Der alte Schwabe Hegel wusste es lang vor uns. Wir sind unfähig, über unsere eigene Epoche hinauszudenken. Und wenn man es dennoch versucht, wird man ausgelacht, verhöhnt, verschmäht. Aber dann, wenn eine neue Epoche tatsächlich eintritt, haben es alle schon lange vorher gewusst.
So sind wir, die Deutschen auf jeden Fall, nun einmal gebaut. Wir wissen nachher immer alles besser. Übrigens, unsere Unfähigkeit, über uns selbst hinauszudenken, können Sie täglich in Politsendungen beobachten.
Da war dieser Tage der Herr Plasberg, der so gerne hart und fair ist, mit seiner Politsendung „Die Jahrhundert-Dürre: Erleben wir gerade unsere Zukunft?“ Ich habe sie mir über die Mediathek der ARD angesehen und war – wie wahrscheinlich jeder, der es sah – von der Eloquenz der Klimaaktivistin Carla Reemtsma beeindruckt. Es wurden - vor allem von ihr - permanent Studien genannt, ohne deren Autoren – mir ist es jedenfalls nicht aufgefallen - zu nennen oder sie gar zu zitieren, die alles, was sie zu Klimawandel und dessen Meisterung zu sagen haben, wohl bestätigen. So konnte sie, der man ein intensives, höchst professionelles Medientraining in allem, was sie von sich gab und wie sie sich verhielt, zwar durchaus anmerkte, stets im Muster ihrer selbst bleiben. Sie blieb sich selber treu. Sehr diszipliniert. Da konnten die anderen nur von ihr lernen – inklusive des Herrn Moderators von Wetter, Sven Plöger, oder der harten Fainess, Frank Plasberg.
Nur – die Frage, ob das Wetter von heute das Klima von morgen ist, und wir somit unsere dürre Zukunft jetzt bereits haben, wurde eigentlich nicht beantwortet. Denn noch ist es ja nicht zu spät oder allzu spät. Nehmen wir einmal an: Wir schaffen die Klimaziele in absehbarer Zeit, wie sieht dann diese Welt aus? So wie heute? Kaum. So wie gestern? Dann hätte Putin gewonnen, dessen Kriegspolitik und imperialistisches Denken keiner ernsthaft nachvollziehen kann.
Vielleicht irre ich mich ja, aber in den bundesdeutschen Medien habe ich bislang nichts wahrgenommen, geschweige denn von einer Studie erfahren, die sich mit einer Welt beschäftigt jenseits eines gemeisterten Klimawandels? Der frühere Bundespräsident Walter Scheel hat 1979 sinngemäß gesagt, dass wir nur noch in der Gegenwart leben. So ist es. Zehn Jahre später wurden wir durch den Fall der Mauer vollkommen überrascht. Unser Realitätssinn, dessen Fehlen wir unseren Diskussionsgegnern so gerne vorwerfen, ist das Totschlagargument gegen alle dynamisch formulierte Zukunft. So haben wir in den vergangenen 30 Jahren eine Zukunft nach der anderen verpasst.
Nehmen wir die Globalisierung – diesem Thema, bei dem unsere Manager ihre ganze Dynamik unter Beweis stellen konnten und wir heute sehen, dass dahinter nur eine einzige Effizienzgier stand. Jetzt stehen sie vor ihren zerstörten Lieferketten und bekommen Humpty-Dumpty nicht mehr zusammen. Sie hatten – wie das unsere Bundeskanzlerin so schön formulierte – „alternativlos“ gehandelt. Der Spruch „Wandel durch Handel“ erweist sich jetzt als ein Freibrief dafür, selbst mit den schlimmsten Diktaturen ins Geschäft kommen zu können.
In Wirklichkeit hat das Thema Globalisierung, das von uns
Journalisten in alle Richtungen zelebriert wurde, niemals eine neue Epoche
eingeleitet, sondern die, die vor 250 Jahren mit der Bibel des Kapitalismus,
mit dem Buch „Wealth of Nations“ von Adam Smith angestoßen wurde, prolongiert.
Eigentlich möchte man diese Epoche, die so deutlich zeigt, dass sie sich im Endstadium befindet, irgendwie in die Verlängerung schicken – eben auch durch die gewaltige Konzentration auf die Meisterung des Klimawandels. Wir klammern uns geradezu daran.
Dabei müssen wir dringend anfangen über ein Thema zu reden, das ebenso wichtig, vielleicht sogar noch wichtiger ist, über Arbeit – und deren Wert in einer Zeit jenseits des Klimawandels. Das ist nämlich die eigentliche Zukunft jener jungen Menschen, zu der ich hier Frau Reemtsma rechne, vor allem aber meine eigenen Kinder und Enkel.
Aber das ist ein Thema, über das das Management nicht gerne redet, die Politik ebenso gerne schweigt, auch die Gewerkschaften hinwegsehen wollen und wir, die stets von Arbeit lebten und nichtvon Verfügungsgewalt, keine Idee haben.
Wir können halt doch nicht über unsere eigene Epoche hinausdenken – und wer es wagt, der nicht gewinnt.
Raimund Vollmer