Sonntag, 17. August 2025

Zum Tage: Falsche Hirten

 „Im Lauf der Geschichte folgten nicht wenige ‚Hirten‘ aufeinander – Führer, Chefs, Ideologen oder Macher von Meinungen und Denkrichtungen –, die  versuchten, das Volk zu künstlichen Paradiesen zu führen und zu verheißenen Ländern der Freiheit, des Wohlergehens, der Gerechtigkeit“, warnte 1990 Papst Johannes Paul II. auf seiner Reise durch Mexiko. Aber es seien falsche Hirten, die nicht der Wahrheit dienten, „sondern Einzelinteressen, Ideologien und Systemen, die sich gegen die Menschen gewandt haben.“

Und die Kirche selbst? (R.V.) 

Freitag, 15. August 2025

Zum Tage: Politik lähmt

 

2004: „Die Zukunft wird aus der Glasfaser-Sphäre eines allgegenwärtigen optischen Netzwerks bestehen, das den gesamten Globus umspannt und mit den Kunden auf vielfältigste Weisen verbunden ist, von denen die meisten drahtlos sein werden. In dieser radikal einfacheren und mächtigerem Netzwerk-Architektur wird jede Distanz mit der Schnelligkeit des Lichts überwunden werden und nicht mit der Geschwindigkeit der Politik.“

George Gilder (*1939), amerikanischer Technologie-Visionär  im Wall Street Journal


Donnerstag, 14. August 2025

Maschinen, Markt und Menschenrecht (2)

 1999: „Im Zeitalter der Trance bewegen sich die Menschen mit den Dingen ausgeglichen. Halb Chip, halb Tiefe, bleibt ihnen kein Zwischenraum zu reflektieren. Die Dinge sind ihnen eingegeben wie im ersten Zeitalter der Trance die Götter.“

Botho Strauß (*1944), deutscher Schriftsteller

 

Von Raimund Vollmer 

(Habe ich wahrscheinlich während der Corona-Isolation geschrieben) 

  

„Jede durch Können, Ehrgeiz und Willensstärke erlangte Macht kann letztendlich übertroffen werden von der Macht des Kapitals“, hatte 1992 die amerikanische Journalistin Barbara Ehrenreich in ihrem Buch »Angst vor dem Absturz« formuliert. Lange bevor wir in Europa uns dieses Themas annahmen, hat sie am Beispiel der USA den Untergang der Mittelschicht exemplifiziert. Damals fühlte sie sich durch die Globalisierung bedroht, nun kommt noch die Digitalisierung hinzu. Fast möchte man sagen: die Mittelschicht wird ersetzt durch das „Mittelding“. Dieses Mittelding aber braucht die Mittelschicht, braucht uns nicht mehr – allenfalls noch als Lieferant von Daten, die über alle Grundverordnungen hinweg ihre eigene Realität bilden.

Mit der Mittelschicht verschwindet auch die Gesellschaft. „No Society“ nannte der Franzose und Kritiker Christophe Guilluy sein Buch, in dem er von „einer gigantischen Umwälzung“ spricht, ähnlich Weizenbaums phantastischer Transformation. „Unser Wirtschaftsmodell funktioniert“, sagte er im Gespräch mit der 'FAZ'. Ganz automatisch, möchte man hinzufügen „Wir werden immer reicher.“ Ganz automatisch. „Aber wir schaffen es immer weniger, die Gesellschaft zusammenzuhalten.“Wir sind ganz einfach zu viele, und wir wollen zu viel, während in uns das Gefühl wächst, immer weniger zu bekommen. 

Was aber bringt uns wieder zusammen?

Maschinen, Marktwirtschaft, Menschenrechte – das waren die drei Kräfte, die sich in den vergangenen 250 Jahren immer wieder zusammenrauften und unsere Gesellschaft zumindest nach dem 2. Weltkrieg zusammenzuhalten schienen. Es sind die drei Themen, um die wir seit mehr als einem Vierteljahrtausend kreisen, von denen wir auch in den nächsten Jahrhunderten nicht loskommen werden. Mit diesen drei Themen identifizierte sich vor allem die Mittelschicht. Sie definierte sich durch den technischen Fortschritt, durch den Glauben an die Wirtschaftskraft und durch ihre Selbstbestimmungsechte. Heute stellt sich indes die Frage: Bilden Maschinen, Marktwirtschaft und Menschenrechte noch einen Dreiklang, eine Harmonie, eine „Balance of Power“, oder befinden sie sich inmitten eines dramatisch eskalierenden Wettkampfs um den Oberbefehl? Damit einher geht die bange, die entscheidende, die ewige Frage: Wofür steht der Staat mit all seiner Autorität? Wofür steht unsere Kultur mit all ihren Einrichtungen? Wofür steht unsere Religion mit all ihren Erscheinungsformen? Was passiert mit diesen Institutionen im Verhältnis zueinander und zu uns?

Ganz tief unten stellt sich zudem die bange Frage: Hat es überhaupt je eine heile Welt gegeben, in der sich die drei Urkräfte der Moderne zu einer Einheit vereinten? Sind wir nicht die ganze Zeit einer Illusion aufgesessen?


