(Kommentar) Computerworld mutmaßt in diese Richtung, nachdem der Computerkonzern beschlossen hat, seine Chipproduktion an GlobalFoundries abzugeben und sogar bereit ist, dafür 1,5 Milliarden Dollar hinzublättern. In den nächsten zehn Jahren sei Schluss mit Silizium, das seit 60 Jahren der Werkstoff ist, auf dem unsere Digitalwelt basiert. Denn jenseits der sieben Nanometer, die die nächste Stufe der Integration bilden, sei jegliche Zukunft ungewiss und wäre eine Herausforderung für alle Chiphersteller. Die Hürde seien derart hoch, dass nicht nur IBM, sondern auch Samsung und Intel in Kalamitäten gerieten. IBM werde in den kommenden fünf Jahren insgesamt drei Milliarden Dollar in neue Designs investieren, wird IBMs Management zitiert.
Tatsache ist, dass das Unternehmen schon lange vor der Frage steht, ob es sich derart aufwendige Chipproduktionen bei den im Vergleich zu den Intel-Chips geringen Herstellungsmengen leisten kann. 1,5 Milliarden Dollar zahlt IBM an GlobalFoundries dafür, dass das von Investoren aus dem arabischen Raum dominierte Unternehmen die Herstellung der Chips für Mainframes und Power-Systeme übernimmt. Da IBM auch für das Pentagon arbeitet, ist man nun gespannt darauf, ob das amerikanische Verteidigungsministerium dem Deal zustimmt, berichtet das Wall Street Journal.
Vielleicht markiert diese Transaktion aber auch den Wendepunkt in der Geschichte der Halbleiter. IBM hat ja in den vergangenen Monaten gezeigt, dass sie Quanten-Computing und neurosynaptische Konzepte verfolgt. Vielleicht ist es sogar so, dass IBM das einzige Unternehmen ist, dass mit aller Konsequenz die Vergangenheit auslaufen lässt, um sich ganz auf eine völlig neue Zukunft einzulassen. Vieles von dem, was in den vergangenen Jahren an Entscheidungen aus Armonk gekommen ist, würde dann einen Sinn machen. Wir hier in der Journalyse müssten dann unsere Meinung über das Management revidieren - und täten dies gern.
Vor zwanzig Jahren überraschte Big Blue die Computerwelt mit ihrer Entscheidung für CMOS-Chips statt den bislang favorosierten bipolaren Derivaten. CMOS hat dann gewonnen. Diesmal steht aber ein kompletter Umstieg dahinter. Watson & Co. sind neue Kategorien. Wenn IBM tatsächlich darin eine völlig neue Zukunft sieht, die alles, was heute ist, hinter sich lässt, dann hätte sie unseren Respekt verdient. Dann leben wir wieder in /360 Zeiten, als IBM alles riskierte - wirklich alles.
Das ist doch ein Gedanke, den man mal diskutieren könnte...
Raimund Vollmer
9 Kommentare:
Der Verlust von Kunden wie Apple und den Spielekonsolenherstellern hat einfach zuviel Volumen gekostet. Wo sind die Neukunden für Power geblieben? Vermutlich hat IBM den Vertrieb an dieser Stelle wegrationalisiert...
Quantencomputer gibt es seit über 10 Jahren als raumfüllende Monster mit wenigen Bits. Fortschritt absolut gleich Null, sprich, diese Dinger sind nach wie vor aufwendig realisierte wissenschaftliche Instrumente, deren Funktionsweise man als "Computer" interpretiert. Das selbe könnte man auch von einem System (Abakus + Mensch) behaupten, nur dass letzeres haushoch überlegen ist und sich -das ist wohl der Punkt- nicht vermarkten lässt. Quantencomputer sind meilenweit davon entfernt, eine Technologie zu sein.
Bipolar vs. CMOS: In dem Kommentar wird viel durcheinandergewürfelt.
Die beiden sind gleichwertig und waren nie Konkurrenten. Beide gibt es seit über 50 Jahren. Vor 20 Jahren waren beide schon so weit etabliert, dass von "gewonnen" keine Rede sein kann. Ohne heutige bipolare Technik gäbe es die Elektronik, so wie wir sie kennen, nicht.
Oder hat z.B. vor 30 Jahren das Auto über das Motorrad gewonnen?
Mein lieber TR, CMOS versus ECL, oder wie auch immer die bipolare Technik hieß, war für IBM zu Beginn der neunziger Jahre eine Frage des Überlebens. Das wissen Sie vielleicht nicht als früherer HPler. Denn beide Produktlinien konnte sich IBM nicht mehr leisten. Sie war an einem Scheideweg. Es war dann eine hier in Deutschland für die IBM 9370 entwickelte CMOS-Technologie, die das Rennen machte - und der OBM ihre Mainframe-Pfründe sicherte. Vielleicht hat IBM bei der Suche nach dem richtigen Weg "gewürfelt". 1956 hat T.Watson die Parole ausgegeben, dass an Röhrenrechnern nicht mehr weitergearbeitet werden darf, sondern alles auf Transistoren basieren sollte. "Keine Chips" mehr selbst zu bauen, kann ja eine ähnliche Devise sein, um sich auf eine neue, eine andere Technologie zu konzentrieren, das schließlich gar ein völlig anderes Konzept war: die IBM /360 - mit Innovationen auf unendlich vielen Gebieten. Die Intention hinter meinem Kommentar war es eigentlich, einmal die Phantasie anzurgen, mal mehr das Unviorstellbare zu denken (dass zum Beispiel das Management der IBM schlauer ist, als wir hier gemeinhin annehmen), aber das ist mir wohl nicht gelungen.
