Sonntag, 24. März 2024

Gedankenexperimente aus tausend und einer Seite (Teil 13)

 Fridays sind für die Future

 

Von Raimund Vollmer 

 2000: »Der manipulierte Mensch. Man könnte auch sagen: der amputierte.«

Noam Chomsky (*1928), amerikanischer Sprachwissenschaftler

 

Zeitlinien sind horizontale Linien, erinnert uns der Philosoph Hans Jonas (1903-1993) in seinem Buch „Das Prinzip Verantwortung“. Es ist die Linie des Optimierens und Feintunings, es ist die Linie der Veränderungen, der Variablen, der Augenblicke. Aber das, wonach der Mensch strebt, liegt gar nicht in der Horizontale, im „Fortgang des Zeitlichen“, sagt er, „sondern muss in der ‚Vertikale‘, im Ewigen gesehen werden, das die Zeitlichkeit überwölbt und natürlich in jedem Jetzt unverkürzt da ist“. [1]

Doch dieses Ewige überwölbt uns nicht, uns unterspült stattdessen der immerwährende Datenstrom, die Zeitlinie, die sich unentwegt selber schafft und immer breiter wird. Er agiert mit der autokratischen Kraft der Vernunft, die auf Dauer allmächtiger und umfassender ist als die der chinesischen Regierung.

Es ist ein langsamer Prozess, der Prozess der erzwungenen Freiwilligkeit, der selbst verschleuderten Mündigkeit. Unter der alles vereinnahmenden Herrschaft des Digitalen und der Algorithmen werden bestehende, bislang voneinander sorgfältig getrennte „Verantwortungsräume und Verantwortungszeiten“ aufgehoben, um mit den Begriffen von Hans Maier zu sprechen. Die Verantwortung ertrinkt im allgegenwärtigen Medium der Welt, im Datenstrom.

Er zeigt sich aber auch mit „diktatorischer Vertikalität“, wie es Walter Benjamin ausdrücken würde, in unserem Smartphone, das mit suggestiver Macht uns in Zuckerbergs Metaverse entführen möchte. Das Buch, das Benjamin noch mit seiner Wendung meinte, wird mit allem und jedem zusammengegoogelt.

Alles ist miteinander verbunden und wird – wie es inzwischen heißt – einem permanenten „Nowcasting“ unterzogen. Selbst die Pandemie wurde – wie es der damals amtierende Gesundheitsminister Jens Spahn im  November 2021 zitierte – vom Robert-Koch-Institut (RKI) einem permanenten „Nowcasting“ unterworfen, um sofort entsprechende Maßnahmen ergreifen zu können.

Aber genau diese Maßnahmen traf die Politik nicht, wie wir uns vielleicht in einem Nowcasting unseres Gedächtnisses erinnern. 

Damals schilderte RKI-Präsident  Lothar Heinz Wieler (*1961) in seiner Brandrede am 18. November 2021 die dramatischen Konsequenzen aus dem Fehlen entsprtechender Maßnahmen.  Unter den 52.000 Meldungen über aktuelle Inzidenzen würden 400 tödliche Fälle sei, die wir nicht mehr verhindern könnten. Er verdoppelte damit seine kurz zuvor abgegebene Diagnose, die er auch alssolche verstanden wissen wollte, nicht als Prognose. 400 Menschen waren schon tot, bevor sie gestorben waren. Das Schicksal dieser Corona-Patienten sei bereits jetzt unabwendbar. Bitter.

Steht dahinter Politikversagen?  In ihrem eigenen „Nowcasting“ hatte für die Politiker im dritten Quartal die Bundestagswahl am 26. September 2021 wohl höhere Priorität. Die Welt des Jetzt ist tückisch, der Datenstrom ist breit. Es gibt in ihm – so stellen wir staunend fest – allerdings keine Irrtümer mehr, auch keine Verantwortung, sondern es gibt nnur noch Korrekturen. Es sind Korrekturen an Zielen, die so vielfältig sind, dass sie uns vor sich hertreiben. ´

Wir agieren im Datenstrom des Jetzt. Wir leben in einer Welt voller Veränderungen, die allerdings Fortschritt nur noch vortäuschen und nicht mehr erzeugen. Wir sollen uns dem Datenstrom willenlos hingeben, dann bekommen wir zur Belohnung die Work-Life-Balance – das neue, permanente Nowcasting des Lebens.

Dieser Jetzt-Stream ist – um mit  Niccolò di Bernardo dei Machiavelli (1449-1516) zu sprechen – unser „Glücksstrom“, unser Schicksal.

