Samstag, 23. November 2024

Zum Tage: Wie im Mittelalter

 1990: „Die Öffentlichkeit hat die Ansprüche der Computerwelt zu beurteilen und in Kategorien wie Glaubwürdigkeit und Quatsch zu sortieren. Sie ist auf diese Aufgabe ebenso wenig vorbereitet wie die gläubigen Menschen im Mittelalter, die die Aussagen ihrer Theologen bewerten sollten.“

Joseph Weizenbaum (1923-2008), Professor für Computerwissenschaften am Massachusetts Institute of Technology

Freitag, 22. November 2024

Zum Tage: Antisemitismus & Papst

 1986: „Die Kirche beklagt alle Hassausbrüche, Verfolgungen und Manifestationen des Antisemitismus, die ich zu irgendeiner Zeit und von irgendjemandem gegen die Juden gerichtet haben, ich wiederhole, von jedem.“

Papst Johannes-Paul bei seinem historischen Besuch im April 1986 in der römischen Synagoge


Donnerstag, 21. November 2024

Zum Tage: Freundschafft

 "Es richten Freundschafft auff Soldaten durch Gefahr
Durch Bücher und durch Schrift der klugen Geister Schaar
Und durch Gewinn pflegt sie der Kauffmann zu erkauffen
Nur unser Deutscher muss dieselbe sich ersauffen."

August Adolph Haugwitz (1645-1706), dichtender Landedelmann aus der Oberlausitz

Mittwoch, 20. November 2024

Zum Tage: Kritik

 „Wer sich über Kritik ärgert, gibt zu, dass er sie verdient hat.“

Cornelius Tacitus (55-120), römischer Geschichtsschreiber

 

Dienstag, 19. November 2024

Zum Tage: Dachte er da an Werbung?

 „Das Bedürfnis gilt als Ursache der Entstehung, in Wahrheit ist es oft nur eine Wirkung des Entstandenen.“

Friedrich Nietzsche (1846-1900), deutscher Philosoph

Montag, 18. November 2024

Zum Tage: Die Lüge

 Wer die Umgangsformen beachtet, aber die Lüge verwirft, gleicht einem, der sich zwar modisch kleidet, aber kein Hemd auf dem Leibe trägt.“

Walter Benjamin (1892-1940), deutscher Philosoph

Sonntag, 17. November 2024

Zum Tage: Der Krieg

 1948: Der Krieg erscheint immer mehr als ein Prozess, der aus gegebene Spannungen hervorgeht und, einmal in Gang gesetzt, nicht mehr aufgehalten werden kann.“

Romano Guardini (1885-1968), italienischer katholischer Theologe

Samstag, 16. November 2024

Zum Tage: Feuer & Wasser

 Diplomatie und Öffentlichkeit gehen eine Verbindung ein wie Feuer und Wasser. Die Diplomatie zisch und wird zu Wasser.“

Ludwig Marcuse (1894-1971), deutsch-amerikanischer Philosoph

Freitag, 15. November 2024

Zum Tage: Mittagsschlaf

 „In Deutschland werden europaweit die meisten Nickerchen gehalten.“

Ingo Fietze und Thea Herold in ihrem Buch „Der Schlafquotient, Hamburg 2006

Donnerstag, 14. November 2024

Zum Tage: Stammtische

 „Waren nicht Platons Gastmahl, das letzte Abendmahl oder König Artus' Tafelrunde auf eine Art von Stammtische?“

Klaus-Peter Hufer (*1949), deutscher Bildungswissenschaftler

 

Mittwoch, 13. November 2024

Zum Tage: Zeitgewinn

 „Durch den Begriff des Endes wird jeder Zeitgewinn von absoluter Kostbarkeit und Unersetzlichkeit.“

Hans Blumenberg (1920-1996), deutscher Philosoph

Dienstag, 12. November 2024

Zum Tage: Schmutzige Hände

 „Durch häufiges Händeschütteln mit der Prominenz werden auch die schmutzigsten Hände sauber.“

John Osborne (1929-1994), britischer Autor

Montag, 11. November 2024

Zum Tage: Manager

 "Manager hemmen Innovation"

Überschrift in der Stuttgarter Zeitung am 22. April 1997 zu einer Studie des Rationalisierungskuratorium der Deutschen Wirtschaft (RKW)

