Donnerstag, 9. September 2021

Silicon Valley: Tod eines Dinosauriers

 Rund 80 Milliarden Euro will Intel in den kommenden Jahren in Europa investieren. Deutschland ist als Standort ebenfalls im Gespräch. Wir freuen uns, auch wenn Intel erwartet, dass sich die EU mit  30 Prozent an dem Investment beteiligt. Lächerlich kommen einem da jene 150 Millionen Dollar vor, die vor bald 40 Jahren Gene Amdahl in den Sand des Silicon Valley setzte - bei seinem Versuch, einen Chip zu bauen, der nicht immer kleiner, sondern immer größer wurde. R.V.



Die Trilogy‑Tragedy

Starben die Dinosaurier doch an einer Klimakatastrophe? Parallelen aus der Computerbranche scheinen diese am meisten vertretene These zu stärken. Ein wichtiges Indiz lieferte dazu 1983 der Vater aller Mainframes: Gene Amdahl. Sein Plan, einen Großrechner zu bauen, der »zweimal schneller ist als al­les, was IBM besitzt, und dabei nur die Hälfte kostet«, erhielt im Früh­jahr 1983 einen herben Rückschlag. Nach Regengüssen in Kalifornien war Wasser in die Labors der mit einem Risikokapial von 150 Millionen Dollar in Cupertino gegründeten Trilogy Systems Ltd. eingedrungen und hatte einige elektronische Ge­räte zerstört.

Mit wafergroßen Chips wollte der Vater der /360 gemeinsam mit seinem Sohn Carl, die gemeinsam 50 Prozent des Aktienkapitals von Trilogy hielten, die IBM kompatiblen Mainframes bestücken. Statt 300.000 Dollar pro MIPS sollte der Rechner nur 150.000 Dollar kosten. Doch nach der Wetterkatastrophe im Sili­con Valley mussten Gene & Carl ihre Pläne, 1984 mit dem ersten Jumbo auf den Markt zu kommen, erst einmal begraben. Nun würde es 1985 werden ‑ zu einem Zeitpunkt, zu dem IBM mit neuen Großrechnern den nächsten Meilenstein setzen wollte.

Doch nicht IBMs Ankündigung, die prompt kam, sollte Amdahls Trilogie in einer Tragödie enden lassen. Nach der Konzeption der /360 für IBM und seiner avantgardistischen V‑Maschinen für die Amdahl Corp. wollte Gene mit dem Einsatz wafer­großer Logik‑Chips in den Trilogy‑Dinos sein Lebenswerk vollenden. Er und seine 460 Mitarbeiter scheiterten ‑ nicht am Wetter, sondern an der Technologie seiner Macro­prozesso­ren. 1984 beendete die Firma das Experimnent. Das war schade für CII‑Honeywell‑Bull und für die japanische Sumitomo‑Gruppe, zu deren Einflussbereich als Keiretsu auch NEC gehörte. DEC und Sperry Univac hatten ebenfalls auf die Firma und ihre Technologie gesetzt. Sie waren die star­ken Förderer des Start‑Ups, das soviel Geld wie nie zuvor in der Geschichte des Venture Capitals hinter sich bringen konnte. Die Trilogy‑Systeme kamen nie auf den Markt. So starb im Silicon Valley, dem Erfinder­zentrum der Mikroprozessoren, der letzte Su­persaurier der Ge­schichte daran, dass er die Technologie seiner Zeit überforder­te. Heute kostet übrigens ein MIPS nur noch ein paar Cents. Dank sei den Mikroprozessoren!

 

Mittwoch, 8. September 2021

1972: Als wir noch von 56-K-Netzen träumten

Zu Beginn der siebziger Jahre gab es in Euroipa 24 Computerhersteller, die jeweils mit einem eigenen Rechnersystem auftraten, die untereinander völlig  inkompatibel waren. Und die Postgesellschaften freuten sich, dass sie im internationalen Datenverkehr gegenüber den Inlandtarifen den bis zu neunfachen Preis berechnen konnten. Altersschwache Relais in den Knotenpunkten machten die Netze auch nicht gerade sicherer - und in Westdeutschland träumte die Deutsche Bundespost noch davon, ihren Kunden Übertragungsraten von 56 Kilobytes anbieten zu können...
Aus den unergründlichen Archiven des Raimund Vollmer

 

Vor 21 Jahren - Als alles noch möglich war


 

Dienstag, 27. April 2021

Die neuen Geheimnisse des Iphones...

