Gefunden in der Financial Times: 1970 war der Mensch noch der "Virtuose" an der Maschine, 1973 dann der "Virtuelle Speicher". Quelle: Journalyse-Archiv RV |
Februar 1973: Nun hatten auch IBMs Mainframes einen
virtuellen Speicher, gekennzeichnet mit der Schlusszahl "8". Der kommerzielle
Top-of-the-line-Rechner IBM /370-165 wurde ersetzt durch IBM /370-168. So ging
es die Leiter herunter, allerdings gab es keine 118 und keine 128. Genau 16
Megabyte umfasste der virtuelle Speicher, der - umgesetzt in Realspeicher - 16
Millionen Dollar gekostet hätte. Da war der virtuelle Speicher, bei dem
softwaretechnisch die Platten so behandelt wurden, als seien sie
Halbleiterspeicher, weitaus günstiger.
Nun: IBM strahlte, die Kunden auch - und die Mitbewerber
schauten dumm aus der Wäsche. Nicht etwa deshalb, weil sie ein solches
Wunderwerk nicht besaßen, sondern im Gegenteil: die Idee hatten sie schon in unterschiedlichen
Varianten seit 15 Jahren implementiert. Spätestens seit 1967 hatte das Multics-Kombinat
von General Electric/Honeywell solch ein
System im Programm, IBM hatte etwas Vergleichbares als Sondersystem, als
/360-67 in seinem Verkaufshandbuch. Aber niemand war offenbar bis 1973 auf die
geniale Idee gekommen, dies als Virtuellen Speicher zu vermarkten. Dachte
jedermann. Irrtum: RCA hatte schon 1970 diesen Begriff ins Spiel gebracht.
Wann das also alles seinen Anfang nahm, ist ungewiss.
Jedenfalls in meinem Archiv. Aber ich habe ja meine Freunde, die sicherlich
alles richtig stellen.
Übrigens: die Geschichte bestätigt meinen tiefsitzenden
Verdacht, dass Software ohnehin nur ein reines Täuschungsinstrument ist. Denn
hier täuscht sie bis heute dem Rechner vor, dass er ein riesigen Hauptspeicher
besäße. Irgendwie fast schon eine Art Selbstbetrug - eine Schummelsoftware.
Insofern sollte man den VW- und Bosch-Ingenieuren Abbitte tun. Das Täuschen ist
ja der Software "system-immanent"...
Raimund Vollmer
4 Kommentare:
Unterliegen wir nicht alle der Täuschung – und sei sie auch nur von Software erzeugt!
Wittgenstein über die Gewißheit: „Ich sitze mit einem Philosophen im Garten; er sagt zum wiederholten Male: ‚Ich weiß, dass das ein Baum ist‘, wobei er auf einen Baum in der Nähe zeigt. Ein Dritter kommt daher und hört das, und ich sage ihm: ‚Dieser Mensch ist nicht verrückt: Wir philosophieren nur.‘“
Und: „Es käme mir lächerlich vor, die Existenz Napoleons bezweifeln zu wollen; aber wenn Einer die Existenz der Erde vor 150 Jahren bezweifelte, wäre ich vielleicht eher bereit aufzuhorchen, denn nun bezweifelt er unser gesamtes System der Evidenz. Es kommt mir vor, als sei das System sicherer als eine Sicherheit in ihm.“
Software macht das, was der Koch aus einem Rezept macht: Etwas Schmackhaftes für die User :-)))))
Software macht (in der Regel) das Leben leichter. In der Ausnahme (Programmierfehler, Hardware-Störung) natürlich nicht.
Nicht die Software schummelt, sie macht nur was sie soll. Es schummelt ihr Programmierer oder dessen Auftraggeber.
Insofern liegt ein Riesenunterschied zwischen VW und IBM. In beiden Fällen tat zwar die Software genau das, was sie tun sollte.
Im Fall IBM wusste der Kunde das – es wurde ja schon im Namen der Software deutlich.
Im Fall VW wusste der Kunde das nicht. Und ob es unsere Verkehrsminister wussten, ist eine interessante Frage...
PS: Schummeln ist übrigens ein Euphemismus. Ich spreche hier von Betrug. Ein eiskaltes Verbrechen.
Liebe Co-Kommentatoren, wunderbar! Danke für Eure Ergänzungen. Wittgenstein ist ja der, der alles zu Fall brachte. Und wir alle tappen in die Softwarefalle, die eben uns vorgaukelt, Tat und Täter (Autor) zu sein. Und wenn man sich dann gedanklich darauf einlässt, könnte man fast verrückt werden. Nochmals Danke. Euer verrückter Raimund.
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