Sonntag, 10. November 2024

Zum Tage: Bühne der Bürokraten

 1972: „In der Dienstklassengesellschaft liegt der repräsentative Staat im Winterschlaf, und eine sehr langweilige Art von bürokratischem Konservatismus beherrscht die Bühne. Was immer begonnen wird, läuft und läuft.“

Lord Ralf Dahrendorf (1929-2009), deutsch-britischer Soziologe und Politiker

Samstag, 9. November 2024

Zum Tage: DDR

 Über die Menschen in der DDR im August 1990

„Man hat das Bewusstsein, dass man Erfahrungen, Zumutungen, Zwängen in einer solchen Intensität ausgesetzt war, dass die eigene Gesellschaft dadurch zu einer existentiellen Erlebniseinheit wurde. Das bedeutet, dass man nicht verstehen kann, wer ihr nicht angehört hat. (…) Die Doppelrolle des Staates als Unterdrücker und Versorger wurde sogar doppelt positiv verinnerlicht.“

Christian Meier (*1929), deutscher Althistoriker


Freitag, 8. November 2024

Zum Tage: Westentaschendiktatoren

 DIE IM DUNKELN SIEHT MAN NICHT...

„Ein wichtiger Punkt in jeder Theorie des nichttyrannischen (also ‚demokratischen‘) Staates ist das Problem der Bürokratie. Denn unsere Bürokratien sind ‚undemokratisch‘ (in meinem Sinn des Wortes).  Sie enthalten unzählige Westentaschendiktatoren, die praktisch nie für ihre Taten und Unterlassungen zur Verantwortung gezogen werden. Max Weber hat dieses Problem für unlösbar gehalten, und er wurde darüber zum Pessimisten.“

Sir Karl Raimund Popper  (1902-1994), österreichisch-britischer Philosoph


Zum Tage: Ladies and Gendermen...

 „Sprache ist ein System, das nur seine eigene Ordnung kennt.“

Ferdinad de Saussure (1857-1913), Schweizer Sprachwissenschaftler 

 Sie ist aber auch ein Machtinstrument, das über sich selbst hinauswirkt... (R.V.)

Donnerstag, 7. November 2024

Zum Tage: Lügen heißt siegen

"Sagen wir, wie es ist: Trumps politische Kommunikation besteht aus ständigen Provokationen, er lügt und betrügt, verschiebt die Grenzen des Sagbaren und erniedrigt seine politischen Gegner. Damit ist er offensichtlich so erfolgreich, dass er immer noch mehr Leute mobilisiert. Das ist eigentliche Nachricht dieses Tages – und zwar, dass diese Art von Politik, die auf Emotionalisierung, Hass und die Ängste der Menschen setzt, bis ins Weiße Haus führen kann. Damit hat Trump durchschlagenden Erfolg."

Volker Depkat (*1965 in El Paso, Texas), lehrt American Studies an der Universität Regensburg.

Quelle: T-Online

Zum Tage: Künstlichkeit

 1987: „Kunst – Künstlichkeit – ist das Schönste, was ein Mensch vermag. Man kann nämlich mit ihr die eigene Natur überwinden.“

August Everding (1928-199), deutscher Regisseur und Intendant

Mittwoch, 6. November 2024

Dienstag, 5. November 2024

Zum Wahltage: Vater und Sohn

 Die Anti-Politik

 Mein Vater, der vor vierzig Jahren starb, war CDU-Mitglied. Und so war er natürlich nicht sonderlich glücklich, als es 1969 zur ersten sozial-liberalen Koalition kam. Ich, der ich damals noch gar nicht wählen durfte, war es umso mehr. Ich freute mich. Endlich Ende der großen Koalition, einer Koalition, die damals wirklich noch groß war

Aber dann sagte er etwas, was fortan mein Denken über Politik nachhaltig prägte. Das sei ja nicht so schlimm, denn im Bundesrat haben  CDU/CSU die Mehrheit und nach zwanzig Jahren der Kanzlerschaft von CDU und CSU seien alle entscheidenden Jobs in der Verwaltung mit Mitgliedern des konservativen Teils besetzt. Zudem würden CDU/CSU im Bundestag die größte Fraktion bilden. So begann damals die heißeste Phase in der noch jungen Geschichte der Bundesrepublik. Sitzungen des Bundestages, zumal dann, wenn Franz-Josef Strauß (CSU) sich mit einer Rede ankündigte und die Debatte im Fernsehen live übertragen wurde, waren regelrechte Straßenfeger. Tagsüber. Dann, wenn die Bundesrepublikaner und Bundesrepublikanerinnen zu arbeiten hatten. Politik war wichtiger als alles andere – und man hatte das Gefühl, keiner hatte zu viel Macht.

