen, habe sie angesiedelt bei Potsdam und Köpenick, in der Neumark, in Pommern, bei Oranienburg und mit Hilfe der Amtleute in vielen Dörfern. Alles, was ich tun kann, ist jährlich 1000 Familien anzusiedeln. Die Familie zu fünf Köpfen gerechnet, sind zwölf Jahre erforderlich, um die Zahl 60.000 zu erreichen.«
Die Kopf-Rechnerei und -Jägerei war also eine königlich-hoheitvolle Aufgabe. Denn es ging um die seit jeher wichtigste Ressource. Es ging um Menschen. (Raimund Vollmer)
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