»Das System IBM tut alles,
um das Individuum zu zerstören -
um dann todunglücklich darüber zu sein.«
1988: Otto von Malaisé, hochrangiger IBM-Manager
Von Raimund Vollmer
War die Meldung, dass IBM in Deutschland 8.000 Mitarbeiter entlassen werde, eine Fehlinformation? Nein, es war nichts anderes als ein Gerücht. Ein Gerücht, das deshalb auf fruchtbaren Boden fiel, weil es glaubwürdig war. Es passte in ein Unternehmen, das seit vielen, vielen Jahren von Leuten geführt wird, die den Glauben an eine finanzgesteuerte IBM mit der Muttermilch aufgesogen haben. Es passte zu einer Firma, deren Management nur eine Art von Arbeit anerkennt, nämlich die des Managements.
Was Mitarbeiter leisten, im Umgang mit Kunden, im täglichen Geschäft, dazu hat dieses Management nur wenig Beziehung. Und weil es diese Leistung nicht abschätzen kann, ist ihm auch das Tun dieser Leute unheimlich. Die einzige Möglichkeit, diese Arbeit beurteilen zu können, liegt im erwirtschafteten Profit. Der kann nie hoch genug sein - schon wegen der keineswegs geringen Managementkosten, für die man natürlich die Mitarbeiter verantwortlich macht. Sie müssen dafür aufkommen. Es ist nicht Aufgabe des Managements, sich selbst zu finanzieren. Wo kämen wir denn dahin? Das gab's ja noch nie.
Das Management ist das System IBM. Und dieses System schafft sich das Management, das das System am Leben hält. Gehorsam und Anpassung werden gut bezahlt. Beides wird aber auch mit zum Teil brutaler Härte erzwungen - bis zur Selbstaufgabe des Individuums, was in den achtziger Jahren den IBMer Otto von Malaisé zu der eingangs zitierten Behauptung führte. Ja, damals litt das System IBM noch darunter, wenn ein Mensch unter den Anforderungen, die es an ihn stellte, zusammenbrach. Das lag auch daran, dass das System IBM, also das Management, sich eingebunden sah in einen größeren, weitaus wichtigeren Zusammenhang, in das, was man dereinst die IBM-Familie nannte. Diese gibt es nicht mehr. Das ist das Ergebnis der Managementleistung von Gerstner & Co. Deren Ziel war es, diese Familie zu zerstören. Das ist dem Management vollauf gelungen. Selbstverständlich ist es darüber nicht todunglücklich. Es war ja gewollt.
IBM ist ein eiskaltes Unternehmen geworden. Die einzigen, die noch Wärme in das Unternehmen hineintragen, sind die Kunden - und die Mitarbeiter, die mit diesen Kunden leben. Aber Gefühle bringen nichts. Und deshalb war die Idee, aus Arbeitnehmer Auftragnehmer zu machen, nur konsequent. Das Gerücht, in der Folge dieser Umwandlung 8.000 Mitarbeiter in den freien Markt zu entlassen, traf auf die Logik, in der das System IBM denkt und handelt.
Nun analysiert Berthold Wesseler in seiner Publikation DV-Dialog die Aussagen, die Martina Koederitz, Chefin der IBM Deutschland, gegenüber der Nachrichtenagentur dapd getätigt hat. Sie dementiert darin das Gerücht, das alles sei "spekulativ, aus der Luft gegriffen" und stünde "in keinster Weise im Verhältnis zu dem, was wir natürlicherweise an Veränderungen in unserer Belegschaft haben." (Dass es zu "kein" keinen Superlativ gibt, scheint die IBM-Chefin nicht zu wissen.) Auf jeden Fall rügt Wesseler, dass es in dem Interview nur "qualitative Aussagen" gab.
Paradebeispiel: „Im Moment haben wir keine konkreten Planungen, unser jetziges Beschäftigungsmodell in Frage zu stellen“, heißt es aus dem Munde von Martina Koederitz.
Das klinge "ähnlich vertrauenerweckend wie das Commitment des Präsidenten eines Bundesligavereins zu seinem Trainer, der gerade das x-te Spiel in Folge verloren hat", meint Wesseler treffend.
