Dienstag, 9. Oktober 2012

Die ewige Zweiteilung der IT-Welt: Zwischen Müssen & Wollen

Es ist das gute Recht jedes Verlages, durch Sonderbeilagen PR-Texte und Anzeigen miteinander zu kombinieren. Das machen Fachpublikationen ebenso wie Tageszeitungen. Heute widmet die FAZ eine Beilage dem mutmaßlich anzeigen- und PR-trächtigen Thema "Cloud Computing". Wer die Computerbranche über einen gewissen Zeitraum verfolgt hat und das ein oder andere Modethema miterlebt hat, ahnt sehr bald, wie diese Beilagen aufgebaut sind - vor allem dann, wenn sie auf institutionelle Kunden ausgerichtet sind. Da wird vor den Augen des Lesers die Welt des Müssens ausgebreitet. Cloud Computing sei kein Trend mehr, sondern ein echtes Thema, heißt es im Aufmacher. Da "müssen Themenfelder wie Social Media, Mobilität, BYOD, Big Data etc. eng miteinander verzahnt werden". Das "stehen die IT-Verantwortlichen unter erhöhtem Leistungsstress", sie "müssen sich nun ernsthaft und intensiv mit den Wünschen der Mitarbeiter befassen". Und dann wird Daimlers CIO Dr. Michael Gorriz (wenn übrigens Doktortitel in einem Bericht auftauchen, dann handelt es sich um PR) zitiert, der erklärt, dass nun alles über Cloud Computing geschrieben worden sei, was man hätte schreiben können. Und das sei denn "tatsächlich der Zeitpunkt, zu dem wir im Professional Management Team sagen: Jetzt müssen wir uns mit dem Thema ernsthaft beschäftigen. Der Hype lässt nach, jetzt beginnt das Arbeiten, und das entspricht ja auch dem typischen Zyklus, den wir bei solchen Themen immer wieder erleben." Mit anderen Worten: den IT-Verantwortlichen gehen die Gegenargumente aus. Sie haben erkannt, dass "sie müssen".
In den Anfangstagen der Computerei, in der Ausbreitung der Rechner der sogenannten "dritten Generation" (1964-1974) war es so, dass es die IT-Verantwortlichen waren, die sagten, was die anderen "müssen". Den großen Schock, die komplette Kehrtwende, erlebten sie dann in den Folgejahren. Die Wünsche der Anwender führten zuerst zu einem gewaltigen Anwendungsstau (Backlog), der in vielen Unternehmen fünf Jahre betrug. Daraufhin "mussten" die IT-Verantwortlichen auf Standard-Anwendungen umschalten. Es begann die Zeit der SAP. Und mit dem Vormarsch der PC, der nach der Ankündigung durch IBM in 1981 zum neuen "Muss" wurde, hatten die IT-Verantwortlichen endgültig das Prinzip des eigenen Wollens durch das des fremden Willens ersetzen müssen.
Das hat sich bis heute nicht geändert.
Aber es sind ja nicht nur die eigenen Mitarbeiter, früher benannte man sie großflächiger als "Fachabteilungen", die dieses Wollen ausdrücken und aufdrücken. Es sind jetzt vor allem die Kunden selbst, die Konsumenten. Sie erwarten, sie fordern und fördern, dass ihr Smartphone mit der Welt der Daten jederzeit vereint werden kann. Und dadurch entsteht ein neuer Druck, dem keiner entrinnen kann.
Die Welt des Wünschens trifft auf die Welt des Müssens. Das Individuum bestimmt über die Institution. Und so ist es kein Wunder, dass ausgerechnet die Anbieter, die sich mit allem, was sie haben, zur Welt des Wünschens bekennen, auch diejenigen sind, die das Thema Cloud Computing erstens hervorgebracht und zweitens nun zu einem "echten Thema" gemacht haben.
Jeder IT-Verantwortliche sollte sich deshalb einmal intensiver mit dem Thema "Wünschen" beschäftigen. Nicht dann, wenn der Hype vorbei ist und das Arbeiten beginnt, sondern weitaus früher. Er wird unsicheren Boden betreten. Eine Welt, in der er nicht zum Befehlsempfänger depraviert, sondern zu jemanden avanciert, der die Trends mitgestalten kann.
Möglicherweise wird er dann zu Erkenntnissen kommen, die den nächsten Trend hervorrufen. Er wird zum Akteur. Er entdeckt die Welt des Wünschens - und das ist die einzige Chance, um die Vormacht der Oligarchen Google, Apple, Facebook und Amazon zu bändigen.
Übrigens: Big Data ist nicht die Antwort auf die Welt des Wünschens. Auf diesen Hype müssen Sie nun nicht unbedingt hereinfallen. Im Wirtschaftsteil der heutigen FAZ berichtet das Blatt darüber, wie sich Apple auf mobile Bezahlsysteme vorbereitet - tief vergraben im Betriebssystem. Damit greift Apple tief in die Taschen der Endverbraucher. Und die IT-Verantwortlichen? Sie müssen demnächst zusehen, wie Apple & Co. das Geld kassieren, lange bevor es den in der Cloud versammelten Unternehmen zugeteilt wird. Natürlich mit einem Abschlag. Das ist Big Data. Das ist Big Dollar.
Trust me! Arbeiten Sie ruhig an dem Trend, der längst ein Thema ist. Die Hersteller werden Sie rechtzeitig darüber informieren, was Sie als nächstes tun MÜSSEN.
Raimund Vollmer

3 Kommentare:

Prof. Balthasar hat gesagt…

Eigentlich ist es eine Dreiteilung zwischen Müssen, Wollen und Können

CIO - Career is over hat gesagt…

Leider gibt es in der IT immer weniger Könner, Kenner und erst recht kaum noch Macher - Deswegen sind die Müsser an der Macht

Raimund Vollmer hat gesagt…

Danke!