(Kommentar) Der Absturz der VW-Aktie nach dem Bekanntwerden der Manipulationen bei den Abgaswerten in den USA wirft ein besonderes Licht auf unsere Welt, in der praktisch alles, was ist, gemessen und gewertet wird. Bei dem seit Lopez-Zeiten geradezu neurotisch gepflegten Versuch des vetostaatlich geführten Unternehmens, der größte Automobilhersteller der Welt zu werden, wurde der Volkswagen-Konzern bei der größten Sünde erwischt, den man in der heutigen Zeit begehen kann. Er hat die über unsere Umweltbelastungen wachenden Behörden getäuscht - durch Manipulation von Befehlssätzen, landläufig Software genannt.
Es musste so kommen. Irgendetwas war da doch im Busch, nachdem der Mann, der diese Erfolgssucht bei VW in den neunziger Jahren gepflanzt hatte, wohl irgendwann zur Besinnung gekommen war - und war zu seinem Schüler Martin Winterkorn "auf Distanz" gegangen. Ferdinand Piech hatte 1993 den GM-Wunderdoktor José Ignacio Lopez zu VW geholt und damit die Amerikaner hochgradig verärgert. Damals war Piech der Chef in Wolfsburg geworden und hatte all die Schlampereien eingestellt, die den staatlich und gewerkschaftlich durchgeschmusten Konzern in höchste Nöte gebracht hatten. Ein enger Mitarbeiter, der ganz nah am Vorstand arbeitete, erklärte damals dem Autor dieser Zeilen: "Endlich wird im Vorstand richtig gearbeitet." Damals hatte Piech wohl festgestellt, dass bei VW ein harter Besen, wie ihn dieser Lopez darstellte, fehlte. Der brachte nicht nur sein Wissen mit von General Motors, dem damals größten Automobilgiganten der Welt, sondern - so meinten jedenfalls die Amerikaner - auch Betriebsgeheimnisse. 1997 einigten sich GM und VW darauf, dass die Wolfburger 100 Millionen Dollar an Wiedergutmachung (oder wie immer man das nennen soll) zahlten und für eine Milliarde Dollar Zulieferteile bei GM kauften.
Das hätte VW eine deutliche Warnung sein müssen. Mit den Amerikanern ist nicht zu spaßen.
Es war jene Zeit, in der Qualitätssicherung das ganz große Thema in den USA war - und damit einher erwachte die große Leidenschaft der Angelsachsen für das Messen und Wiegen. Die Zeit der Juroren brach an, die uns heute jeden Abend bis in die Fernsehprogramme hinein verfolgt. Alles wird bewertet, alles wird in Hierarchien des Gut und Besser gepresst. "And the winner takes it all..."
Schummeln - so hatte man bei VW, wie sehr oft bei Unternehmen mit unerträglicher Staatsnähe - gehörte zum Geschäft. Sie passt aber nicht in eine Welt der totalen Qualitäts-Kontrolle. Nur wird man die leidigen Laster nicht so schnell los. Wie getrickst wird, haben wir ja dann zuletzt noch auf schlagzeilenträchtige Weise bei der Wendelin-Wiedeking-Schlacht um VW sehen können.
Noch deutlicher aber wirft es ein Licht auf ein offensichtlich völlig überfordertes Management. Nahezu alle Automobilhersteller haben sich in den vergangenen Jahren vollgestopft mit Rechenknechten - in der Erwartung, dass diese am besten klarkommen in einer Welt, in der alles aus Zahlen und Befehlen, also Daten und Programmen, besteht. Die Nähe dieser Leute zu einer ähnlich konditionierten IT-Welt bildeten eine Kombination, die von einer Erfolgswelle zur anderen führte. Und wer sich in einer permanenten Vergleichsreihe befindet, sich der Brutalität der Zahlen aussetzt, muss damit rechnen, dass er auch gerechnet wird - und schließlich abgerechnet wird.
Die Deutsche Bank weiß, wovon VW künftig reden muss. Auch sie ist auf die Zahlen- und Befehlswelt hereingefallen. Das ist keine Frage des Wissens und Könnens, sondern des Charakters.
Die Blamage bei VW ist vielleicht noch größer.
Im privaten Kreis hat der Autor dieser Zeilen im Frühjahr die Meinung vertreten, dass Chef Martin Winterkorn die eigene Erfolgsgeschichte einholen wird. Ein Mann wie Piech würde nicht solch einen Stunk machen, wenn da nicht etwas grundsätzlich falschläuft. Der Aufsichtsratsvorsitzende, der dann seinen Job räumen musste, ahnte wohl, dass dieser permanente Erfolgsdruck seine Blüten treiben würde. Er hatte recht - vielleicht sogar in einem Maße, wie er sich das nicht hat vorstellen können.
Wenn VW die richtigen Konsequenzen daraus zöge und den Vorstand komplett ersetzt, dann sollte sich der Konzern endlich einen Boss suchen, der dem Grundanstand seiner Mitarbeiter an den Fließbändern und in den Facharbeiterkreisen gerecht wird. Und die Gewerkschaftsleute sollten sich auch an deren Tugenden erinnern: Fleiß, Ehrlichkeit und Anstand. Für diese Kriterien braucht man keine Qualitätssicherung, dafür braucht man Charakter - etwas, das nicht unbedingt zum Studienprogramm der Rechenknechte gehört. Muss auch nicht, denn die sonstigen Mitarbeiter nringen dies ja auch von zuhause aus mit. Der Skandal um Peter Hartz war doch schon ein ganz deutlicher Warnschuss gewesen: Macht korrumpiert, absolute Macht korrumpiert absolut.
Wer je einen VW-Käfer fuhr, weiß, dass dies ein grundehrliches Auto war. Noch ohne Software erfunden und gebaut. Es war ein Welterfolg. Sein einziger Makel war, dass er seine Ursprünge in der Nazizeit hatte. Da versprach man den Menschen, dass sie im Rahmen des Spar-Programms "Kraft durch Freude" ein Auto erwerben, eben diesen Käfer. 336.000 Menschen machten mit. Ihr Auto haben sie nie gesehen. Es musste erst ein Neubeginn kommen.
Raimund Vollmer
2 Kommentare:
Betrug ist Betrug - auch wenn ihn Meister Piech einfädelt bzw. einfädeln lässt.
Welchen Schaden er wohl sonst noch angerichtet hat???
Schreibt der Stern wie folgt von der "Götterdämmerung bei Volkswagen": Als die Grundlagen zu dem - wie es bisher aussieht - größten Umweltbetrug der Automobilgeschichte gelegt wurden, waren Martin Winterkorn und Ferdinand Piech noch ein Herz und eine Auto-Seele. Auch wenn sich die Atmosphäre zwischen den beiden inzwischen deutlich abgekühlt hat - dieser Skandal wird der Ära Piech/Winterkorn seinen Stempel aufdrücken.
http://www.stern.de/auto/news/winterkorn-und-piech-im-umweltskandal--goetterdaemmerung-in-wolfsburg-6462584.html
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