Donnerstag, 3. Januar 2013

IT in Deutschland: Das alte Lied & Leid

Zitat des Tages: »Es könnte sein, dass die deutschen Hersteller von Informationstechnologie (IT) kurz davor stehen, in der Welt eine größere Rolle zu spielen als in der Vergangenheit.«
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 3.1.2013, Carsten Knop: "Industrie 4.0" (Kommentar)
Kommentar. In den sechziger Jahren wühlte der französische Journalist Jean-Jacques Servan-Schreiber mit seinem Buch "Die amerikanische Herausforderung" die Wirtschaftswelt in Europa auf. Zum ersten  Mal tauchte der Begriff vom "technological gap" auf, von der technologischen Lücke zwischen der Neuen und der Alten Welt. Mindestens fünf Jahre betrage dieses Gap, hieß es damals unter den Politikern, Wirtschaftsfachleuten und IT-Beobachtern. Gigantische DV-Förderungsprogramme wurden aufgelegt, die das Ziel hatten, den nationalen Herstellern auf die Sprünge über diese Lücke zu helfen. Und während der Staat dies tat und sich die Hersteller - allen voran Siemens - an den Fördertöpfen labten, wandelte sich der Markt. Und eine neue Lücke entstand. Mal war es die Hardware, mal die Software, dann der Service. Mal dieses, mal jenes. Nach außen hin trat die Branche, die ihre Lobby  in VDMA (mit Hauptgegner IBM) und ZVEI (mit Gegenspieler Siemens) organisiert hatte, immer auf, wie sie's gerade brauchte. Ging es darum, Rechenschaft über vergangene Subventionen abzulegen, war immer alles in Butter. Ging es darum, neue Subventionen zu erbetteln, tat sich wieder irgendein Gap auf.
In den neunziger Jahren, als DV-Förderung endgültig als altmodisch angesehen wurde, rekonfigurierte sich die Lobby zum BITKOM-Verband, schluckte gleich auch noch die Telekom-Anbieter und wachte fortan über die Marktzahlen und Prognosen. Das "technological gap" war kein Thema mehr, da ja die Anbieter der neuen Welt ebenso Mitglied waren wie die der Alten Welt. Dass das MP3 des Fraunhofer-Instituts ein Weltstandard wurde, SAP mit ERP eine neue, weltweit akzeptierte Softwarebranche aus der Taufe gehoben hatte, war fortan ein stringenter Beweis dafür, dass Deutschland in der IT mit den Besten der Welt mithalten konnte.
Aber weder MP3 noch ERP waren deshalb ein Erfolg, weil beide in Deutschland ein Erfolg waren, sondern wurden erst zu einem Erfolg, nachdem die USA sich dieser Themen bemächtigt hatte. (Dasselbe galt auch - aus europäischer Sicht - für Linux.) Und wenn wir auf das einstige Kerngeschäft der Software AG schauen, dann war deren Adabas - ein Weltstandard in den siebziger und achtziger Jahren - zwar ein deutsches Produkt, doch hierzulande erst als Reimport aus den USA zur Geltung kam.
Ingenieurmäßig gehört die deutsche IT-Industrie vielleicht sogar wirklich zur absoluten Spitzengruppe, haben wir Informatiker der höchsten Güte. Im Marketing, in der intellektuellen Aufarbeitung sind wir allenfalls Mittelmaß. Und ein Ende dieser Misere ist nicht in Sicht. Wir plappern auf deutsch nur das nach, was andere auf englisch vorformuliert haben.
Aus eigener Kraft schaffen wir diesen Wandel nicht. Deshalb hat nun der BITKOM den deutschen Maschinenbau entdeckt, der Weltklasse ist, wo allerdings auch die Ingenieure nicht von einem mediocren Marketing dominiert werden, sondern die Themen selbst besetzen.
Mit IT-Firlefanz haben diese Leute nicht viel am Hut. Vom Webauftritt bis zu Facebook- oder Blog-Präsenz sind sie oftmals völlig unbeleckt, interessiert sie nicht weiter. Sie sind vielleicht ein wenig aufgeschreckt, weil irgendein austauschbarer Guru ihnen erzählt, dass sie demnächst pleite sind, wenn sie da nicht mitmachen. Aber eigentlich achten sie vor allem darauf, dass das technological gap zwischen ihnen und dem internationalen Mitbewerb erhalten bleibt. Sie kümmern sich um ihr Kerngeschäft. Deshalb sollten sie sich jetzt auch nicht davon irritieren lassen, wenn sich - nach den jüngsten Verlautbarungen des BITKOM - die IT-Hersteller besonders um sie kümmern sollen und zu Cluster-Bildungen aufrufen.
Cluster entstehen von unten nach oben, sind eigentlich vollkommen losgelöst von sogenannter Industriepolitik, die - so ahnt man - als nächste Stufe kommen wird. Das Silicon Valley, das am meisten missverstandene Cluster-Anschauungsobjekt der Welt, nahm seine Anfänge vor 100 Jahren, war etwas, das aus der Mitte der Stanford University heraus geboren wurde, mit viel Leidenschaft und der Professor, der es anregte, riskierte eigenes Geld (in HP), bettelte nicht um Subventionen.
Und der permanente Wandel, den das Tal der Talente seit vierzig Jahren durchmacht, wurde vielleicht durch staatliche Entscheidungen wie die Abrüstung beschleunigt, aber die Bewältigung hatte das Silicon Valley immer seinen Unternehmern zu verdanken.
Im deutschen Maschinenbau gibt es diese Unternehmer ebenso. Deshalb halten sie sich auch in ihrer Weltgeltung. Den Wandel von der mechanischen zur elektronische Steuerung ihrer Maschinen haben sie bravorös gemeistert (und das waren gigantische Herausforderungen). Sie wissen wirklich, was Änderungen bedeuten. Sie müssen von innen heraus wachsen. Daran sollte sich der BITKOM ein Beispiel nehmen. "Industrie 4.0", wie die FAZ nun die Zusammenarbeit zwischen IT und Industrie feiert, wird nicht dadurch entstehen, dass nun die Maschinenbauer und Industrieunternehmen vor den Software- und Serviceanbietern facebuckeln und sich krummbloggen (was da an Inhalten geboten wird, ist oftmals hanebüchen). "Industrie 4.0" ist ein Thema, das die Industrie selbst bewältigen wird. Die IT-Anbieter sind nur Lieferanten.
Um mehr sein zu können, müsste es einen intellektuellen Aufbruch in der deutschen IT-Wirtschaft geben. Davon sind wir meilenweit entfernt. Vorbedingung für einen solchen Aufbruch wäre die Selbstkritik. Dazu ist - zumindest bei den Lobbyisten - weit und breit nichts zu erkennen.
Raimund Vollmer

2 Kommentare:

Analüst hat gesagt…

Carsten Knop, ein Dichter und Denker aus der Zeit, als das Wünschen noch geholfen hat.

Und das bei der guten alten Märchentante FAZ :-)

Anonym hat gesagt…

intellektuell und deutsche IT-Wirtschaft - eine Contradictio in adiecto!