Voller Optimismus waren wir in dieses Jahrhundert gegangen. Mit unglaublichem Enthusiasmus hatten wir das Internet in eine Zukunft projiziert, in der die Demokratie ihrer Vervollkommung entgegenstrebt, in der Arbeit eine Freude - und in der niemand im Netz weiß, dass du ein Hund bist. Vor dem Netz waren alle Lebewesen gleich. In den Unternehmen würde sich Kollegialität und gegenseitiges Vertrauen als gemeinsames Prinzip durchsetzen, Führung wäre etwas, das auf Begeistung und nicht auf Manipulation und erst recht nicht auf Kontrolle basiert. So sah man die Welt noch vor der Finanzkrise 2008, die uns den ganzen Zynismus offenbarte.
Doch seitdem herrscht Misstrauen und Kontrolle bei allem, was uns umgibt. Irgendwie möchte man einstimmen in das, was am Ende seiner Odyssee durch den 30jährigen Krieg Grimmelshausens Simplicius Simplicissimus bemerkt: "Behüt' dich Gott, Welt! Denn in deinem Haus werden die Großen gestürzt, die Unwürdigen vorgezogen, die Verräter mit Gnaden angesehen, die Getreuen in den Winkel gestellt, die Bösen freigelassen und die Unschuldigen verurteilt. Den Weisen und Fähigen gibt man den Abschied und den Ungeschickten große Besoldung, den Hinterlistigen wird geglaubt und die Aufrichtigen und Redlichen haben keinen Kredit, ein jeder tut, was er will, und keiner, was er soll. - Ade, Welt! Denn in dir wird niemand mit seinem richtigen Namen genannt. Den Vermessenen nennt man kühn, den Verzagten vorsichtig, den Ungestümen emsig, den Nachlässigen friedsam, einen Verschwender nennt man freigebig und einen Kargen wirtschaftlich, einen hinterlistigen Schwätzer und Plauderer nennt man beredt und den Stillen einen Narren oder Phantasten. So verkaufst du uns gut für schlecht und schlecht für gut."
Im 30jährigen Krieg standen sich zwei Glaubensrichtungen feindlich gegenüber. Heute scheint es nicht viel anders zu sein. Auf der einen Seite steht Big Data, die alles kontrollieren will, nur nicht sich selbst. Auf der anderen Seite stehen wir, die sehen, wie uns alles entgleitet - vor allem die Kontrolle über uns selbst.
Das war nicht die Hoffnung, als vor zwanzig Jahren der Browser auf die Welt kam, der uns auf unserer Odyssee durch den Cyberspace leiten sollte. Das war nicht die Verheißung hinter dem World Wide Web, hinter Google & Co., hinter Facebook und Smartphone etc.
Edward Snowden hat uns aus dem Paradies vertrieben, auch wenn dieses nur in unserer Phantasie existierte. Er zeigte uns die gesamte Verlogenheit einer Welt, in der Kontrolle alles ist, Freiheit aber nichts.
Vor 25 Jahren fiel eine Mauer, auf deren ewigen Bestand viele gebaut hatten. Im Frühjahr 1989 konnte sich niemand vorstellen, dass wenige Monate später ein auf komplette Kontrolle ausgerichtetes System zusammenbrechen würde. Dabei hätten wir alle wissen können: Macht ist etwas, was sich verbraucht.
Raimund Vollmer
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