Damals lernte ich, dass es gut ist für eine Demokratie, wenn die sie tragenden Institutionen nicht in einer Hand versammelt sind, sondern auf durchaus verzwickte und komplexe Weise auf viele verteilt ist. Die Gefahr einer „totalen Verwaltung“ (Max Horkheimer), sich in eine “totalitäre Verwaltung“ zu verwandeln, bestand kaum. Und die Gewaltentrennung tat ihr Übriges. Das Parlament war die höchste und vornehmste Institution.

Das Charisma der frühen Jahre ist längst verschwunden. Die Leidenschaft, die uns damals über alle Parteigrenzen, alle Differenzen hinweg in gegenseitiger Toleranz  miteinander verband, weicht mehr und mehr einem Gefühl des dumpfen, irrationalen Hasses aufeinander.

In einem mich sehr nachdenklich machenden Essay des Londoner „Economist“ wird diese Tendenz als „negative Parteinahme“ und „Antipolitik“ bezeichnet. Und mit dem heutigen Wahltag in den USA werden wir davon nun ein Paradestück erleben und möglicherweise den Höhepunkt dieser Antipolitik – einer Entwicklung, die mit den neunziger Jahren begann, mit dem Fall der Mauer und dem Fehlen eines äußeren Feindes, der nach altbekannter Weise, den inneren Zusammenhalt stets fördert.

Mit dem Ende des Kalten Krieges verlegte sich stattdessen der Konflikt ins Innere. Von diesen Konflikten haben wir so viele inzwischen, dass der Anteil dessen, was wir gut finden, sich auf ein Minimum reduziert.

Die Wahlen in 50 Ländern zwischen 1961 und 2021 hat der Economist gemeinsam mit Wahlforschern in einer 274 Wahlen umfassenden Studie untersucht – und ist dabei zu dem Ergebnis gekommen, dass auf einer Skala von 0 bis 10 bis etwa 1980 die Zustimmung für die eigene Partei gestiegen ist – auf fast acht Punkte. Mit den neunziger Jahren sank sie auf knapp über sieben Punkte. Das wirkt letztlich immer noch stabil. Doch rapide sank die Sympathie für gegnerische Parteien von ehedem mehr als vier Punkten auf fast zwei, sie halbierte sich praktisch. Der Argwohn: es ist fast schon zum Geschäftsmodell der Politik geworden, die latent sicherlich in gewisser Weise stets vorhandene emotionale Ablehnung des anderen zu schüren. Weltmeister darin ist natürlich der Mann, der gerne wieder Präsident der Vereinigten Staaten werden will. Aber wir spüren dies in unserem Land nicht nur in dem sich gegenseitig zersetzenden Verhalten in der Koalition, sondern in den hiesigen Beurteilungen der kriegerischen Auseinandersetzung in Israel und in der Ukraine. Da ist oftmals so viel Scheinheiligkeit dabei, dass man schon gar nicht mehr anders kann, als zu dem Eindruck zu kommen, dass es in Wahrheit nur noch um das Polarisieren geht. 

Wer sich einmal in eine mehr oder minder fragwürdige Position verrannt hat, ist bereit, auch Lügen zu akzeptieren, wenn sie denn der eigenen Meinung dienen und die „negative Parteinahme“ stärken. Ja, man sei sogar bereit, seinen  eigenen Interessen zu schaden, wenn am Ende der Gegner weitaus stärker belastet wird.

Es ist ein ungutes Klima, das auch Deutschland längst erfasst hat. Und ein großer Teil der Politik und der Publizistik wirkt daran mit, weil es die Aufmerksamkeit fördert. Dies ist mehr und mehr unverantwortlich. Und um Verantwortung geht es denen, die da schüren, in der Tat schon gar nicht.