 ... wäre die reißerische Überschrift für alle, die sich über die neuesten Features interessieren. Die zufällig gefundene Quelle zu den I-Tüpfelchen ist HIER. R.V.


Freitag, 9. April 2021

WIRECARD – DER FILM

Habe ich mir gestern abend bei TV Now angeschaut. Nach einer halben Stunde Fremdschämens habe ich abgeschaltet, so dass ich auch nur über diese Phase urteilen darf. Wenn man die Realitätsferne der Finanzwelt, die als Halbwelt alles sein möchte, mal erfahren will, bekommt man sie gleich im Doppelpack. Denn der Film zeigt mit geballter Coolness, wie toll sich die Filmemacher und die Schauspieler selber finden. Da stehen bis auf den Bösewicht (der echt gut gespielt wird und auch Kontakt zum Publikum herstellt) alle Schauspieler neben sich. Es ist so peinlich, dass ich abschalten musste. Vielleicht hätte man sich doch mehr Zeit nehmen müssen - als Filmemacherrt, nicht als Zuschauer. Denn die Story, die dieses ferne Leben schrieb, läuft nicht davon – ich befürchte sogar, dass sie immer näher kommt. Auch als Film. Aber da könnte sie noch gerettet werden. Wahrscheinlich muss sich Hollywood darum kümmern.Traurig genug. Wirecard ist als Film ebenso sehr deutsch wie als Kriminalfall. 

Aber - wie gesagt - nach einer halben Stunde hatte ich genug vom Fremdschämen.

R.V.

Donnerstag, 8. April 2021

DAS MYSTERIUM EINES ZUKUNFTSMINISTERIUM


Wir sollen also ein Zukunftsministerium bekommen, wünschen sich eine Staatsministerin und ein Professor heute in der ‚FAZ‘. Es ist Mode geworden, im Doppel-, Drei- und Vierfach-Modus zu schreiben und ein ganz neues Wir-Gefühl damit zu kommunizieren. „Wir“ meint nicht mehr uns, sondern eine Elite, die alles tut, um sich selbst zu versorgen. Die Zukunft ist auch nicht mehr unser aller Angelegenheit, sondern die eines zukünftigen Zukunftsministeriums, das genau weiß, was Zukunft ist und deswegen mit umfangreichen Zugriffs- und Durchgriffsrechten ausgestattet werden soll.
Zukunft ist Macht. Genau darin liegt der Fehler, ja, der Verrat an der Zukunft. Denn Macht macht dumm. Zukunft ist zudem vor allem eins nicht: zentral. Es sei denn, es besteht massiver Nachholbedarf. Es sei denn, man muss gegenüber anderen Volkswirtschaften aufholen, es sei denn, man hat vorher eine ganze Menge versäumt. Ja, dann kann ein Zukunftsministerium sehr wohl helfen – nur wird es dann aus reinen Selbsterhaltungsmotiven heraus immer beim Aufholen bleiben. Deshalb hat Deutschland bei den Informationstechnologien seit Jahrzehnten immer das Nachsehen gehabt. Das hat auch etwas damit zu tun, dass sie immer ein elitäres Unterfangen blieben. Selbst die hochgerühmte SAP, unser Vorzeigeunternehmen schlechthin, erreicht allenfalls Gegenwartsstatus, kommt aus der Buchhaltung, die zentral alles weiß, was ist, aber nicht, was dezentral kommt. Sonst müssten unsere Automobilhersteller nicht nach Teslas Pfeife tanzen und zusehen, wie in kürzester Zeit vor ihrer Nase ein Automobilwerk entsteht. Stattdessen entschied sich für sie die Zukunft an den Spaltenbreiten in den Karosserien. Man suchte nach dem Nachholbedarf der anderen anstatt den eigenen zu sehen. So wurde auch staatliche IT-Politik seit den sechziger Jahren betrieben.
Zukunft ist dezentral. Zukunft, also echte Zukunft geschieht. Sie ist immer überraschend. Und sie kommt aus Winkeln, mit denen keiner rechnet. Google, Facebook, Amazon – geplant hat sie ein Silicon Valley nie. Sie waren plötzlich da. Auch Microsoft wurde nicht geplant durch irgendein Ministerium. Und das Internet, einmal von Regierungsseite befreit, baute sich selbst in einem wahrhaft rasanten Tempo. Wer erinnert sich nicht an das EWS-Debakel in den siebziger jahren (wahrscheinlich kaum noch einer), als Siemens und SEL komplett die Digitalisierung der Telefonnetze verpennten. Selbst amerikanische Bürokraten konnten sich nicht vorstellen, dass man paketvermittelt miteinander telefonieren kann. Heute tun wir es alle. Gar kein Thema. Hat sich selbst gebaut.
Was Extrapolation bedeutet, konnten wir lange vor dem Corona-Monothemismus dort beobachten. Auch die Eisenbahnen haben sich im 19. Jahrhundert selbst gebaut. Ihre Zukunft war zu Ende, als der Staat sie übernahm.
Die Zukunft ist sich selbst ihre eigene, souveräne Macht, die darin besteht, dass sie nicht ausgeübt wird, sondern einfach geschieht. Sie kann von keiner Elite, von keiner Regierung beherrscht werden. Die Regierung, die Bürokratie, kann nur so tun also ob. Leider gibt es sehr viele Menschen, die sich an diesem Schauspiel beteiligen – gerne beteiligen, weil es ihnen ganz persönlich Zukunft gibt. Und wir, wir, deren Zukunft wirklich von der Zukunft abhängt, fallen immer wieder darauf rein. Raimund Vollmer