„Ich vergleiche das Glück mit einem gefährlichen Flusse, der, wenn er anschwillt, die Ebene überschwemmt, Bäume und Gebäude umstürzt, Erdreich hier fortreißt, dort ansetzt. Jedermann flieht davor und gibt nach, niemand kann widerstehen“, schrieb 1513, vor einem halben Jahrtausend, der italienische Philosoph in seinem Meisterwerk „Der Fürst“.[2] Doch inzwischen werden wir alle von diesem Strom mitgerissen, fortgeschwemmt ins Land der Zukunft, erhoffen uns zugleich, dass dieser Strom uns umhüllt und schützt und aus sich selbst heraus seine Dämme errichtet – ein Wunderwunsch, den uns, wenn er schon nicht von den übermächtigen Digitalkonzernen realisiert wird, der Staat erfüllen soll. So treiben wir im Datenstrom dahin, in dem sich Mikro- und Makrokosmos, Gegenwart und Zukunft jederzeit treffen und – so hoffen wir – gegenseitig korrigieren. Am, besten sofort. Jetzt.

Natürlich wollen wir heute schon wissen, wie die Welt in dreißig, vierzig Jahren aussieht. Selbst einer, der überzeugend bezweifelt, dass dies möglich ist, meint, dass „wir doch jetzt die Weichen stellen“ müssen, vor allem mit Blick auf eine zukünftige Gesellschaft. So der lange Zeit medial-geniale Richard David Precht (*1964), der doch immer da war, wenn wir „jetzt“ eine Antwort suchten – jetzt, in diesem Augenblick.[3] Und er sagte uns auch stets, wohin das alles streben könnte. Precht lebte diesen magischen Datenstrom, vor dem er zugleich warnte, ihn verbal abgrenzte, begradigte und in Perspektive setzt:  „Ein Verantwortungsgefühl für die gesamte Menschheit ist uns von Natur aus nicht mitgegeben“, sagte uns der Philosoph Precht in einem WDR-Video, das im Netz bis zum 31. Dezember 2099 verfügbar sein wird. Dann erwischte es ihn im Oktober 2023, als ihn aus Unwissenheit antseitische Äußerungen entglitten. Seidem ist es eher still geworden um den Mann. Er hat sich dem „Nowcasting“ entzogen.

„Da uns die Natur mit einer unvollständigen Weltsicht und einem unvollständigen Verhaltensrepertoire ausgestattet hat, muss unser Erkennen und Verhalten kulturell durch Verhaltensnormen und Weltbilder geformt werden“, befand der deutsche Wissenschaftspublizist Jost Herbig (1938-1994).[4] Diese Prägung und Fürsorge soll nun mehr und mehr der Datenstrom übernehmen, in den unser Leben eingebettet werden soll. 

Im Jetzt-Stream des Lebens sind „Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft“ aufgehoben. Erleben und erleiden konnten wir dies wie nie zuvor in der Pandemie, die vor allem selbst ein Datenstrom war. Von Inzidenz zu Inzidenz. Von Augenblick zu Augenblick. Mit dieser Permanenz des Augenblicks würden wir – um mit Hans Maier zu sprechen – nicht nur „das christliche Zeitverständnis preisgeben, sondern auch die Kultur der Verantwortung, ja die Struktur unseres öffentlichen Lebens im Ganzen in Frage stellen“.

Machen wir uns auf ein Scheitern gefasst!

Genau das spüren wir jetzt deutlich. Die Institutionen, die wir schufen, um Verantwortung zu übernehmen, delegieren dies zurück an uns. Sie tun dies mit einer moralischen Inbrunst, die uns „Einwohnern“ den Atem raubt. Verfassungsrechtliche Gründe sprächen gegen die Impfpflicht, heißt es allenthalben. Wer sich impfen ließ (wie der Autor dieser Zeilen), galt als ein guter Mensch, sah sich moralisch aufgewertet. Er gehörte zur Herde, wurde Teil der Herdenimmunität. Impfen sei eine „moralische Verpflichtung“, meinte im Januar 2021 die Bremer Philosophin Dagmar Borchers (*1965). Am Ende standen wir fassungslos vor folgender  Erkenntnis: Wer sich weigerte, den schützte nur noch die Verfassung, die man am liebsten noch ausgehebelt hätte Irgendwie eine seltsame Situation. Unser Grundgesetz, über das wir nie abstimmen durften, obwohl uns dies für den Augenblick der Wiedervereinigung in seiner Geburtsurkunde versprochen worden war und dessen Existenz überhaupt mit dem Gründungsakt unseres Staates verbunden ist, behinderte nun ausgerechnet diesen Staat in der Erfüllung seines wichtigsten Auftrages, nämlich uns zu schützen.

„Wir sind in die Beständigkeit des sich selbst korrigierenden Systems eingelaufen“, hatte 1993 der Schriftsteller und Dramatiker Botho Strauß in seinem ebenso furiosen wie umstrittenen Essay über den „Anschwellendem Bockgesang“ formuliert. „Ob das noch Demokratie ist oder schon Demokratismus: ein kybernetisches Modell, ein wissenschaftlicher Diskurs, ein politisch-technischer Selbstüberwachungsverein“, war damals noch nicht ganz klar. Aber eins schien ihm sicher: „Dieses Gebilde braucht immer wieder wie ein physischer Organismus den inneren und äußeren Druck von Gefahren, Risiken, sogar eine Periode ernsthafter Schwächung, um seine Kräfte neu zu sammeln, die dazu tendieren, sich an tausenderlei Sekundäres zu verlieren.“ Je größer die Krise, desto mächtiger der Datenstrom. Wir leben in dem, was Strauß vor dreißig Jahren ein System der „abgezweckten Freiheiten“ nannte.[5] Und diese abgezweckten Freiheiten, die uns 2024 für die Demokratie auf diese Straße schickten, werden sich immer wieder zu erneuern suchen. Es sind am Ende Freiheiten, die das System erhalten, dem wir zu folgen haben.