Letzten Endes ist dies aber eine Bankrotterklärung der Politik, die nicht mehr in der Lage ist, eine positive Parteinahme in den Vordergrund zu stellen. Zugegebenermaßen: sie hat auch auf den traditionellen Feldern einer Erfolgsstrategie keine Unterstützung mehr. Wir sehen das Missmanagement in der Wirtschaft, wir sehen den fehlenden Mut auf der Unternehmerseite, wir spüren die Überwältigung aller Lebensverhältnisse durch administrative Verfahren, wir ersticken in Anpassungsprozessen, die eigentlich nur sich selbst zum Ziel haben: die Anpassung. Wir transformieren uns in absolute Sinnlosigkeit.

Es wäre an der Zeit, wieder zurück zu einer positiven Einstellung zu Politik und Gesellschaft zu kommen. Sie wird aber bestimmt nicht über die traditionellen Felder (z.B. Wohlstandspolitik) kommen. Denn wenn die jetzige Periode irgendeinen Sinn hat, dann den, dass es nicht Wohlstand und Technik sind, die Menschen einen und den Hass besiegen. Die Menschen wollen als Menschen wahrgenommen werden – und nicht als Smartphone.

So habe ich vor 65 Jahren Politik erlebt - zwischenmenschlich und nicht medial gepusht. Uns haben vorrangig die Themen bewegt. Und es war auch im Widerstreit der Institutionen ein tolles, intellektuelles Schauspiel, das uns geboten wurde. Heute zanken sie nur noch ums Geld, das in erster Linie dazu dient, sich selbst zu erhalten – und nicht die Aufgaben zu erfüllen, für die man sie dereinst geschaffen hat. Vielleicht ist diese Art der Entfremdung das Grundübel. Wir haben uns alle voneinander entfernt.

Ich weiß, dass ich damals mit meinem Vater gerne über Politik diskutiert habe. Leidenschaftlich von meiner Seite, überlegen von der Seite meines Vaters. Bitterbös wurde es nie, weil er mich verstand und ich ihn mit der Zeit auch.

Raimund Vollmer

Montag, 4. November 2024

Zum Tage: Zu spät

  "Es pflegt leider sehr schnell zu spät zu sein."

Thomas Mann (1875-1955), deutscher Schriftsteller und Literaturnobelpreisträger

Sonntag, 3. November 2024

Zum Tage: Qualprognose?

 1934: Wer den Geist tötet, tötet das Wort.  Und wer das Wort schändet, schändet den Geist, untrennbar sind sie einander verbunden.  Und immer wieder verliert der Mensch die Sprache, immer wieder entgleitet ihm der Geist, entgleitet ihm das Absolute, immer wieder wird er zurückgeschleudert in das Schweigen seines düsteren Urzustandes, das heute noch die Dumpfheit des Primitiven ist, in seine Grausamkeit, in sein düsteres Leid…

 

Hermann Broch  (1886-1951), österreichischer Schriftsteller, in seinem Vortrag:  „Geist und Zeitgeist“


Samstag, 2. November 2024

Zum Tage: Sprachverbote

"Ganze Literaturen
In erlesenen Ausdrücken verfasst
Werden durchsucht werden nach Anzeichen,
Dass da Aufrührer gelebt haben,wo Unterdrückung war."

Bert Brecht (1889-1956), deutscher Schriftsteller und Dramatiker

 



1949: Brothers in arms

1949: Etwa 20 Prozent der polnischen Armee bestehen gegenwärtig aus sowjetischen Soldaten in polnischer Uniform. So melden es westliche Geheimdienste. 

Journalyse-Quelle: Die Welt

Freitag, 1. November 2024

Zum Tage: Allerhöchste

 Hab Achtung vor dem Menschenbild
Und denke, dass, wie auch verborgen,
Darin für irgendeinen Morgen
Der Keim zu allem Höchsten schwingt!

Friedrich Hebbel (1813-1863), deutscherSchriftsteller

Donnerstag, 31. Oktober 2024

Gedankenexperimente aus tausend und einer Seite (Teil 70): Detroit versus Deutschland - Erinnerungen an Weltkrieg II (1)

 

Mit dem 2. Weltkrieg steigen die USA endgültig zur Supermacht auf. Wider Willen. Nun liest man, dass die Vereinigten Staaten diese Rolle satt hätten. "America first" heißt es. Wie stark diese Tendenz ist und sich durchsetzen wird, erfahren wir mit den kommenden Wahlen. Grund genug, einmal zurückzublicken in eine Zeit, die für Deutschland die schlimmste in seiner Geschichte war. 