Montag, 22. März 2021

Big Data, Corona und Hegels Weltgeist

 Von Raimund Vollmer

 

Ist Big Data der neue Übermensch? Schaufenster in Zürich 2020 Quelle: R.V.


Unsere ganze Existenz hebt sich empor zu Big Data. Wir, die wir doch von uns behaupten eine „Sonderstellung“ in der Welt zu besitzen, nicht unbedingt ein „Geschöpf Gottes“, aber auch kein „arrivierter Affe“, sondern eher ein „Mängelwesen“, wir, wir erheben uns zu einer virtuellen, einer außermenschlichen Existenz, zu Big Data. So möchte man mit Begriffen des deutschen Philosophen Arnold Gehlen (1904-1976) spielen, um zu verstehen, was gerade mit uns passiert, mit uns, den Menschen, und mit uns, den Daten.  

Wir sind überall zuhause. „Zuhause bleiben“ - das ist für uns überall. „In Eis und Schnee nicht weniger als in Wüste und Hitze“, meint der deutsche Philosoph Henning Ottmann (*1944), sich auf Gehlen beziehend.[1] Im Wasser und auf See. Im Weltall und auf dem Mond. Doch nun wird unsere physische Existenz eingekerkert, während unsere Daten überall zuhause sind. 

Das „Mängelwesen“ bleibt daheim. Was zählt, sind die Daten, gehütet von mächtigen Institutionen, „die Normierung und Gesetzlichkeit, Selbstbescheidung und Verantwortlichkeit individuellen wie kollektiven Lebens steuern sollten“, wie die 'Neue Zürcher Zeitung' 1976 anlässlich des Todes von Arnold Gehlen schrieb und sich fragte, ob dessen Vorstellung vom „Staat nicht allzu sehr Hobbes' 'Leviathan' schmeichelt“.[2] Denn dieser Staat soll die Menschen auch vor den zersetzenden, den anarchischen Ideen der Intellektuellen schützen. Der Atem der totalen Vernunft weht über uns, lässt uns nicht mehr auf dumme Gedanken kommen.

Wir sind nicht nur ein von Gott und der Natur verlassenes Wesen. Die Natur sieht in uns längst einen erbitterten Feind und schlägt unbarmherzig zurück. Denn seit Jahrtausenden sind wir damit beschäftigt, die Natur nach unserem Willen umzuformen und auszubeuten. Wir setzen dazu alles ein, was wir haben. Unsere Arbeit, unser Denken, unseren Erfindungsgeist. Und doch sehen wir uns am Ende   in einer „biologisch hoffnungslosen“ Lage (Gehlen). Denn wir sind bis in die Pandemie hinein nichts anderes als „Roboter der Kunst des Überlebens“.[3] Wir gehorchen den Institutionen, die wir uns zu unserem Schutz geschaffen haben - weniger zum Schutz vor der Natur als vielmehr als Schutz vor uns selbst. Eine perfekte Welt. Durchgestylt und organisiert bis ins Letzte.  Nur dann, wenn wir den Fortschritt an uns selbst anwenden wollen, bei der Organisation des Impfens, scheinen wir an unsere Grenzen zu kommen.

