Donnerstag, 9. Januar 2020

Odyssee 2001: Die Hierarchie des Netzes


Als wir alle Peers waren...
Von Raimund Vollmer


Mit der Kommerzialisierung des Internets begann auch der erfolgreiche Versuch, dem Netz – diesem ursprünglichen Ausbund an Anarchie und Selbststeuerung – eine Kommandostruktur zu verpassen, an deren Spitze die Suchmaschinen stehen. Sie halten alles im Zugriff.

Doch das Netz wuchs schneller als die Fähigkeit der Suchmaschinen, das gesamte Spektrum abzudecken. 2,5 Millionen Websites gibt es heute. Täglich kommen sieben Millionen hinzu. Die Suchmaschinen hingegen können gerade einmal zwischen 500.000 und einer Milliarde Websites beobachten. Weite Teile des Netzes bleiben also unentdeckt. Ist damit der Versuch, die Inhalte, die in den 500 Milliarden Online-Dokumenten stecken, zentral zu managen gescheitert? Hat der hierarchische Ansatz versagt?

In gewisser Weise muss man dies bejahen. Aber das ist auch der Fluch aller Hierarchien und Kommandostrukturen, dass sie sehr schnell an ihre Grenzen stoßen. Sie definieren sich geradezu dadurch, dass sie Grenzen ziehen und festlegen. Hierarchien katalogisieren und kategorisieren. Nur so wurde auch die Kommerzialisierung des Netzes möglich.

Das Internet indes war nie als ein zentralistisches System konzipiert worden. Es sollte sich selbst steuern. Sein Organisationsprinzip ist das Netzwerk, zu dem die Eintritts- und Austrittsschranken so niedrig wie möglich sind. Unter der Kommerzialisierung schien das Internet die Fähigkeit zu verlieren, jedem eine Chance zu geben. Die Eintrittsgelder stiegen in den Bereich von Millionen und Milliarden Dollar. Ein Geschäft im Netz zu eröffnen wurde zu einem äußerst kostspieligen Unterfangen, und der Crash der dot.coms zeigte, dass nicht nur die Eintrittskosten (Werbegelder), sondern auch die Austrittskosten (Kursverluste) sehr, sehr hoch waren.

So ist es ein Wunder, dass sich mit ein paar Dollar Startkapital die Musikbörse Napster etablieren konnte. Innerhalb weniger Monate gewann sie 35 Millionen Kunden weltweit. Warum? Sehen wir einmal davon ab, dass Musik schon immer etwas war, was die Menschen anzieht, lassen wir auch die Copyright-Problematik beiseite. Entscheidend ist, dass Napster mit seinem Organisationsprinzip des Peer-to-Peer-Computing ganz einfach das Internet zurück zu seinen Ursprüngen führte. Die Zutritts- und Eintrittsschranken müssen so niedrig wie möglich gehalten werden. Napster ist nichts anderes als ein zentrales Register, eine Findemaschine, auf die alle zugreifen können. Anbieter und Verbraucher.

Doch der eigentliche Vorteil des Peer-to-Peer-Computing besteht darin, dass es nicht zwischen Produzent und Konsument unterscheidet, sondern jeder ist aktiver Teil des Netzes. Mehr noch: Jeder ist der Mittelpunkt des Netzes. Das ist die wahre Hierarchie. Und die Kurse der dot.coms werden dann wieder steigen, wenn sie dieses Prinzip verinnerlicht haben. 

Nachtrag: So warten wir weiterhin auf die Rückkehr der Dot.coms. Doch die haben sich in Einhörner verwandelt - die Marktzutrittschranke wurde auf eine Milliarde Dollar fiktiver Börsenkapitalisierung erhöht. R.V. 

2 Kommentare:

Besserwisser hat gesagt…

2,5 Millionen Websites gibt es heute, schreibt der Journalyst. Entweder ist Million die falsche Dimension – oder heute ist schon vorvorgestern...

Raimund Vollmer hat gesagt…

Also, ich habe vergessen zu erwähnen, wann der Artikel geschrieben wurde. (Deswegen auch der Nachtrag). Es heißt zwar in der Überschrift bereits "Odyssee 2001", womit ich das Datum nennen wollte, aber ich hätte es der Story nochmals vorausschicken sollen. Sorry! Raimund.