Welt in Trümmern

  Von Raimund Vollmer 

 Es ist das Kriegsjahr 1942. Westlich von Detroit wird eine neue, vierspurige Straße eröffnet, genannt der Industrial Expressway. Er vereint die Autostadt mit dem 30 Meilen entfernten Willow Run zu einem „der größten High-Tech-Zentren“ (‚The Economist‘) der damaligen Welt.[1] Denn hier baut die Ford Motor Company im Auftrag der Regierung seit 1941 die schweren und gefürchteten B-24-Bomber. 1943 verlässt jede Stunde eine neue Maschine die Fabrik. Das braucht Menschen. Das braucht Material. Das braucht Straßen wie diesen Expressway. Hier entstehen aber auch die Motoren, die Stalins Panzer antreiben. Und als sich der sowjetische Diktator Ende 1943 mit dem amerikanischen Präsidenten Franklin D. Roosevelt traf, meinte Stalin, dass es die Kriegsfabrik Detroit ist, die Deutschland schlagen wird.

Die USA haben wieder einmal ihre gewaltige Logistikmaschine in Gang gesetzt. Diesmal soll sie ein Land vernichten, das wie kein anderes zuvor Not und Elend über die ganze Welt gebracht hat und selbst wie eine einzige Logistikmaschine zu funktionieren scheint: die Kriegsmaschine namens Deutschland.

Als die größte Materialschlacht der Geschichte zu Ende ist, liegt Europa danieder. Deutschlands Städte bestehen nur noch aus Schutt und Asche. Für den Krieg selbst hatten die Deutschen zwischen 1939 und 1945 rund 570 Milliarden Reichsmark aus dem Staatssäckel bezahlt. Geld, das mit einem Anteil von 510 Milliarden Reichsmark allein für die Wehrmacht ausgegeben worden war.[2] Das Ergebnis war verheerend.

600.000 Menschen, darunter 60.000 Kinder, sterben im Bombardement der Alliierten. Deutschland ist ein Schutthaufen aus 400 Millionen Kubikmeter Trümmern. 2,8 Millionen Wohnungen sind vernichtet, 41,2 Prozent von allen. Überall Zerfall. Bombenhagel und schwere Artillerie haben alles zerstört. „Nicht nur die Häuser, Fabriken, Geschäfts– und Verwaltungsgebäude waren vernichtet, auch die unterirdischen Abwasserleitungen waren in den Städten zu hunderten zerschlagen und zerbrochen. Das gleiche galt von den Wasser– und Gasleitungen, Telefonkabeln und elektrischen Stromzuführungssträngen. Sanitäre Anlagen und Wasserleitungen konnten deshalb nicht benutzt werden. Die Frischwasserentnahme war unmöglich, das Wasser musste weit entfernt an einzelnen Pumpen mit Eimern geholt werden.“ So erinnerte sich 1953 die Bundesregierung in ihrem Bericht „Deutschland heute“.[3]

Bundeskanzler Konrad Adenauer schreibt im Vorwort: „Deutschland hatte das Vertrauen der Welt verloren.“   

So ist die Situation in der Stunde Null. Deutschland verdient keine Gnade.

Der Krieg hat 55 Millionen Menschen weltweit das Leben gekostet. Niemand spricht von Befreiung, sondern von Besetzung. Es gibt kein Pardon: „In heart, body and spirit every German is Hitler“, bestimmte erbarmungslos die amerikanische Soldatenzeitung „Stars and Stripes“.[4]

Die Wut auf die Deutschen und das Entsetzen über die Deutschen sind grenzenlos.

Doch der Mann im Weißen Haus, der dieses Nazi–Land „kastrieren“ und keinesfalls befreien will, ist tot. Am 12. April 1945 ist Franklin Delano Roosevelt (FDR) gestorben. Er war bestimmt von dem Gedanken des „industrial disarmament“, wie der Historiker Bernd Greiner vom Institut für Sozialforschung in Hamburg schreibt. „Aber die industrielle Entwaffnung einer hochentwickelten Nation war noch von niemandem versucht wurden. Auf diesem Gebiet gab es weder ausgebildete Experten noch konzeptionelle Blaupausen. Entsprechend ratlos waren die Bürokraten im Schatzamt, im Justizministerium und in den diversen kriegswirtschaftlichen Planungsstäben.“[5] So schreibt Greiner, der mit einer Studie über die „Morgenthau–Legende“ habilitierte. Nun – die Legende war mit dem Tode Roosevelts zu Ende.