Erreichen wir damit - so fragte sich Gehlen in seinen späten Lebensjahren - nicht vielleicht „das Ende der Geschichte“? So der Name eines Essays, Jahrzehnte bevor Francis Fukuyama aus dieser Überschrift einen Beststeller machte. Leben wir nicht schon längst in einer „Posthistoire“, in einer Zeit, die gar nichts mehr mit uns zu tun hat? Waren wir nicht bereits als Gefangene eines unendlichen „Regelkreises von Verwaltung und Industrie“ ('NZZ') dem totalen Stillstand ausgesetzt? 


Kleine Pause von Corona - Ein Schulhof im September 2020 Quelle: RV

 

Gab uns Corona nicht ganz einfach den letzten Rest? Zuhause bleiben. Einsicht zeigen. Vernünftig sein. Der Shutdown des Menschen - ist dies nicht genau das, was wir gerade erleben?

Wir, die Mängelwesen, auf Abstand gehalten. Wir, die Mängelwesen, kontaktgesperrt. Wir sind zuhause und zurückgeblieben.  Wir machen den Weg frei für eine Welt, in der alles in perfekter Harmonie aufeinander abgestimmt werden kann. Ohne uns. Widerspruchsfrei. Widerspruchslos. Alle unsere Daten, unsere eigenen, bald völlig durchgetesteten Daten, haben woanders ihr Zuhause. In der Cloud. Sie gehören faktisch nicht mehr uns. Niemand verbietet das Sammeln und Speichern. Man tut nur so. In Wirklichkeit - so diagnostizierte schon 1999 das britische Wirtschaftsmagazin 'The Economist' - werden nur die Gesetze erlassen und angewandt, „um die zu belangen, die diese Daten missbrauchen.“ Das war zu einer Zeit, als Google nur Insidern ein Begriff war. Weiter schrieb das liberale Britenblatt: „Die Menschen müssen sich darauf einstellen, dass sie einfach keine Privatsphäre mehr haben. Dies wird den größten sozialen Wandel der Moderne konstituieren.“[4] Und wir machen fröhlich mit, geben jeden Tag mehrfach unser informationelles Selbstbestimmungsrecht preis. Wir sind einverstanden. Cookies für jedermann, bis dass die Speicher platzen.

Doch ein bisschen Privatsphäre lasst man uns vorerst: Zuhause bleiben. Für die Fütterung ist gesorgt. 

Ein beklemmendes Szenario. Wir leben in einem Zoo, in dem wir uns nach Herzenslust kreativ betätigen dürfen - solange wir zuhause bleiben und unseren Garten pflegen. Schon der Umwelt und unseren Nachkommen zuliebe. „Ökologisch“ wäre damit „mehr gewonnen, als tausend Umweltgipfel vom Schlage Rio de Janeiro es je vermöchten“, hatte, 25 Jahre bevor die Pandemie uns in den Garten verbannte und die EU am 28. November 2019 den „Umwelt- und Klimanotstand ausrief, der Grünen-Klimapolitiker Reinhard Loske in der 'Zeit' geschrieben. 

Man reist nicht mehr ohne Mundschutz

 

Unsere Verbannung in die Bedeutungslosigkeit hat sich schon lange, sehr lange vorher angedeutet. Nun wird sie endgültig vollstreckt, so vollkommen und mit so viel Vorlauf implementiert, dass wir unsere Gefangennahme gar nicht mehr spüren. Das ist nicht unser aller Wille, kein „volonté de tous“, um mit Rousseau zu sprechen. Es ist ein „volonté générale“, ein allgemeiner Wille, ein Gemeinwille, systemimmanent. Wir stehen unter Hausarrest. Aber unsere Daten sind frei, vogelfrei. Jeder kann sie verraten.

