(Kommentar) ... dann nähern wir uns dem innersten Kern der IT-Branche. Bereits in der bluen, alten Zeit wurde einem Unternehmen, dem Allmacht, Allgegenwärtigkeit und Allwissenheit unterstellt wurde, nachgesagt, dass sein größter Konkurrent nicht die sieben Zwerge seien, die sich um Schneewittchen herum scharten, sondern die Kunden selbst. In den bluen 360er Jahren bestand der IT-Etat zu 80 Prozent aus Ausgaben, die direkt in die Taschen von IBM flossen. Es war eine schöne Zeit - für Big Blue.
Doch dann kam das Jahr 1969, und die Idylle war vorbei. Denn Uncle Sam drohte Mother Blue mit einem bösen Antitrust-Prozess, in dem er auch fordern wollte, dass IBM die Preise für Hardware, Software und Services getrennt berechnete und nicht zu einem einzigen monatlichen Mietpreis der Maschine vereinte. Es wurde Transparenz gefordert. Es waren wohl die Juristen, die damals noch kluge Kerle waren, die der IBM empfahlen, sich nicht auf dieses Thema in einem Prozess einzulassen, und so beschloss das Management, das damals noch auf kluge Leute hörte, von sich aus, das sogenannte "Unbundling" einzuleiten. Das war im Juni 1969. Von da an veränderte sich die IT-Branche radikal - vielleicht in einem Maße mit stärkeren Nachwirkungen auf die Wettbewerbssituation als alles andere davor und danach. Und mit fatalen Folgen für den "Monopolisten", der damit für immer sein erfolgreichstes Geschäftsmodell verlor.
Chronisten versuchen zwar immer wieder, der Welt zu erklären, dass damit IBM in das profitable Geschäft mit Software-Lizenzen gezwungen wurde und sich das Service-Geschäft in der Folge zum größten Umsatzträger aufbaute. Sie sind indes damit den PR-Trompeten der IBM verfallen. Sie hat es bis heute immer verstanden, ihre Niederlagen als Siege herauszuposaunen. Aber von dieser Niederlage, also der von der US-Regierung mit Recht geforderten Entkoppelung des Mainframe-Geschäfts, hat sie sich bis heute nicht erholt. Ein unternehmerisch geführtes Unternehmen verwandelte sich in ein gemangtes Unternehmen.
Zuerst einmal verlor IBM in der Folge ihre besten und genialsten Mitarbeiter. Tom Watson wollte und konnte nicht mehr. Gene Amdahl, Gerrit Blaauw und Frederick Brooks, die Väter der /360, verließen das Unternehmen. Ins Topmanagement kamen die Technokraten der Macht, die dann im weiteren Depravationsprozess von Bürokraten abgelöst wurden. Der ehrlichste unter ihnen war immer noch John Akers, der sah, wohin IBM driftete, sich gegen das Schicksal auflehnte, aber am Ende scheiterte. Lou Gerstner machte aus dem Scheitern dann noch ein Riesengeschäft, das sich mehr und mehr als eine Riesenblase erweist.
Das Beispiel der vier SAP-Gründer, die ja ihre Ideen eigentlich bei IBM verwirklichen wollten, zeigt, dass IBM das Geschäft mit der Software - vor allem mit Anwendungen - überhaupt nicht verstand, sondern nach wie vor hardwareorientiert (Betriebssysteme, SNA etc.) dachte und programmierte. Aber nicht nur die Stars verließen das Schiff, sondern auch die ganz normalen Mitarbeiter. Denn diese ahnten nun, dass sie bei den Preisen, die IBM für ihre Services verlangte, sich auch selbständig machen konnten - zu weitaus günstigeren Konditionen für die Kunden. Und so löste sich in den siebziger Jahren das erfolgreichste Geschäftsmodell in der Geschichte des Computings komplett auf. Die Kunden hatten endlich echten Wettbewerb. Und weil sie ja nun die realen Preise kannten, konnten sie sich ausrechnen, welche Aufgaben sie selbst unter eigener Regie und mit eigenen Leuten lösen konnten. Die Kunden wurden echte Konkurrenten der IBM, ja, sie wurden sogar ihre härtesten. Der Eigenanteil der Kunden an den Etats stieg von 20 auf 50 Prozent. Und die andere Hälfte musste sich IBM noch mit anderen teilen.
Als dann 1982 der Antitrust-Prozess "without merits" eingestellt wurde, hatte der Kartellstaatsanwalt Baxter sehr, sehr recht. Die 13 Jahre Prozess hätte man sich nach dem Unbundling sparen können. Wenn es die Absicht des Verfahrens gewesen war, IBM zu zerschlagen, dann war das 1969 mit dem Unbundling bereits erfolgt.
Nun gibt es die Tendenz, das Rad der Zeit zurückzudrehen. Mit Cloud Computing. Wir werden in den nächsten Jahren erleben, dass durch die Cloud das Bundling zurückkehren wird. Nicht mehr im Hardwarepreis, sondern in den Services sind alle anderen Segmente integriert. Eine hochinteressante Entwicklung - vor allem, wenn man bedenkt, dass der Druck am stärksten von denen kommt, die eigentlich unter die Kategorie "Kunde" mal gezählt wurden: nämlich Amazon und Google, beides ursprünglich reine IT-Ressourcen-Verbraucher.
Dieser Kommentar entstand übrigens in der Cloud. Geschrieben ohne Word. Hardware ein Lenovo-Rechner (ehedem IBM).
Raimund Vollmer
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