Vizepräsident Harry S. Truman übernimmt. Er ist nun Präsident des mächtigsten Landes der Welt, des einzigen, das im Juli 1945 wissen wird, dass es eine Atombombe besitzt.[6]

Mit Trumans Ernennung sind auch die Pläne des bisherigen Finanzministers und Roosevelt-Getreuen, Henry Morgenthau, Makulatur. Jetzt muss er abtreten. Noch 1944 wollte er das Ruhrgebiet stilllegen lassen, Deutschland zerschlagen und unter den Nachbarn aufteilen.[7] Der Historiker Golo Mann erinnert uns daran, „dass die Alliierten bis tief in das Jahr 1945 hinein nicht zur Zweiteilung, sondern zur Vielteilung des Landes umgegangen waren.“ Allenfalls als Agrarstaat sollte Deutschland weiter existieren dürfen. Selbst Segelfliegen würde verboten sein. Deutschland sollte am Boden bleiben, war zur totalen Demontage freigegeben. Das war der Morgenthau-Plan.

„Auf der Seite der Alliierten überschatteten Misstrauen und Argwohn dem besiegten Nazi-Deutschland gegenüber noch jahrelang alle Gefühle“, erinnert sich 1990 die Journalistin Marion Gräfin Dönhoff an diese Zeit. Selbst nach der Gründung der Bundesrepublik befürchteten die westlichen Alliierten, dass der neue Staat „Zuflucht in einer Schaukelpolitik zwischen Ost und West suchen und sich am Ende dem Osten zuwenden“ werde, weil er allein „das bieten könne, worauf es den Deutschen ankomme“, schrieb die einstige Herausgeberin der Wochenzeitung ‚Die Zeit‘.[8]

In wessen Hände würde also dieses Deutschland fallen?


Zum Tage: Dämonen

 „Die Dämonen repräsentieren für mich gewissermaßen die Wege, wie die Welt funktioniert. Anstatt zu sagen, dies sind die Dinge, die geschehen, möchte ich sagen, dies ist die Weise, wie sich Dämonen verhalten.“

Isaac Bashevis Singer (1902-1991), polnischer, später amerikanischer Schriftsteller und Literaturnobelpreisträger. Er schrieb jiddisch.

 

 

Mittwoch, 30. Oktober 2024

Zum Tage: Selbsttäuschung

 1875: „Unsere tägliche Selbsttäuschung gib uns heute.“

Wilhelm Raabe (1831-1910), deutscher Schriftsteller

Dienstag, 29. Oktober 2024

Gedankenexperimente aus tausend und einer Seite (Teil 69): Das Gold von Bretton Woods

Titelseite 1981
 1969: »Für Gold gibt es immer einen Markt. Man braucht nicht einmal einen Hehler zu bezahlen. Jeder Tölpel kann sein Gold verkaufen, wenn er an die richtige Stelle kommt.«

Eric Ambler (1909–1998), britischer Schriftsteller, in seinem Roman „Das Intercom–Komplott“

 

Rettung durch
Bretton-Woods

  Von Raimund Vollmer 

 

Bretton–Woods. Samstag, 1. Juli 1944. In dem Wintersportort nordöstlich von New York, im US-Staat New Hampshire ging es hoch her. Franklin D. Roosevelt, Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika, hatte – mitten im Krieg – Ökonomen aus aller Herren Länder in das Mount Washington Hotel am Fuße des 1916 Meter hohen Berges zu einer epochalen Währungskonferenz geladen.[1] Alle Länder, die im Krieg gegen Deutschland und Japan standen, sollten sich geld- und handelspolitisch vereinen – zum System von Bretton Woods. Es war eine einzigartige historische Situation, die bis heute die Fachwelt fasziniert – auf der Suche nach einer Lösung für die Organisation des globalen Währungssystems.

Der D-Day, der 6. Juni 1944, die Landung der Alliierten in der Normandie war gerade vier Wochen her. Der unaufhaltsame Vormarsch auf Deutschland hatte begonnen. Das Ende des Krieges war in Sicht. „Sie trafen sich während des Krieges, um sich auf den Frieden vorzubereiten“, schrieb 1983 der 'Economist' über das Treffen.[2] Nun wollte man darüber nachdenken, wie die Zeit danach zu gestalten sei – vor allem die Welt des Geldes, der Währungen und deren Werte.

