Montag, 24. November 2008

Die Realwirtschaft ist eine Sofortwirtschaft

Kaum war Barack Obama als Präsident der Vereinigten Staaten gewählt, da schnellte innerhalb der ersten Stunde nach Bekanntgabe des Ergebnisses die Zahl der Textbotschaften im Netz von AT&T um 44 Prozent nach oben - ein Rekord.
Kaum hatte die Kaffeehauskette Starbucks verkündet, dass sie 600 Läden schließen und 1.000 Mitarbeiter entlassen werde, sank der Nettogewinn um 97 Prozent.
Um 49 Prozent stiegen innerhalb einer Woche in den USA die privaten Waffenkäufe. Der Grund: Mit der Wahl Obamas werde der private Erwerb von Schusswaffen verboten.
Drei Beispiele - entnommen der jüngsten Ausgabe des amerikanischen Nachrichtenmagazins Time. Sie zeigen, wie auch die vielen in Windeseile geschnürten Rettungspakete, dass heute die gesamte Wirtschaft auf Neuigkeiten sofort reagiert, sofort Konsequenzen zieht, sofort vollstreckt. Ein Jahr lang schwelte die Finanzkrise vor sich hin, dann brach sie mit dem staatlich nicht verhinderten Untergang des Hauses Lehman am 15. September durch in die Realwirtschaft, wo sie nun ihre eigene Dynamik entfaltet. Kurzarbeit hier, lange Weihnachten dort, Rohstoffpreise im Absturz, Zinsen im freien Fall - willkommen in der Instant-Economy, in der Wirtschaft, die direkt vollstreckt - mit Ausnahme der Banken, die immer noch zögern. sich selbst und anderen das Geld zu niedrigeren Konditionen zu leihen. (Ein Beispiel dafür, dass die Finanzwirtschaft bei weitem nicht so dynamisch ist, wie sie sich gerne gibt. Muss denn noch jemand Konkurs anmelden, bevor sie endlich begreift?)
Zurück in die Realwirtschaft: Hoffentlich geht sie auch so schnell aus der Krise, wie sie hineingestürzt ist. In den USA schaffte einst Präsident Franklin D. Roosevelt den Turnaround in kurzer Zeit. Keiner profitierte übrigens damals so sehr davon wie IBM, für die der Staat der größte Kunde wurde. Denn die Sozialgesetze waren nur duchführbar mit Hilfe von Tabelliermaschinen.
Am heutigen Montag will ihn, zwei Generationen später, der President-Elect, erneut anstoßen. Auch das wäre eine Herausforderung an die Informationssysteme. Denn so schnell, wie die Wirtschaft die Rezession vollstreckte, so sicher ist auch, dass dies ohne den Einsatz der modernen Inbformnationstechnologien nie möglich gewesen wäre. Das gilt auch jetzt, wenn die Wende kommt. Und sie wird kommen. Beim Crash von 1987 und 2001 konnten die Unternehmen noch von ihrer Lagerhaltung zehren, jetzt sind die Lager ruckzuck leer, man muss kaufen. Es sei denn, man stürzt in die Pleite - wie dies bei den Großen Drei der US-Automobilbranche der Fall sein könnte. Dann allerdings wird sich eine ganz neue Systemfrage stellen: Ist diese Krise der endgültige Abschied von den großen Institutionen des 20. Jahrhunderts, die uns ganz einfach zu gigantisch geraten sind und vielleicht sogar deswegen so lange am Leben blieben, weil Computer ihnen das Leben künstlich verlängerten? Eine Frage nicht nur an die Privatwirtschaft, sondern auch an den Staat. Der Mittelstand und junge Unternehmen, die von Menschen gegründet werden, die ihre Ideen unter den Bedingungen der Giganten nicht verwirklichen konnten, werden den Turnaround bringen. Wie schnell, das ist sicherlich auch stark abhängig von unserer Finanzwirtschaft, von den Banken. "Was ist das erste Bedürfnis eines Unternehmers?" So fragte einst Joseph Schumpeter. Seine Antwort: "Der Kredit." Wenn er ihn allerdings nicht von den Banken bekommt, dann müssen sich diese fragen lassen: "Warum gibt es euch eigentlich?" Dann müsste der Staat das Geld bereitstellen. Der Staat wäre die Bank.
Ist es das, was wir wollen?
Alle Augen richten sich nun auf Obama. Wird er die Kräfte des Marktes wieder entfesseln können? Zum Markt gibt es keine Alternative. Vielleicht ist die Krise schon vorbei, bevor er überhaupt im Januar das Weiße Haus bezogen hat. Man möchte es weniger ihm, sondern uns allen wünschen.
Journalyse-Quelle: Time, 24.11.2008

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