IBM steht bei den Mitarbeitern - und auch bei vielen Journalisten - in einer massiven Vertrauenskrise. Und solche Interviews ändern daran nichts. IBM hat kein Mitarbeiterproblem, IBM hat ein Managementproblem, aber damit ist sie nicht allein. In der IT-Branche haben sich in den letzten 20 Jahren Typen an die Spitze vieler Unternehmen und auch Verbände Typen hochgemendelt, die allenfalls "smart" sind, sonst nichts. Keine Emotion, keine Leidenschaft, eitle Egomanen, die sich selbst überschätzen, voller "dirty tricks", die sie uns als besondere Cleverness verkaufen wollen.
In gewisser Weise wäre die Umschichtung der Mitarbeiterstruktur vom Arbeitnehmer zum Auftragnehmer ebenfalls nichts anderes als ein Zeichen von Cleverness. Denn dann bliebe endgültig von der IBM nichts anderes übrig als das System, das Management. Eine Kaste an sich. Sie könne dann wie die Spinne im Netz agieren. Sie verteilt die Arbeit. Sie vergibt die Jobs.
Das Problem ist nur, dass der gesamte Faktor Distribution, dem das Management im 20. Jahrhundert seinen Aufstieg zu verdanken hat, auch der ist, der im 21. Jahrhundert so rationalisiert wird wie im 20. Jahrhundert der Faktor Produktion oder im 19. Jahrhundert die Landwirtschaft. Dieser epochale Prozess, den wir täglich im Internet verfolgen können, geschieht übrigens genau in den Projekten, in denen die Mitarbeiter tätig sind, über die man wacht. Das Individuum ist längst dabei das System zu zerstören, dem das Management seine Existenz zu verdanken hat. Aber wahrscheinlich werden doe Mitarbeiter darüber nicht todunglücklich sein.
Was kann das Management tun? Es muss sich selbst in einer zutiefst dienenden Funktion sehen, nicht in einer herrschenden. Dann gewinnt es Glaubwürdigkeit zurück und Vertrauen. Und es muss wirklich echte Zivilcourage zeigen - und ein "echtes" Interview führen, nicht nur gegenüber einer Nachrichtenagentur.
(Siehe auch: "Exporton: Was für ein Unfug")
(Siehe auch Kommentar zu "Lamberti")
Siehe auch "Jeder vierte Arbeitnehmer hat innerlich gekündigt"
(Siehe auch: "IBMs erstes Quartal 2012: Profit rauf, Hardware runter"
(Siehe auch: "Software-Szene: Die Langweiler aus Deutschland")
Journalyse-Quelle: DV-Dialog, Berthold Wesseler
8 Kommentare:
Ex Zwiebelfisch/Spiegel:
Wenn "kein" so viel bedeutet wie "nichts" oder "niemand", lässt es sich dann noch steigern? Logisch gedacht natürlich nicht, stilistisch ist dies trotzdem möglich. Man nennt dies den "Elativ", eine Steigerungsform, die sich herkömmlicher Logik entzieht, um außergewöhnliche Höflichkeit, Entrüstung, Qualität, Trauer oder Demut auszudrücken.
Der Elativ, auch "absoluter Superlativ" genannt, wird außer Konkurrenz verwendet, also ohne einen wirklichen Vergleich anzustellen: möglichst, gefälligst, baldigst, gütigst, herzlichst, mit freundlichsten Grüßen, in tiefster Trauer, beim besten Willen, beim leisesten Anzeichen, und eben auch: in keinster Weise.
Volltreffer, genau so ist es.
Meine Theorie ist ja, die Manager sind Ausserirdische. Denn Menschen können es nicht sein, Gefühle-Fehlanzeige. Die funktionieren nach einfachen Profit-Algorithmen...
Eigentlich dann ersetzbar durch ein Programm....auch eine Überlegung.
schreibt ein (noch) aktiver IBM-MA.
Bedenken Sie, dass ein (bisher) streng-planwirtschaftlich geführter und wöchentlich kontrollierender Konzern in den Ländern keine wirklichen Führungskräfte mehr benötigt, auch keine Akademiker als General Manager. Angelernte, willige Berufsakademiker als Vasallen genügen (Nachweis: veröffentlichte CV's der IBM D Geschäftsführer) und stören das System nicht durch Eigendenken. Elativ hin oder her ...
Als alter IBMer, nach 39 Jahren kann ich das ruhig sagen und die letzten 15 Jahre in nicht unmaßgeblicher Funktion, kann ich das alles bestätigen - leider. Es gibt kaum noch eine Kollegin oder Kollegen der sich wirklich mit der IBM identifiziert. Der Stolz der uns früher erfüllte ist tiefem Frust gewichen.