Hegels „Weltgeist“

-         übernimmt, während wir zuhause in unserem Garten die Umwelt retten.

-         schreibt die Geschichte, während wir Nachrichten schauen. 

-         inszeniert das Welttheater, während wir uns Netflix serienweise reinziehen.

Und der „Weltgeist“ macht das alles sehr souverän. Er hält uns auf Abstand. In unserem Home-Office. Okay, noch ist es nur ein Test. Aber wir werden ihn bestehen, vor allem wir Deutschen. Wie alles. Kein Trump wird uns daran hindern können. Hier gilt: Germany first.

„Im Zentrum steht die modellgestützte Seuchenchoreographie, bei der nationale Neuinfektionen, regionale Behandlungskapazitäten und altersbedingte Immunisierungsraten in ein stabiles Fließgleichgewicht gebracht werden sollen“, schreibt John Schellnhuber (*1950), Gründer des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung, am 16. April 2020 in der 'FAZ'.[5] Alles nur eine Frage des Gleichgewichts, eine Frage der Formel und damit prädestiniert für einen Algorithmus des Regierens. Am Ende muss die Covid-Kurve stimmen. Sie dominiert alles. Sie ist der sich selbst programmierende Weltgeist. Und er sagt uns: Es ist ja alles nicht so schlimm. Denn „Freiheits- und Gewerbebeschränkungen verlieren definitiv einen Teil ihres Schreckens, wenn man per Facebook oder Zoom Kontakt, Ausbildung und Beruf weiter pflegen kann“, heißt es bei Schellnhuber. Wir wissen: die Pandemie kann „durch strategische Intervention mit mächtigen Instrumenten beherrscht werden“. Das grenzt an Wunder, entspringt aber tatsächlich nur „kühl kalkulierenden Strategien, die sich an Datensätzen und Modellrechnungen orientieren“. Heile Welt gibt‘s nur daheim.

Nicht wir orientieren uns, sondern die Strategien. Und dann kommt es noch dicker. Schnellnhuber: „In einem beispiellosen Massenkurs wird gerade die Öffentlichkeit mit der zentralen Kurvenschar der Infektionsentwicklung vertraut gemacht.“ Die Fütterung der Raubtiere hat begonnen. 

Wir bleiben zoohause. Abstand halten.



Donnerstag, 4. März 2021

1970 - Das Jahr, in dem wir aufbrachen, um Corona zu besiegen

Es ist jetzt ein Jahr her, dass ich damit begonnen habe, mehr für mich selbst als für andere, über das zu schreiben, was im Zeichen der Pandemie mit uns geschieht. Fast jeden Tag habe ich daran geschrieben und ahnte irgendwann, dass es eine unendliche Geschichte werden würde. Viele kleinere Stories entstanden, sind heute noch Baustellen, die mit der Hauptstory noch zusammengefügt werden müssen. Das Ganze war so anstrengend und aufreibend, dass ich an der Journalyse so gut wie nichts mehr machen konnte. Nun bekommt die Story allmählich eine Struktur - und ich möchte mal das ein oder andere Sonderthema herausnehmen und hier veröffentlichen.

Internet & Interferon

Von Raimund Vollmer

Es war im November 1970, ein Jahr, nachdem das Internet als ARPAnet an der Stanford University gestartet worden war. Die US-Regierung hatte zwanzig privaten und staatlichen Forschungslaboratorien einen hochbrisanten Entwicklungsauftrag erteilt. Es ging um „den Bau einer Bombe besonderer Art“  Mit diesen Worten stürzte uns der Stern-Redakteur Ulrich Schippke in eine Zukunft, in der eine winzige „Plastik-Kapsel, die – am Arm oder Bein unter die Haut geschoben – den Menschen mit einem Schlag von allen Virus-Krankheiten der Welt befreien“ sollte. Wir sollten also genau das bekommen, was in aktuellen Verschwörungstheorien dem Weltenretter Bill Gates an ebenso bösen wie geheimen Absichten unterstellt wird.

Stand 1970 der Staat hinter dem Versuch, das Gegenmittel zu allen Viren zu finden, so war es jetzt, 50 Jahre später, ein reicher Privatmann, der sein Vermögen in der virtuellen Welt erworben hatte, einer Oberwelt, die – zu Software transformiert – alles zu regulieren sucht. Würde er, dessen Microsoft große Anstrengungen unternahm, um das Internet zu beherrschen, sich nun auch noch der körperlichen Welt bemächtigen? Würde ihr auf Dauer alles, was kreucht und fleucht, untergeordnet?

