Kommentar. Es ist nun bald sechzig Jahre her, dass der Harvard Business Review den großen Traum aller Topmanager propagierte: ein Computer, der alles kann und alles weiß, der auf jede Frage in Sekundenschnelle eine Antwort weiß und endlich die gesamte Bürokratie überflüssig machen würde. Wir alle wissen (und wir haben diese Story hier ja schon mehrfach angedeutet), dass alles anders kam und der Computer nicht der größte Feind, sondern der größte Freund der Bürokratie wurde. (The Economist)
Ausgerechnet der Mitgründer eines Unternehmens, das wie kaum ein anderes in den letzten 40 Jahren von der computerunterstützten Bürokratie profitiert hat, scheint sich nun an den alten, eigentlich schon längst vergessenen Top-Management-Traum zu erinnern: Hasso Plattner, Aufsichtsratsschef der SAP, will mit einer von seinen Jung-Ingenieuren in Potsdam entwickelten In-Memory-Technologie aus Speicherchips die behäbigen Speichermonster aus Round & Brown, aus rotierenden Plattensystemen, ersetzen und den Unternehmen damit völlig neue Möglichkeiten der Datenanalyse und der Entscheidungsfindung eröffnen. Das Konzept, das er nun der gesamten SAP-Produktwelt aufstülpen will, heißt HANA (Hasso Plattner's New Architecture). Dem Wall Street Journal war dies heute eine Home-Story wert, in der Hasso der Protagonist ist und Oracles Larry den Antagonisten spielt.
Wenn diese Umsetzung von In-Storage zu In-Memory nicht gelingt, dann wäre SAP anschließend hoffnungslos dem Treiben der Konkurrenz ausgeliefert, suggeriert die Story. Wenn SAP aber damit reussiert, dann ist mehr drin als nur die 20 Milliarden Euro Umsatz, die sich die Walldörfer für 2015 vorgenommen haben. Dann wäre es ein Frontalangriff auf Oracles Kerngeschäft, die relationalen Datenbank-Management-Systeme. Und es wäre natürlich auch ein Thema, mit dem sich SAP dauerhaft und dominant im Cloud-Business etablieren könnte.
Das gilt aber nur unter der Voraussetzung, dass sich die Unternehmen auch in ihren Management-Strukturen auf diese Technologie und deren Möglichkeiten eingestellt haben. Und da liegt das eigentliche Problem.
In Großunternehmen sind alle Entscheidungen Top-down gerichtet, von oben nach unten. Daraus bezieht die herrschende Klasse ihr Ego und ihr Selbstverständnis. Und die In-Memory-Technologie scheint diese Top-Down-Struktur zu unterstützen. Mit ihrer Hilfe sieht die Unternehmensführung in Sekundenschnelle, was unten geschieht - an der Basis, in den Abertausenden von Kundensituationen. Sie sieht es direkt, allenfalls gefiltert durch die Algorithmen der Computer und nicht mehr kommuniziert durch die vielen Management-Ebenen der Verbeugung und Verbiegung von Daten. Diese Sicht-Schichten braucht man nicht mehr. So hofft man, so glaubt man, so will man. Nur wurde in der Vergangenheit der Widerstandsgeist des mittleren Managements regelmäßig unterschätzt. Es hat sich immer gerächt.
Mehr noch: In vielen Unternehmen, die ihr Mittelmanagement ausdünnten, sah man, dass sich niemand mehr den falschen (und oftmals sehr arroganten) Entscheidungen des Topmanagements wirkungsvoll entgegenstellte. Da war kein Mittelmanagement mehr, das als Kollektiv & Korrektiv auftrat.
Natürlich ist das Mittelmanagement bis heute nicht bekannt für individuellen Mut. Aber es verhinderte in und mit seiner Breite stets Schlimmeres. Mehr noch: es war auch immer das Potenzial, aus dem sich das Topmanagement der Zukunft rekrutierte. Wer diese Schicht abbaut, dem fehlt der Speckgürtel des in sich ruhenden Erfolgs. Aber das Mittelmanagement steht auch für ein gewisses Maß an Behäbigkeit und Gelassenheit, was so manchen Dynamo an der Spitze zur Raserei bringen konnte. Die Topmanager glaubten durch Abbau der mittlere Schicht, endlich freie Bahn zu haben. Das Ergebnis war nicht selten die Katastrophe. Denn die, die übrig blieben, fürchteten fortan nur noch um ihren Job, waren nur darauf bedacht, selbst keine Fehler zu machen, ihnen fehlte der Mut zum Mut. (SAP müsste es selbst am besten wissen. Erst die Wut der Kunden brachte sie wieder auf die richtige Spur. Hier übernahmen die Anwender die Aufgabe des Mittelmanagements.)
Was die Unternehmen, die auf HANA umstellen, brauchen, ist ein In-Memory-Management. Und die einzigen Typen auf der Welt, die das beherrschen, sind entweder Erfinder (kreative Chaoten, also der "Gott-sei-bei-uns" aller Manager) oder echte Unternehmer. Diese denken aber Bottom-up, sie springen von unten nach oben. Mehr noch: sie denken letztlich gar nicht mehr in Hierarchien, sondern vernetzen sich in neue Kombinationen (Schumpeter).
SAP müsste also mit HANA die Unternehmertypen ansprechen - nicht einfach für ein Unternehmen, das mit Typen groß geworden ist, die sich in den letzten 100 Jahren zur sogenannten Management-Kaste emporgeschwungen haben und ziemlich autoreferenziell agieren. Vielleicht ist HANA eher etwas für den Mittelstand - da, wo es noch echte Unternehmer gibt, die Spaß an spontanen Entscheidungen haben, an neuen Situationen, an schnellem Wandel. Denn das ist letztlich der Geist, der in der In-Memory-Flasche steckt.
Raimund Vollmer
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