Montag, 2. Januar 2012

Die Hierarchie der vernetzten Welt

Kommentar. Als Kommunismus pur hatte in den neunziger Jahren noch Bill Gates das Internet verteufelt. Dass es das "Netz der Netze" sei, war es in jener Zeit gefeiert worden. Mehr Hierarchie solle es nicht geben, kämpften die Apologeten des Internets für totale Freiheit und Demokratie im Netz. Keine zwei Jahrzehnte später ist das Internet "Kapitalismus pur" mit einer mehrstufigen Hierarchie, an deren Spitze Firmen wie Apple, Google, Facebook und Amazon stehen. Sie sind das heilige AGFA des Netzes. Und der Chef des Zentrums für Kunst und Medientechnologie (ZKM) in Karlsruhe, Peter Weibel, sorgt sich bereits um die Demokratie.
In der Tat - das Internet an sich ist nichts wert. Vinton Cerf, der Mann, der dem Netz sein egalitäres Kommunikationsprotokoll gab, hatte dereinst den Wert des Netzes über alles gestellt, indem er die exponentiell steigende Zahl der Verbindungen, die das Internet potentiell bietet, als Welt- und Wertformel definierte. Heute fragt niemand mehr danach. Heute wird der Wert nur noch Unternehmen zugeordnet. Firmen wie Facebook, die soviel umsetzen wie Daimler Gewinn macht, sind an der Börse doppelt soviel wert. Und Apple, die nun meint, dass ihr alles gehört (manche sagen, sie habe sich inzwischen sogar das Rechteck patentieren lassen), wird als das nach Exxon wertvollste Unternehmen der Welt gefeiert. Google und Amazon sind mit ihren Ansprüchen fast schon lahme Enten im Vergleich zu den beiden anderen Aggressoren.
Allen gemeinsam ist, dass sie eigentlich mit gar nichts schachern können außer mit der Verbindung zu uns, den Konsumenten. Sie meinen uns, die wir Millionen und demnächst Milliarden zählen, hinter sich zu haben. Mit unseren Adressen laufen sie zu uns und sagen, dass wir nun als Aktie (mit stetig steigendem Wert) das kaufen sollen, was uns eigentlich schon lange gehört: die Verbindung zum Netz. Wir, die Verbraucher, müssten an der Spitze der Hierarchie stehen - einer Hierarchie, die sonst niemanden mehr anerkennt.
Die Gegner einer solchen Philosophie sagen nun, dass unter diesen Bedingungen niemand mehr in das Internet investieren würde. Das ist Quatsch. Wenn Facebook demnächst an der Börse mit 100 Milliarden Dollar bewertet wird, dann wird niemand behaupten können, dass zwischen dem tatsächlichen Investment von Zuckerberg & Co. und dem Börsenwert ein in irgendeiner Form gerechtfertigter Zusammenhang besteht. Die wahren Investoren, die diese Summe rechtfertigen, sind die 800 Millionen Benutzer weltweit. Und diese haben in erster Linie in sich selbst und ihre Verbindungen investiert, nicht in Facebook.
Wir, die Journalisten und Analysten, sollten uns in den nächsten Monaten ganz genau überlegen, ob diese Unternehmen es wirklich wert sind, dass wir sie anhimmeln und vergöttern.
Der Kunde ist der König des 21. Jahrhunderts. Und sonst niemand. Wer das anerkennt, wird auch zu einer besseren Bewertung jener Firmen kommen, mit denen wir, die Verbraucher, seit Jahrzehnten im Geschäft sind und deren Produkte wir nach wie vor kaufen. Wenn diese Firmen noch nicht einmal mehr an der Börse das wert sind, was sie an realem, materiellem Vermögen in ihren Büchern haben, dann stimmt da einiges nicht mehr. Denn wir sollten daran danken, dass wir - die Könige des 21. Jahrhunderts - das Geld, das wir im Netz ausgeben, weitestgehend auch in diesen Unternehmen verdienen. Hier sind unsere Arbeitsplätze. Hier bringen wir unser Wissen und Können ein - und oftmals auch unsere Leidenschaft, unsere Emotionen.
Es wird Zeit, dass die Realwirtschaft wieder die Werte setzt. Denn es sind unsere Werte.

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

"..die Journalisten und Analysten, sollten uns in den nächsten Monaten ganz genau überlegen, ob diese Unternehmen es wirklich wert sind, dass wir sie anhimmeln und vergöttern." Nicht nur das. Journalisten sollten überhaupt keine Unternehmen anhimmeln und vergöttern, nicht mal nach einer Überlegung.
Häufig ist es aber viel profaner. Wenn der ChR vom IT-Markt nichts versteht außer den AGFA-Namen, dann drängt er seine Redakteuere zur Schreibe, wenn es andere auch tun. Und er hebt die überdrehten Geschichten dann auch noch auf den Titel. So ist es, siehe Handelsblatt u.a. PW