Alles war möglich, 1970 ebenso wie 2020. Jedenfalls in unserer Phantasie. Damals war sie heiter und voller Träume, heute eher düster und voller Traumata.

Medizin statt Mundschutz, das war vor einem halben Jahrhundert das große Versprechen. Damals. Mit der Kapsel in der Achselhöhle oder sonst wo würden wir sicher durch die kalten Jahreszeiten kommen. Die Praxen der Allgemeinmediziner würden von Grippekranken verschont, die Ärzte könnten sich endlich in aller Ruhe um ihre anderen Patienten kümmern – und müssten keine Sorge haben, dass diese sich in den Wartezimmern auch noch gegenseitig ansteckten. Bestimmte Krankheiten würden wir ganz einfach vergessen.

Das Wundermittel hieß Interferon. 1957 von dem Schweizer Mikrobiologen Jean Lindemann (1924-2015) und dem Briten Alick Isaacs (1921-1967) entdeckt, sollte es „wie von Zauberhand“ jeden Erreger besiegen. „Man bekommt nie mehr Schnupfen, nie mehr Grippe – ein ganzes Bündel von Krankheiten, ausgelöst durch mehr als 400 Virusarten, wird durch die Kapsel für immer aus der Welt geschafft.“ So die Hoffnung des Stern-Reporters vor 50 Jahren.[1] Und wir glaubten ohne Arg der Wissenschaft und den Journalisten.

Schon die Entdeckung der Doppel-Helix, der DNA, 1953 durch den Amerikaner James Watson und den Briten Francis Crick hatte nach anfänglichem Zögern nicht nur die Fachwelt inspiriert, sondern die gesamte Menschheit. Diese Entdeckung löste „Schockwellen“ aus und die Wochenzeitung ‚Die Zeit‘ nannte es die „Watson Crick-Bombe“.[2] Kleiner ging’s nicht. Ein wohliger Schauder erfasste uns angesichts dieser „Atome der lebendigen Welt“, wie es die Zeitschrift „Cosmos“ 1964 nannte.[3] Sie bildeten immerhin die „Blaupause aller lebenden Kreaturen“, meinte 1988 der ‚Economist‘.[4] Die Biotechnologie war geboren und löste eine unglaubliche Aufbruchsstimmung aus. Die Zeit war abzusehen, in der Menschen planbar wurden, genetisch programmierbar, nicht mehr länger ein „Zufallsprodukt“

1976 wurde in San Francisco Genentech gegründet. Es war das erste Biotech-Start-up, das zudem um Wirkstoffe wie Interferon herum Risikokapital in Hülle und Fülle eingesammelt hatte.[5] Mitte der achtziger Jahre hatte das US-Unternehmen bei einem Umsatz von 130 Millionen Dollar einen Börsenwert von drei Milliarden Dollar.[6] (2009 kaufte dann der Schweizer Pharma-Konzern Hoffmann-LaRoche die Amerikaner für 46,8 Milliarden Dollar.)

„Wissenschaft und Unternehmertum“, zwei Dinge, die sich eigentlich gegenseitig ausschlössen, hätten zueinander gefunden, befand 1988 der ‚Economist‘. Vier Jahre zuvor hatte dasselbe Magazin vermerkt, dass der Mensch nun zum ersten Male in seiner Geschichte in der Lage sei, „mit seiner eigenen Natur zu spielen“.[7] Phantastisch. Der Bundesgerichtshof hatte sogar 1969 entschieden, dass es keinen Grund mehr gäbe, „die planmäßige und nunmehr weitgehend beherrschbare Ausnutzung biologischer Naturkräfte vom Patentschutz auszuschließen.“[8] Patente aufs Leben, höchstrichterlich erlaubt. Das Planspiel des Lebens hatte begonnen und forderte Politik und Wissenschaft auf neue Weise heraus.