Vielleicht baut IBM ja bald nur noch virtuelle Maschinen?
Auch wenn die nicht auf einer Kaffeemaschine laufen sondern einen Computer brauchen. Dann kurbelt IBM eben mit jeder VM das Geschäft von Dell oder HP an. IBM macht ja auch keinen Strom.
Der Punkt ist, dass Sie die Begriffe in einer Weise verwenden, die mit ihrem Bedeutungsgehalt nichts zu tun haben.
Ich muss IBM nicht kennen, um sagen zu können, dass z.B. CMOS und Bipolar als Produktlinien zu bezeichnen, oder gar mit einem Unternehmensschicksal zu verknüpfen, totaler Unsinn ist.
Der Satz "CMOS versus ECL, oder wie auch immer die bipolare Technik hieß, war für IBM zu Beginn der neunziger Jahre eine Frage des Überlebens" ist Bullschitt.
Übrigens ergibt es auch keinen Sinn, diese Begriffe stellvertretend für etwas anderes zu verwenden.
@TR: Raimund meint mit CMOS oder Bipolar nicht Produktlinien, sondern unterschiedlche Technologien dahinter. Und einen Schwenk beim Mainframe aehnlich wie seinerzeit bei Apple von Power- auf Intel-Prozessoren.
Also: DANN FRAGT KARLHEINZ STRASSEMEYER. Es ist der Mann, der der IBM den Hals gerettet hat.
Ich habe das Vergnügen gehabt, mit ihm einmal ein Gespräch führen zu dürfen. Und er hat zu mir dasselbe gesagt wie gegenüber dem bertalsblog. Und weil ich ja des "Bullshits" verdächtig bin, zitiere ich hier den Meister des Bullshits aus diesem Blog heraus:
"KHS: Die bipolare Technologie war damals im Sättigungsbereich ihrer Wachstumskurve angekommen, während die CMOS-Technologie am Anfang einer neuen Wachstumskurve es gerade ermöglichte, kleine Prozessoren auf einem Chip zu bauen. Die RISC-Technologie wurde hierfür geradezu passend erfunden. Die Mainframe-Architektur sollte dann auf RISC-Chips emuliert werden. Wir in Böblingen haben immer die kleinsten Mainframes gebaut. Sie waren auch die kosten-empfindlichsten. Für diese Aufgabe war uns klar, dass es eine direkte Implementierung der Mainframe-Architektur auf einem CMOS-Chip geben muss, um die Architektur nachhaltig konkurrenzfähig zu halten. Dafür haben wir extra kleine Schaltkreise entworfen und mit einer ersten 1-Mips-Implementierung bewiesen, dass die Mainframe-Architektur auf CMOS direkt implementiert werden kann. In der Chefetage von IBM wurde dies für unmöglich gehalten.
Dieser erste Chipset (Capitol genannt) wurde der Prozessor eines Kleinsystems, das kostengünstiger war als die vorhandenen Systeme auf Emulationsbasis. Er musste sich jedoch als Serviceprozessor in den bipolaren Mainframes verstecken, bis das Technologiewachstum von CMOS die zukünftige CMOS-Mainframe-Linie plausibel machte. Die Tatsache, dass die IBM kurz vor Chapter 11 stand, half. Ein System mit 24 Chips war bezahlbar, eines mit 6000 Chips nicht. Ich denke, diese Entwicklung war entscheidend für das Fortbestehen der IBM Mainframe-Linie. So wurde der erfolgreichste Gewinngenerator der IBM vital und zukunftsfähig gehalten. Heute stammt etwa die Hälfte des IBM Gewinns aus Geschäftstätigkeit, die auf Mainframe-Systemen basiert. Nebenbei: Diese Entwicklung hat auch das Böblinger IBM Labor am Leben gehalten."
Anmerkung: Strassemeyer hat hier bestimmt "Bullshit" geredet.
Übrigens habe ich dieses Gespräch zu einem Zeitpunkt mit ihm geführt, als Strassemeyer noch in Lohn und Brot bei IBM stand - und mit Rücksicht darauf habe ich den Inhalt dieses Gesprächs sehr vorsichtig gehandhabt.
Und noch etwas (weil ich jetzt wirklich verärgert bin): Bei der Ankündigung 1994 war ich dabei und habe exakt die Argumentation "CMOS" versus "Bipolar" verfolgen dürfen. Das war im Labor der IBM in Schönaich - dem Zentrum für Bullshit.
Kommentar veröffentlichen