Von Raimund Vollmer
(1997)
Eine Zählung ergab, dass
1970 in den USA 1.365 neue Konsum‑Produkte eingeführt wurden. 1994 waren es
20.076 Novitäten. Das ist eine Steigerung um den Faktor 15 in 25 Jahren. Ohne
massiven Computereinsatz wäre diese Vielfalt mit Sicherheit nicht machbar
gewesen. Es lohnt sich also, in Software zu investieren. Leider bestehen die
meisten Neuerungen, die jährlich auf den Markt kommen, aus Derivaten von
bestehenden Produkte. Es sind Scheinblüten. Deren Entwicklung ist weniger
riskant, zumal der Computer es recht einfach macht, Produkte kontinuierlich
zu verbessern und immer mehr Varianten zu erzeugen. So entstehen Anpassungs‑Innovationen
in Hülle und Fülle, aber planerische Sicherheit gewinnen die Unternehmen
dadurch kaum. Nur zehn Prozent aller neuen Produkte sind so erfolgreich, daß
sie zwei Jahre nach ihrer Einführung noch am Markt sind. Diese Zahlen
ermittelte Kevin Clancy, Analyst
bei der Marketingberatung Copernicus
in Massachusetts. [1]
Zu ähnlichen
Ergebnissen kommt auch Rolf Berth. Er
analysiert seit 1971 an der Akademie
Schloß Garath bei Düsseldorf den Anteil von Innovationen am Gesamtumsatz
der deutschen Industrie. Seine jüngste Bilanz: »Der Anteil ist um 38 Prozent
gesunken.« Diese Zahl allein ist schon alarmierend. Weitaus schwerer wiegt
seine Erkenntnis, dass sich von 463 Führungskräften 402 für erfindungsreiche
Erneuerer halten. Man fragt sich: worauf begründen sie diese Annahme?
Von Schumpeterschen Typen, die mit »kreativer Zerstörung« neue Kombinationen
am Markt durchsetzen, kann keine Rede sein: Bei den 1026 von Berth untersuchten Firmen war nur die
Zahl derer, die wenigstens zu Anpassungserneuerungen griffen, um 35 Prozent gestiegen
‑ auf 137 Unternehmen. Bei Erneuerungsinnovationen fiel die Zahl um 30
Prozent ab. Bei echten Durchbrüchen verzeichnete er gar ein Minus von 56
Prozent. Der Grund für die magere Ausbeute: die Führungsebene der ersten bis
dritten Management‑Ebene widmet nur 4,7 Prozent ihrer Zeit für innovative
Überlegungen. Von 77 Erstideen, die Berth
in seinen Langzeitstudien beobachtete, wurden nur neun tatsächlich realisiert,
von denen dann eine einzige zum Volltreffer geriet. Zwei Ideen galten als
einigermaßen erfolgreich. Eine Neuerung schrieb im fünften Jahr immer noch
Verluste. Fünf floppten gänzlich. Berth
rechnete zudem aus, dass eine Innovation im Schnitt sechs Jahre benötigt, bis
sie wenigstens den Break-even-Point
erreicht. [2]Eine sehr lange Zeit, die
viel Geduld, Aufmerksamkeit und Mut voraussetzt. Genau diese Tugenden werden
von den Controlling‑Systemen nicht
unterstützt. Im Gegenteil: immer wieder ist aus dem Munde von Vorständen zu
hören, daß sie über einen Zeitraum, der länger als drei Jahre währt, nicht
hinausdenken. Ihr Argument: die Welt sei zu schnellebig geworden. Jeder
erwartet Überraschungen, aber unsere Fähigkeit, sie zu orten, scheint
hochgradig unterentwickelt.
Woran liegt das? Wir
wissen sehr viel über die Innenwelt unserer Unternehmen, aber nur sehr wenig
über die Außenwelt. So ist es kein Wunder, dass viele Betriebe
Anpassungsneuerungen vorziehen. Früher nannte man sie präziser Schein‑Innovationen.
Leider verbrauchen wir für diese Strohfeuer auch jede Menge Software‑Investitionen.
Immer mehr Managementpraktiken wurden in den vergangenen zehn Jahren
ausprobiert, aber keine lieferte bislang einen überwältigenden Erfolg, wie eine
Umfrage des Instituts für Arbeitspsychologie an der Universität von Sheffield
in Großbritannien ergab. [3]Wahrscheinlich
wirkten diese Techniken in ihrer Mischung sogar kontraproduktiv. Sie helfen uns
zwar, immer mehr über unsere bestehenden Produkte und Strukturen zu erfahren,
aber sie sagen kaum etwas über die wirklich neuen Chancen. Diese werden noch
nicht einmal als solche begriffen, sondern als Risikofaktor identifiziert.
Dabei ist es genau umgekehrt.
Von den alten Strukturen, die wir in Software gegossen haben, gehen die
Gefahren aus. Das ist es, was uns beunruhigen sollte. Einen Vorgeschmack
bekommen wir mit dem Problem der Datumsbereinigung für das Jahr 2000. Vor
diesem Hintergrund muß man auch ‑ bei aller Wertschätzung ‑ die Einführung von SAP‑Software zuerst einmal als eine
reine Anpassungs‑Innovation bezeichnen. Sie ist hervorragend geeignet, um
innerhalb eines Unternehmens die bekannten Ressourcen optimal zu nutzen und
einzusetzen. Sie liefert auch eine Chance, dem Millennium‑Problem auszuweichen.
Die neuen Dienstleistungen verlangen aber, sie sind geradezu darauf gerichtet,
daß die Ressourcen außerhalb eines Unternehmens liegen.
1 Kommentar:
Aktueller denn je!
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