In Bonn bildete sich eine Enquete-Kommission, die die Folgen der Gentechnik abschätzen sollte. Überall in der Welt wurde nachgedacht – natürlich auch in den USA, dem Mutterland des Biotechs. „Die Gefahren der Gentechnologie kommen mehr durch die Hintertür“, meinte 1988 der Amerikaner Jeremy Rifkin (*1945), Gründer der Denkfabrik ‚Foundation on Economic Trends‘. „Das Leben  wird jedoch auch nicht besser. Der Mensch wird modifiziert und vorhersagbar.“[9]

Stattdessen scheint nun die Natur mit uns zu spielen. So sind wir heute weitaus  pessimistischer, fast schon resignierend: „Das Virus ist Teil unseres Leben“, sagt der deutsche Virologe Hendrik Streeck (*1977) im September 2020. Wir müssen uns mit ihm abfinden.

1970 war dies ganz anders. Es war das Jahr, in dem die Biotechnologie ihren Triumphzug durch die Zukunft der Menschheit antrat und alles, was vorher war, in den Schatten stellen wollte. Sie werde „dereinst alles, was etwa Atomphysik oder Raumfahrttechnik hervorbrachten, zwergenhaft erscheinen lassen“, zitierte ‚Der Spiegel‘ 1970 in einer Titelgeschichte Charles D. Price, den vormaligen Präsidenten der Amerikanischen Chemischen Gesellschaft, und das Magazin sprach selbst von einer „biologischen Revolution“.[10] In gewisser Weise sollte er Recht haben. Atomphysik und Raumfahrt ist es nicht gelungen, die ganze Welt in die Knie zu zwingen. Das schaffte nun ein Virus.

Doch die Revolution fand nicht statt – jedenfalls gemessen an den Verheißungen vor 50 Jahren: Geburt und Schwangerschaft müsste es demnach seit mindestens zwanzig Jahren nicht mehr geben, eine künstliche Neubildung von Organen und Gliedmaßen ist uns auch noch nicht wirklich gelungen. Wir haben zuhause keine Mensch-Tier-Wesen, die für uns alle Drecksarbeiten erledigen. Es gibt auch keine Maschinen-Menschen, die sogenannten Cyborgs, die uns gehorsam dienen oder gar beherrschen. Unsere Erwartungen und Befürchtungen waren zu hoch. Es gibt allenfalls Teilsiege.

So war es auch bei dem Zauberstoff Interferon. Risikokapitalisten investierten Abermillionen in den Stoff, der nur sehr schwer zu gewinnen war, wie die Pharmakonzerne und deren Wissenschaftler bald merkten. Da nützte ihr ganzes Können und Geld nichts.[11] Ein Wundermittel wollte ihnen nicht gelingen. Mitte der achtziger Jahre – als das Krebsmittel Alpha-Interferon auf den Markt kam – stritten sich die Konzerne leidenschaftlich darum, wer als erster ein entsprechendes Patent bekommen hatte, aber ein Patent auf alles hatte keiner.[12] Wenn man schon nicht alles liefern konnte, dann wollte man wenigstens behaupten können, dass man der erste gewesen war, der ein „genetisch hergestelltes“ Produkt, es war das Alpha-Interferon, hatte patentieren lassen.[13]

Ein halbes Jahrhundert nach dem entschlossenen Aufbruch wünschten wir uns, es gäbe so etwas wie diesen Viren-Killer Interferon und er wäre so allgegenwärtig wie das Internet. Tatsächlich probiert man derzeit diesen Killer ausgerechnet an jener privaten Hochschule aus, an der auch das Internet gestartet wurde: an der kalifornischen Stanford University im Zentrum des Silicon Valley, in Palo Alto. Erfolgsversprechend scheint es indes nicht zu sein.[14]

Vielleicht entdecken wir dennoch ein Zaubermittel. Tatsächlich wird Interferon heute zum Beispiel in der Krebs-Medizin und gegen Grippe eingesetzt, der ganz große Knüller wurde es jedoch nicht.