Eins schien klar. Geld war Gold. Wer aber stand dafür? Wer war der Garant?

Drei Wochen lang wurde beraten. Sehr ernsthaft, sehr konkret. und in einer Ruhe und Abgeschiedenheit, wie sie heute unvorstellbar ist. Erinnert sich der 'Economist': „Der Krieg hatte den Regierungen nahezu vollständige Kontrolle über die Wirtschaft und die internationalen Beziehungen verliehen.“[3] Sie genossen eine Macht, wie sie diese in Friedenszeiten niemals erlangen konnten. Das war geradezu ideal. Der Krieg hatte die bestehende Ordnung zerstört, und so saßen die Staatsmänner, die die Institutionen der Nachkriegszeit entwarfen, vor einem weißen Blatt Papier, auf dem sie nach Belieben herumkritzeln konnten“, meinte 2008 der britische Journalist Gideon Rachman in der Londoner 'Financial Times'.[4] Endlich – so schwärmte damals der amerikanische Finanzminister Henry Morgenthau – würden die „wucherischen Geldverleiher aus dem Tempel des internationalen Finanzwesens vertrieben“.[5] Keine Spekulation mehr. So lautete die Hoffnung auf ein stabiles, unerschütterliches, autoritäres Währungssystem. Das war die Verheißung.

Die Konferenz von 1944 in Bretton Woods

Als einzige Nation der Welt verpflichteten sich die USA, jederzeit Gold für einen festen Wert von – damals – 35 Dollar je Unze einzutauschen. Ein sauberer, ein klarer, ein fairer Deal. Sollte man meinen. Rund 700 Delegierte, darunter  Notenbankchefs und hochkarätige Geldexperten aus 44 Ländern hatten der Konferenz beigewohnt. Ohne  Japan und Deutschland, das erst nach seiner Neugründung 1949 dem System beitreten konnte. Der prominenteste Gast war niemand anders als der britische Starökonom John Maynard Keynes, der zwar mit faszinierenden Lösungen aufwartete, doch in Währungsfragen ohne Erfolg blieb. Schließlich musste er sich den Vorschlägen der amerikanischen Seite beugen – entwickelt von dem unrühmlichen, später als Stalins Spion entlarvten Amerikaner Harry Dexter White. Er sah allein den Dollar im goldenen Mittelpunkt. Und damit wechselte unwiderruflich die Macht über das Geld vom Vereinigten Königreich hinüber zu den Vereinigten Staaten – „dem größten Schlag“, gleichzusetzen einem verlorenen Krieg für die Insel, wie einer der Teilnehmer aus dem Kreis der Bank of England gesagt haben soll. [6]

Der Brite Keynes hatte die Idee vorgestellt, eine eigene Weltwährung, den Bancor, einzuführen – mit allen Konsequenzen. Der Bancor war weder eine nationale Währung, noch in Gold konvertierbar, diesem „instabilen Spekulationsobjekt“, wie es der deutsche Wirtschaftsprofessor und Bankmanager Wilhelm Hankel (1929–2014) formulierte. Gedanklich kam der Bancor der Idee der Bitcoins schon ziemlich nahe. Der Bancor war eine sich selbst regulierende Währung.

Keynes betrachtete den Goldstandard als ein „barbarisches Relikt“. Nach dem Ersten Weltkrieg hatte man versucht, ihn wieder zu etablieren – mit dem Ergebnis einer Depression und eines zweiten Weltkrieges. 1931 hatte sich Deutschland, das seit der Reichsgründung von 1871 dem Goldstandard huldigte, aus dem System verabschiedet. „Um 1936 war der Goldstandard tot“, befindet der 'Economist'. [7] Von da an herrschte „internationale monetäre Anarchie“, meinte 1994 John Williamson vom Institute for International Economics in Washington.[8] Zwischen den Weltkriegen begann eine Zeit der Abwertungen und der Deflation, der permanenten Unruhe. Diese Erfahrungen bildeten den Hintergrund, vor dem die Staatsmänner und Experten 1944 in Bretton Woods konferierten, ohne zu ahnen, dass ihr neues System am genauen Gegenteil scheitern sollte: an der Inflation und den Aufwertungen.[9] Mit dem Treffen in Bretton Woods keimte derweil die Hoffnung auf, an jenes goldene Zeitalter wieder anzuschließen, das man mit dem Beginn des Ersten Weltkrieges verlassen hatte: eine Ära der Stabilität.

