Von Raimund Vollmer (Story ist um 1996 entstanden)
Die Japaner hatten 1964 eine Vision. Sie träumten von einem Fernseher, der Bilder in Qualität und Format darstellen kann wie die Kinoleinwand. Der Name war High Definition Television (HDTV). Unter dem Schirm des staatlichen Fernsehsenders NHK und unterstützt vom Post und Fernmeldeministerium begannen die japanischen Elektronikfirmen mit der Gemeinschaftsentwickelung. Nachdem sie eine Milliarde Dollar investiert hatten, war die Japan AG 1986 endlich soweit. Das Prestige Objekt sollte den Weltmarkt erobern.
Auf einer Tagung des International Radio Consultative Committee in Dubrovnik sollte der HDTV Standard, MUSE genannt, weltweit akzeptiert werden. Die Amerikaner, die in den Jahren zuvor das TV Geschäft an die Japa¬ner so gut wie verloren hatten, sahen eine Chance, wieder ins Geschäft zu kommen. Denn HDTV würde Unmengen an elektronischer Intelligenz verschlingen eine Disziplin, in der sie nach wie vor erstklassig waren. Sie stimmten zu. Doch die Europäer kippten den Deal. Als eine »ultimative Waffe«, mit der einheimische TV Hersteller aus ihrem eigenen Markt geworfen werden sollten, als »einen Blitzkrieg«, der sogar die USA überrennen würde, bezeichnete ein Manager der französischen Firma Thomson das imperiale Ansinnen der Japaner. Überall wurden alsbald Kooperationen geschlossen, nationale und internationale Initiativen auf politischer Ebene vorbereitet, die mit öffentlichen Gelder ausgestattet werden sollten. In den USA sollte die Regierung 1,4 Milliarden Dollar locker machen. Rund 140 Milliarden Dollar - so hatten Experten 1989 ausgerechnet - würde die Welt in den nächsten 20 Jahren für HDTV Geräte ausgeben. Dieses Geschäft konnte man doch nicht den Japanern überlassen! Die US Regierung zögerte. Ihr war der Aufwand zu hoch. Derweil begannen die Japaner, mit Milliardenaufwand Filmstudios in Hollywood zu kaufen. Sie hofften, letztlich über die Contents ihren Standard durchzusetzen.
Im Prinzip spielte sich hier eine gewaltige Materialschlacht ab. Denn die Zeit drängte. Die Japaner hatten bei ihrem HDTV Standard voll auf die Analogtechnik gesetzt. Die Folge war, dass sehr hohe Übertragungsraten für die Ausstrahlung der Programme notwendig waren. Wem es gelingen würde, dieses Quantum durch Kompression und Digitalisierung zu reduzieren, der würde alle Vorteile auf seiner Seite haben es sei denn, der neue Standard hatte sich zu diesem Zeitpunkt bereits durchgesetzt, indem die Konsumenten ihre alten Fernseher durch die HDTV Geräte ersetzt hatten. Weil alle Welt fest davon überzeugt war, dass ei¬ne Digital Lösung erst in der zweiten Hälfte der neunziger Jahre innoviert werden könnte, wollten die Japaner diese Zeitlücke nutzen.
Doch es kam anders. Zwei Tage, bevor die amerikanische Regulierungsbehörde, die Federal Communications Commission (FCC), über das Schicksal der Fernsehnormen der Zukunft entscheiden wollte, überraschte am 6. Juni 1990 die US Firma General Instruments die HDTV Experten damit, daß sie diese Digital Lösung gefunden habe. Von diesem Zeitpunkt an wurden die Karten in dem Multimilliarden Geschäft neu gemischt. Die USA waren plötzlich die Nummer 1. Alle politischen und geschäftlichen Kalküle wurden über den Haufen geworfen. Die digitale Herrschaft diktierte nun alle Entscheidungen. Nicht mehr die Institutionen bestimmten, sondern die Märkte. Als im Dezember 1996 die FCC darüber entscheiden sollte, welcher Standard die televisionäre Zukunft bestimmen soll, gab die Behörde gleich 18 Formate frei. Es gab keine feste Pfründe mehr. Es war klar: Damit würden die festgefügten Strukturen im TV Markt tief erschüttert. Kein Sender konnte alle 18 Formate unterstützen, kein TV Hersteller kann alle 18 Standards komplett in einem Gerät implementieren. Die Folge würde eine totale Fragmentierung des Geschäftes sein. Was nun?
Digitale Diktatur. Die Antwort lieferte Amerikas Schlüsselindustrie: die Computerbranche. Sie besitzt ein hervorragendes Instrument, um die divergierenden Formate wieder zu vereinigen nicht beim Sender, nicht im Netz, sondern im PC. Der Desktop ist schon heute unsere Telefax Maschine, unser E Mail Empfänger und Spielauto¬mat. Er ist auf dem besten Weg, unser Telefon zu werden. Er hat Speicherplatz genug. Seine Leistung verdoppelt sich alle 18 Monate. Seine Software wird jedes Fernseh Format verarbeiten, vor allen kann diese sich über die Netze blitzschnell ausbreiten. Heute haben 48 Prozent der US Haushalte einen PC. Im Jahr 2002 werden es 98 Prozent sein. So wird der PC zum TV. Wenn dies mit einem Aufpreis von nur 100 (statt heute 1000) Dollar möglich wird, dann sollen bereits im Jahr 2002 rund 40 Millionen PCs in den USA den Fernseher ersetzen. Zum selben Zeitpunkt wird es nur eine Million digitale Fernseher geben.
Hat dann Bill Gates 1997 mit dem rund 425 Millionen Dollar teuren Erwerb von WebTV, gegründet 1995, doch aufs falsche Pferd gesetzt? Keineswegs.* Wie immer sich der Markt entscheidet, mit seiner Software ist er allgegenwärtig. Sie liefert den Zusammenhalt, mit dem die alten Institutionen überfordert sind. Microsofts Strategie ist genial. Mit ihren omnipräsenten Tiger Teams greift sie die Wirtschaftswelt an ihrer empfindlichsten Stelle an. Wo immer die Schnittpunkte zwischen einen Unternehmen und seinen Kunden sind, soll ihre Software die Aktionen steuern, kontrollieren - und abrechnen. Das wäre dann die totale digitale Diktatur.
Dieses Beispiel belegt zweierlei:
Erstens muß man im Zeitalter der digitalen Dominanz jederzeit mit Überraschungen rechnen. Das macht die (hoheitliche) Sanktionierung von Standards äußerst schwierig.
Zweitens wandern in einem solchen wettbewerbsintensiven Umfeld die strate-gischen Vorteile weg von denjenigen, die besondere Nähe zur Industriepolitik pflegten, hin zu jenen, die die Optionen im Markt besetzen.
Wer die Welt überraschen und die neuen Optionen besetzen will, hat in der Software seine gefährlichsten Waffe.
* Leider doch. Denn im September 2010 wurde WebTV eingestellt, nachdem es vorher nur noch eine Randerscheinung als MSN TV gewesen war.
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