Mittwoch, 29. August 2012

Die Entdeckung des virtuellen Speichers und die Zet

Es ist jetzt vierzig Jahre her, dass IBM den virtuellen Speicher in ihre Mainframe-Familie integrierte. Das war zu /370-Zeiten. Und erkennbar war dies daran, dass die Modellbezeichnung bei der letzten Ziffer von einer 5 auf eine 8 wechselte. Aus der IBM /370-165 wurde eine IBM /370-168. Der virtuelle Speicher hatte einen Adressraum von 16 Megabyte, wollte man ihn als Realspeicher implementieren, hätte dies 16 Millionen Mark gekostet. Das konnten und wollten sich selbst die größten Anwender nicht leisten.
1956 hatte der Deutsche Fritz-Rudolf Güntsch (1925-2012) das Konzept des virtuellen Speicher erfunden. Es war eine riesige Erleichterung für die Programmierer, die jetzt nicht mehr Rücksicht nehmen mussten auf die Beschränkungen des Realspeichers. Später sollte Professor Güntsch bei der Verteilung der Fördergelder für die nationale Computerindustrie eine wichtige Rolle im Bundesministerium für Forschung und Technologie übernehmen. Die Millionen (das war in den siebziger Jahren noch die vorherrschende Recheneinheit), die damals vor allem an Siemens verteilt wurden, waren vor allem gegen die Übermacht IBM gerichtet. Dabei war Big Blue technologisch gar nicht einmal so führend, wie das Unternehmen selbst von sich glaubte. Was IBM besaß, war einfach nur ein überlegenes Konzept, das technisch ausgewogen war wie kein anderes und marktstrategisch auf klügste Weise implementiert worden war. IBM konnte es sich leisten, mit dem virtuellen Speicher nicht der erste gewesen zu sein, aber sie machte daraus das meiste - weil sie den Wettbewerbern in der Gesamtsicht, also virtuell, überlegen war.
Nun haben wir seit gestern eine Zet, der Nachfolger aller /370-Maschinen, die einen Realspeicher von drei Terabyte RAM besitzt. Und man fragt sich, wielange braucht man noch die Auslagerung auf Platten (die ja der geniale, weil kostengünstige Bestandteil des virtuellen Speichers waren), wenn zusätzlich 6,4 Terabyte an Flash-Memory daneben stehen können. Festkörper-Speicher und CPU wachsen auf eine Weise zusammen, die des Mainframes größte Stärke als Datenschaufelmaschine auf alle Ewigkeit zu verlängern scheinen. Mit ihrer Kanalarchitektur steht die Zet-Welt einzigartig da im Server-Kosmos.
In den achtziger Jahren balancierte IBM ihre Mainframes immer weiter aus. Multiprozessoren in einer Multisystemumgebung waren damals das Allheilmittel - und dies führte letztlich zu dem, was heute die Zet ist. Ihr Markt scheint so grenzenlos zu sein wie unser Wunsch, immer mehr Daten zu sammeln und auszuwerten. Das Internet der Dinge wird hier mit den RFID-Schwärmen die Datenflut ins Unermessliche steigern. So hofft IBM. Sie setzt darauf, dass diese Maschine trotz ihres Premiumpreises (der Preis ist nach Meinung der Kunden nach wie vor das wichtigste Gegenargument zum Mainframe) ihren strategischen Wettbewerbsvorteil nutzen wird. Aber wird sie in der Lage sein, den virtuellen Vorteil, den die Zet gegenüber den anderen Servern besitzt, gegenüber den Kunden so darzustellen, dass ihn auch die Buchhalter verstehen? Haben diese Sinn für die virtuellen und vollintegrierten Vorteile der Zet? Eher nein. Da müsste sich in den Unternehmen selbst ein kolossaler Wandel vollziehen - weg von den Buchhaltern hin zu den Technologen, die das Gesamtsystem überblicken und zu verantworten haben. Wer jedoch nur auf die Details (und deren Preise) guckt und nicht auf das Gesamte, wird die Vorteile der Zet niemals begreifen. Da aber IBM bei ihren Großsystemen Margen einfährt, die kein anderes Segment auch nur annähernd erreicht, haben die Kunden das Gefühl, dass diese Geräte einfach zu teuer sind.
So wie vor 40 Jahren mit dem virtuellen Speicher die Welt der Großrechner einfacher wurde, so setzt IBM dennoch weiterhin darauf, dass all die Techniken zur Selbstbeobachtung und Selbststeuerung der Zet als ein geldwerter Vorteil angesehen werden. Die Analysten sind da skeptischer. Gartner glaubt, dass der Mainframemarkt bis 2016 um 14 Prozent auf 4,7 Milliarden Dollar weltweit schrumpfen wird. Die Welt der x86 Server, dem großen Konkurrenten der Zet, wird derweil um 33 Prozent auf 47 Milliarden Dollar weltweit wachsen.

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