Selbst im führenden Management ist dies so. Die maßlose Überschätzung vieler Manager in die eigene Qualifikation tut ihr Übriges, siehe das Gastspiel von dem ehem. IBM-Chef Raizner bei der Telekom. Bleiben die Anweisungen aus Armonk aus, ist es mit der "Entscheidungsfreudigkeit" vorbei.
Das einzige was zählt, ist der schnelle Profit und der kann nie hoch genug sein. Die Zahl der psychisch Kranken steigt und wird vom Management verleugnet.
Die IBM hat ihre Mitarbeiter innerlich längst verloren. Keine Nachricht kann schlimm genug sein um als Gerücht abgetan zu werden. Man traut dem Management, vor allem dem Ameriksnischen, alles zu.
Nicht als Entschuldigung, nur der Vollständigkeit halber - dieses System funktioniert nicht nur bei der IBM, deshalb gibt es für viele KollegInnen keine Alternative. Wenn es die gäbe, müsste die IBM sich um den Abbau von Mitarbeitern keine Gedanken machen.
Sie sprechen mir aus der Seele. Nach nur wenigen Jahren in dem Konzern hat man mich als junge Arbeitskraft verheizt und gebrochen. Beinahe täglich wurde mir, als nicht im Vertrieb arbeitender Mitarbeiter, unter die Nase gerieben, dass ich nur Kosten verursache. Noch perfider empfand ich IBMs Sparlogik: Der Rat, bei Arbeitseinsätzen, bei Freunden unterzukommen, um keine Kosten zu verursachen, war nur die Spitze des Eisbergs. Ich bin mit dem System IBM nicht klar gekommen und habe die einzig mögliche Konsequenz gezogen: mir einen Arbeitgeber gesucht, in dem ich auch als Mensch geschätzt werde.
Durch einen Betriebsübergang ungewollt zur IBM gekommen, habe ich das Unternehmen nach 20 Jahren verlassen. Aus eigener Erfahrung als sogenannter Firstline-Manager halte ich die im Artikel beschriebenen Verhältnisse für noch viel extremer. Seit Jahren versucht die IBM in Deutschland (über andere Länder weiß ich nichts), Mitarbeiter abzubauen. Dies geschieht zielgerichtet und strukturiert unter Benutzung einer so genannten Toolbox, die alle "Werkzeuge" enthält, um Mitarbeiter loszuwerden. Diese Werkzeuge sind u.a. Altersteilzeit, Sabbaticals, Aufhebungsangebote, aber auch Kündigungen wegen Verfehlungen, nach denen gezielt gesucht wird. Hier wird gerne die Spesenabrechnung herangezogen. die bei Mitarbeitern, die das ganze Jahr auf Dienstreise sind, logischerweise komplex und bei den wenigsten 100 % fehlerfrei.
Es werden Mitarbeiterlisten geführt, in denen die potentiellen Austrittskandidaten geführt werden. In regelmäßigen Telefonkonferenzen mit Teilnahme des höheren Managements (Geschäftsführung der GmbHs) werden diese Listen besprochen und die Firstliner unter Druck gesetzt, mit diesen Kandidaten zielgerichtete Gespräche zu führen bzw. weitere Kandidaten zu benennen. Ein Kriterium, um auf die Liste zu gelangen ist u.a. Die PBC-Note. Das PBC (Personal Business Commitment)ist wesentlicher Bestandteil des Lebens bei IBM und ist ein System, welches jegliches Vertrauen zwischen Mitarbeiter und Führungskräften zerstört. Jeder Mitarbeiter bekommt jährlich eine PBC-Note, wobei die Verteilungsregeln für die einzelnen Noten vorgegeben sind. so müssen jährlich 15 % der Mitarbeiter mit der Note 3 bewertet werden, auch wenn die guten Leistungen das nicht rechtfertigen. Auch das Alter ist ein Kriterium weswegen man auf die Liste gelangt, da ist die Grenze zur Diskriminierung fließend. Dass sich unter diesen Rahmenbedingungen ein hohes Maß an Kollegialität erhalten konnte, ist der Verdienst einzelner, die sich für die Gemeinschaft engagieren und z.B. mitarbeiterfinanzierte Weihnachtsfeiern organisieren.
Nach außen beschreibt die IBM ihre "Human Ressources" als ihre wertvollsten Betriebsmittel.
Manager, die sich diesem System widersetzen, geraten selbst auf die Liste und werden mit den genannten Werkzeugen behandelt.
und die Grenzen der Legalität werden dabei nicht mehr eingehalten
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