Zum Tage: Der Papierkorb

 „Die Seele jeder Ordnung ist ein großer Papierkorb.“

Kurt Tucholsky (1890-1935), deutscher Schriftsteller

 ... aber vorher machen wir eine digitale Kopie...

Mittwoch, 13. August 2025

Nachschlagzeile: "NATO über Alles"

 Quelle: Time, 26. März 1990

Maschinen, Markt und Menschenrecht (1)

1991: »Die fremdbestimmte Art und Weise, wie wir uns heute an das Arbeitstempo des Computers und des technischen Umfeldes anpassen mussten und müssen, grenzt an den eines unsichtbar ausgeübten Zwanges, eines aufgepfropften Zwangsverhaltens.«

Marie-Yvonne Bogacki, französische Ärztin, in der Süddeutschen Zeitung

 

 

Von Raimund Vollmer 

(Habe ich wahrscheinlich während der Corona-Isolation geschrieben) 

Raymond Kurzweil, der Mann, dessen Visionen weit in dieses Jahrhundert hineinragen, schrieb 1986: „Während des 18. Jahrhunderts wurden Wirtschaft und Gesellschaft durch die Einführung der Maschinen komplett umgestellt.“ Das war die erste Transformation. Überall tauchten Maschinen auf, „die unsere natürlichen Begabungen erweitern, multiplizieren und aushebeln konnten. Daraus ward die Industrielle Revolution.“ Mit ihr durchdrang die Technologie fürderhin alles: Kapital und Arbeit, Wirtschaft und Wissenschaft, Recht und Staat, Gesellschaft und Individuum. Uns bliebt nichts anderes übrig, als uns permanent der Technologie in ihrer Fortentwicklung anzupassen – und unterzuordnen.

Menschenpflicht statt Menschenrecht. 

Es ist die Technologie, die über uns bestimmt. Was aber ist Technologie?

In Deutschland war es der Göttinger Professor Johann Beckmann, der 1777 erstmals mit seiner Schrift „Anleitung zur Technologie“ den Begriff in die Welt setzte und darunter die „Summe aller Kenntnisse“ verstand, die sich „auf eine gewerbliche Arbeit“ bezogen, also auf das Know–how, auf das Wissen der Experten, der Profis. Diese bestimmten denn auch unsere ersten 250 Jahre im neuen Jahrtausend. Sie machten aus der Welt einen Computer. „Wenn wir heute beispielsweise von Bürokratie, Universität oder irgendeinem anderen gesellschaftlichen oder politischem Gebilde sprechen, so ist die damit verbundene Vorstellung fast unweigerlich die eines selbständigen, maschinenähnlichen Vorgangs“, bemerkte Weizenbaum 1976.

Gegen diese Profis stellen sich – von Frankreich ausgehend – mit ihren Protesten die „Gelbwesten“, Menschen, die einmal die Normalbürger gewesen waren und sich nun an den Rand gedrängt fühlen. So richtig ernst genommen werden sie bislang kaum. Gegen sie ist allerdings auch noch keine Software gewachsen, die sie von der Straße verbannt.

Tränengas, Wasserwerfer und Gummigeschosse – das sind ziemlich rabiate und vor allem alte Mittel, deren Einsatz sich in Frankreich der Staat bedient und über seine Hierarchien sanktioniert. Die Gelbwesten hingegen organisieren sich in aller Beliebigkeit über Software, über die Social Media. Wenn die 'Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung' 2019 in dem Protest der Gelbwesten eine „historische Neuigkeit“ sah, dann lag die Novität genau hier. Durch Software entsteht eine Welt, die offenbar jederzeit außer Kontrolle geraten kann.

Wenn sie es nicht schon ist! Klaus Segbers, Direktor des Center for Global Politics an der Freien Universität Berlin, beschäftigte sich mit dem zunehmenden Populismus, der eine Spaltung der Gesellschaft billigend in Kauf nimmt. „Beschrieben wird sie als eine Auswirkung der Globalisierung, die in Zukunft durch Automatisierung und Künstliche Intelligenz noch beschleunigt werden dürfte“, heißt es 2019 in seinem Aufsatz in der 'FAZ'.

„An die Stelle des verwerflich handelnden Menschen trete die herzlose Maschine und entscheide über das Wohl und Wehe ganzer Volkswirtschaften, wird behauptet“, konnte sich 1990 noch Rüdiger von Rosen, damals Chef der Frankfurter Börse, distanzieren. „Solche Anklagen sind jedoch haltlos.“

Da scheinen sich, wenn auch nur ansatzweise, die Verhältnisse umzudrehen. Der Italiener Aurelio Peccei (1908–1984), Mitbegründer des Club of Rome, hatte noch 1981 den Konflikt als einen Kampf zwischen den Verlierern, die „nur die unbewussten Sklaven der Zukunft“ seien, und den „kurzsichtigen Bürohengsten der Zukunft“ gesehen. Die Sklaven tragen nun Smartphones und die Bürohengste laufen Amok.