Keynes hatte zudem die Errichtung einer Weltzentralbank vorgeschlagen, also einer Institution, die gleichsam das Hauptbuch über die neue Währung führen sollte.[10] Aber daraus wurde nichts. Denn das alles missfiel den Amerikanern, die das Kommando für sich beanspruchten. Sie wollten statt des Bancors den Dollar an die Spitze aller Währungen setzen. Sie hatten gute Argumente. Immerhin verfügten die Vereinigten Staaten, wie für 1948 nachgewiesen, über 72 Prozent der Goldreserven, was sich dann aber auf maximal 46 Prozent einpendelte.

Was Keynes bekam, war die Weltbank, die sich um die Finanzierung armer Länder kümmern sollte, und den Internationalen Währungsfonds (IWF), der in Finanznot geratenen Ländern helfen sollte. „Der Keynes-Plan war intellektuell faszinierender, aber es war schnell klar, dass der Wagen in die andere Richtung fuhr“, erinnert sich 1994 in der 'Zeit' Jacques Polak, der als Vertreter der niederländischen Exil–Regierung an der Tagung teilnahm. Nach Keynes hätten Länder wie Deutschland für Handelsüberschüsse Guthaben-Zinsen zahlen müssen. White hingegen sah die Verpflichtung bei Defizitländern, eine Entscheidung, von der vor allem der Exportweltmeister Deutschland profitierte.[11] Zudem muss man sehen, dass das Konzept von Industrieländern für Industrieländer konzipiert worden war. Doch heute, besonders seit dem Ende des Kalten Krieges, dienen Weltbank und IWF in erster Linie Entwicklungsländern.

„Der Dollar war König“, meinte 1980 der Zukunftsforscher Alvin Toffler in seinem Buch „Die Zukunftschance“.[12] Hankel: „Nur der Dollar hatte als einzige der in Bretton Woods vertretenen Währungen eine feste Relation zum Gold beibehalten. Er war in Gold einlösbar – zwar nicht für Amerikaner, aber für die Zentralbanken“. Keynes, der sich mit seiner gänzlich allen politischen Egoismen entzogenen neutralen Weltwährung nicht hatte durchsetzen können, ahnte, dass „dies den USA  die Gelegenheit geben würde, nach Herzenslust Geld auszugeben. Die USA würden sich zuerst ein kleines, und dann ein von Jahr zu Jahr größer werdendes Defizit leisten.“ [13] So sollte es dann ja auch kommen. Nicht nur in den USA, sondern überall in der Welt.

Exakt 247 Billionen Dollar – diese gigantische Summe schuldete 2018 die Welt – Gedanken–Stich – sich selbst. Das entsprach 318 Prozent des Weltwirtschaftsproduktes. So die Berechnungen des Institute of International Finance (IIF). [14] Inzwischen sieht das Institut den Schuldenpegel bei 312 Billionen Dollar, wovon knapp ein Drittel, 92 Billionen, den Staaten zugerechnet werden.  

Die Welt macht mehr Schulden als alle Bitcoins der Welt, möchte man hinzufügen. Vielleicht ist dieser Vergleich Quatsch. Aber ein stabiles System haben uns die von Zentralbanken geführten Währungen seit 1971 nie wieder beschert.

Kann es so etwas überhaupt geben: Sicherheit in Gelddingen? Samuel Brittain, Edelfeder der 'Financial Times' meinte 1994, anlässlich des 50. Jahrestages der Konferenz von Bretton Woods: „Die Erfahrung des Goldstandards lehrt uns, dass es dies geben kann.“ Dreißig Jahre später wissen wir, dass es auch in der Zwischenzeit diese Sicherheit nicht gegeben hat.

Warten wir auch weiterhin auf den Bancor. Vielleicht brauchen wir ihn zur Finanzierung des Umweltschutzes und der Energiewende…

Wir müssten dazu wie vor 80 Jahren ein Stück weißes Papier nehmen und diesmal wirklich ganz von vorne anfangen. Dazu fehlte 1944 der Mut, stattdessen griff man zurück auf Altbewährtes: auf Gold.