Eins wissen wir derweil ganz genau: Der Wunderglaube gehört zum Menschen wie die Vernunft. Beide können sich irren. Und dann – ja dann – schlägt stets die große Stunde der Institutionen, vor allem die des Glaubens, also der Kirchen, und die der Vernunft, also die des Staates. Beide stellen sich fürsorgend und schützend vor uns – und ersticken damit jede Rebellion. Vor allem aber schützen sie sich damit selbst. Beide lebten bislang in dem Gefühl, eine Ewigkeitsgarantie zu haben


Mittwoch, 3. März 2021

DAIMLER in der F.A.Z. - Und dem Management ein Wohlgefallen

Kommentar: Einen erstaunlichen Bericht veröffentlichte heute das Hochqualitätsmedium F.A.Z. unter der Überschrift „Daimler und das Steuergeld“. Autorin ist Susanne Preuß. Sie erklärt uns, warum es Kurzarbeitergeld gibt. Jetzt wissen wir es. Sie erklärt uns, dass der Automobilhersteller Daimler 700 Millionen Euro an Corona-bedingten Kurzarbeitergeld für seine Mitarbeiter erhielt. „Um diesen Betrag habe das Unternehmen die Kosten gesenkt, sagte Daimler-Chef Ola Källenius“, zitiert sie indirekt den Vorstandsvorsitzenden.  Aber da sind wir bereits tief in der Story drin, die alles tut, um dem Management des Unternehmens zu gefallen.

In der beliebten Methode, aus der vorausgedachten Synthese dann These und Antithese herauszufiltern, baut die Journalistin die „Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht“ zuerst einmal als Antagonistin ihrer Story auf. Denn die Politikerin rügte, wie satt der Automobilhersteller ist, während kleine Einzelhändler darben müssen. Wenn man so negativ einsteigt, weiß man schon, was kommt. Das Kopfschütteln vor allem der schwäbischen Leser wird bei der Lektüre groß gewesen sein. Wie kann man nur das eine mit dem anderen vergleichen. Andere werden sich fragen, warum gar nichts über die Zulieferindustrie gesagt wird, von der Daimler abhängig ist – und noch mehr gilt das umgekehrt.

Stattdessen wird groß und breit erklärt, warum Daimler die Dividende erhöhen musste. Einmal, weil es der Vorstand versprochen hat, zum anderen, um beim Börsenwert des Unternehmens zulegen zu können. Das sei wichtig in einer Aktionärsstruktur, die sich vor allem durch das Ausland definiert.

Dass die heute so aussieht, daran hat der Vorstand natürlich keine Schuld. Das ist gleichsam gottgegeben. Und so rechnet sich Frau Preuß in stiller Ergebenheit durch das Zahlenwerk von Daimler durch. Natürlich alles tadellos.

Dennoch steht man am Ende dieses Artikels hilflos da. Wichtig wäre doch gewesen darzustellen, wie sehr und womit die Zulieferbetriebe zum Erfolg beigetragen haben. Daimler ist nicht allein auf dieser Welt, lässt sich erst recht nicht aus sich selbst erklären. So hält ja auch die Autorin dem schwäbischen Konzern die Börsenkapitalisierung von Toyota und Tesla entgegen, die deutlich höher liegt. Mit höheren Dividendenzahlungen haben diese das nicht geschafft, sondern mit dem Aufbau von Vertrauen in die Zukunft. Sie bringen einfach ihr Geschäftsmodell besser auf die Straße. Dass Daimler viel Geld für Forschung und Entwicklung ausgibt, wissen wir. 8,6 Milliarden Euro seien es, das 30fache dessen, was der Hersteller an staatlicher Zuwendung bekomme, schreibt Frau Preuß. WOW. Das soll imponieren!

Zum Vergleich: Der Computerhersteller IBM war jahrzehntelang der Weltmeister bei den Patenten. Er gab mehr Geld für Forschung und Entwicklung aus als seine größten Mitbewerber zusammen. Und doch fand IBM einen langen Weg in den Misserfolg. Am Ende – wie wir jüngst erfahren durften – blieb nur noch die Aufspaltung. Es ist der Weg, den Daimler nun auch gehen wird. So ist es beschlossen.

Nein, das Management des Konzerns braucht keine publizistische Rechtsfertigungsakrobatik. Es braucht Kritik. Dringend. 

Raimund Vollmer (der sich allmählich aus dem journalystischen Lockdown befreit)

Mittwoch, 11. November 2020

Kam vor 22 Jahren per Fax herein... (Ich finde es immer noch lustig...


 ... und nur die Heilige Corona weiß, warum mich das an irgendjemanden erinnert, an den man sich bald nicht mehr erinnern wird...