Montag, 30. Juni 2014

Gefacebooked: Wie Gefühle manipuliert werden (können)...

... wollte Facebook 2012 wissen und startete ein Experiment mit 689.000 Usern. Facebook wollte erfahren, ob sich angesichts steigender negativer oder auch positiver Nachrichten die eigene Lebenseinstellung der Benutzer ändert. Neigen sie also entsprechend der Nachrichtenlage auch zu einer entweder verstärkt negativen oder positiven Berichterstattung über sich selbst. Das Experiment zeigt: die Veränderungen waren nur im Promillebereich spürbar. Also letztlich ein Versuch, der wenig an Erkenntnis einbrachte - aber jede Menge Entrüstung und Wut bei den Usern, die im März durch eine Veröffentlichung von diesem Experiment erfuhren. Die Benutzer sind darüber erbost, dass sie unwissentlich als Laborratten benutzt worden sind. Und auch die Experten meinen, dass Facebook hier gegen ethische Prinzipien verstoßen habe.
Kommentar: Die Versuchung für Versuche am sozial medialisierten Objekt ist offenbar so groß, dass Facebook alle Warnsignale ignoriert. Die einzige Chance, uns dagegen zu wehren, besteht darin, dass wir - die User - den Manipulatoren zeigen, dass wir uns nur sehr bedingt manipulieren lassen. Und genau das passiert. Eigentlich keine neue Erkenntnis.
Denn die Profis der guten alten Medien wissen schon lange, dass sich Meinungen nur dann beeinflussen lassen, wenn auch die latente Bereitschaft da ist, eine Meinungsänderung vorzunehmen. Ob diese Bereitschaft da ist oder nicht, ist bislang immer noch eine Ratespiel. Nur eins ist klar: Wer richtig gelegen hat (und den die erfragte Meinungsbildung bestätigt), hat dies nicht vorher gewusst, sondern geraten.
Wenn ein Léo Apotheker bei Hewlett-Packard der Meinung ist, dass sein Unternehmen unbedingt für elf Milliarden Dollar ein anderes Unternehmen kaufen will und der Verwaltungsrat dem zustimmt, dann können noch so viele Due Diligence-Tests durchgeführt werden, können noch so sehr warnende Stimmen sich erhaben, die Firma wird gekauft. Und weil die, die den Kauf vorbereiten müssen, wissen (das müssen sie nicht raten), dass sie die oberste Riege nicht mehr vor einer möglichen Fehlentscheidung warnen können, unterlassen sie es, negative Nachrichten an diese weiterzugeben. Sie wollen ja ihren Job behalten. Und wenn dann alles schiefläuft, kann die Unternehmensspitze sagen, dass sie keinerlei Warnsignale empfangen haben. Und Leo Apotheker ist fein raus. EbensoVerwaltungsrat und Führungskreis.
Damit ein Topmanagement überhaupt nicht mehr dem Verdacht ausgesetzt werden kann, gegen besseres Wissen gehandelt zu haben, hat es in den vergangenen Jahren dafür gesorgt, dass das gesamte Mittelmanagement in den Unternehmen ausgedünnt wird. Vor 20, 30 Jahren war es dessen wichtigste Aufgabe zu verhindern, dass in der obersten Chefetage irgendwelche Fehlentscheidungen getroffen werden. Auch wenn es da nicht immer erfolgreich war, selbst Fehlentwicklungen verursachte oder vorbereitete, so war dieses Mittelmanagement sehr darauf bedacht, dass alles abgefedert wird. Es sorgte auch dafür, dass die richtigen Leute, möglichst aus den eigenen Reihen, nach oben kamen. Das Topmanagement der Shareholder Values hat nun in den vergangenen Jahrzehnten in einem schleichenden Prozess dafür gesorgt, dass dieses Mittelmanagement, das in der Tendenz ganzheitlich dachte, ersetzt wurde durch Zahlenknechte, die immer die Zahlen in der Hülle und Fülle lieferten, die die hohen Herren brauchten - um vor Analysten, vor Journalisten und sonstigen externen Meinungsbildern bestehen zu können. Da diese Adressaten aber in zunehmenden Maße auch nicht mehr daran interessiert sind, die wirklichen Fakten zu erfahren, sondern nur eine Bestätigung ihrer Meinung wollen, hat sich durch alle Kontrollinstanzen - intern und extern - der Zwang zur Konformität durchgesetzt. Wenn dann am Ende alles anders kommt als gedacht, sind alle überrascht. Denn die Zahlen haben doch alle gestimmt. Dann wird noch einmal Big Data aufgefahren.
Das Facebook-Experiment zeigt, was wir schon lange argwöhnen: Die Manipulatoren sind die einzigen, die manipuliert werden - und zwar durch sich selbst. Das sei allen Big Data Apologeten ins Stammbuch geschrieben. Auch wenn es nichts nützt. Denn eine solche Erkenntnis wird unterdrückt. So werden wir - die User - weiterhin die Social Media und deren Derivate recht unbekümmert nutzen, wir werden uns über die Experimente der Rechenknechte öffentlich künstlich aufregen und privat köstlich amüsieren. Denn wir wissen doch längst: Big Data ist das Wissen der Vollidioten.
Raimund Vollmer

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