Strauß meinte 1993, dieses „System zu analysieren, heißt die Schuldlosen zu zählen“. Damit wären in der Pandemie nicht nur die Geimpften, die Genesenen und die Getesteten gemeint gerwesen, sondern vor allem die Instanzen, die über die Inzidenzen wachen, die alles aus der Luca-App zu Big Data formten.[6] Alles gerinnt zum Mainstream, zum ewigen Datenstrom. In ihm schwimmt unser Bewusstsein, in ihm schwimmen unsere Rechte, die Menschenrechte, unsere Verantwortung. Sie schwimmen davon. Schuldig sind allein die, die nicht mitschwimmen im Datenstrom, außen vor bleiben, sich nicht impfen lassen – oder die in der Nachfolge der Pandemie meinen, rechtsradikal werden zu müssen. Der Protest hält uns, die Guten, zusammen. Im Augenblick.

Wir sind vor Big Data unbedingt unschuldig. Ein genialer Trick. Denn anders kommt Big Data auch gar nicht an Big Data heran. Wir haben ja nichts zu verbergen. Und das ist gut für Big Data. Big Data braucht immer Big Data, um für unser aller Nutzen und Frommen die Zukunft bestimmen zu können. Allerdings eine Pandemie, die aus dem Nichts kommt, kann auch das beste Realtime-System nicht vorhersehen. Da kapituliert jedes System. Doch schneller als wir alle denken können, korrigiert es sich, konfiguriert es sich zu einer neuen Totalherrschaft. Es optimiert sich durch alle Krisen hindurch. Kriege sollen eingefroren werden, heißt es neuerdings – als wolle man in ein ewiges Jetzt fallen, in ein Jetzt, aus dem es kein Erwachen mehr gibt, trotz aller Wokeness.

In diesem eisigen System zählt immer nur der Augenblick. Wir leben in der „Totalherrschaft der Gegenwart, die dem Individuum jede Anwesenheit von unaufgeklärter Vergangenheit, von geschichtlichem Gewordensein, von mythischer Zeit rauben und ausmerzen will“, prophezeite 2005 Maier. Selbst das Transzendente wie die Religion muss sich dem Augenblick, dem kaltlächelnden  Jetzt, unterwerfen. Mitsamt ihrem ganzen Marketing.

Als 1994 der Theologe Hans Küng (1928-1921) ein „großes“ Buch über ‚Das Christentum‘ veröffentlichte, musste es „gerade jetzt!“ sein – in einem Augenblick der „großen Krise“, geschrieben „von einem Weltbürger“, der „Satz um Satz ausgedacht und von Hand geschrieben“ zu „einer planetarischen Bewusstseinsänderung“ einlädt, heißt es in der Anpreisung dieses Buches.[7] Küng stemmte sich vergebens mit seiner Handschrift gegen die „Ersetzung der Religion durch Vernunft“.[8]

Was aber hält unsere Gesellschaft im 21. Jahrhundert noch zusammen? „Es ist die wichtigste Frage, auf die wir eine Antwort finden müssen“, meinte er 1999 im Gespräch mit der Londoner ‚Financial Times‘. Seine Antwort war ein neues Ethos, zehn neue Gebote, herausdestilliert aus peniblem, kenntnisreichem  Studium, festgehalten in voluminösen Schriften und Lesungen – und dennoch meinte der britische Journalist Christian Tyler am Ende seines Küng-Porträts: „Man kann sich nicht des Eindrucks erwehren, dass das Ergebnis dieser Herkules-Arbeit eine großartige Erklärung des Offensichtlichen sein wird.“ [9] Es ist, wie es ist. Jetzt.

Das Jetzt hat immer alles im Hintergrund. Den ganzen Kosmos. Den ziellosen Datenstrom.

Nur einmal – vor mehr als zwei Jahrzehnten  – hatten wir große Angst davor, dass dieser Datenstrom unterbrochen werden würde und die Welt in den Abgrund stürzen würde. Für eine Sekunde hielt die Welt den Atem an, als in Australien um Mitternacht die Uhren unserer Computer und Systeme vom 31. Dezember 1999 auf den 1. Januar 2000 umsprangen. Doch alles ging gut. Stunde um Stunde. Sekunde um Sekunde. Moment für Moment. Rund um die Uhr landeten wir glücklich im Kalender des 21. Jahrhundert, das eigentlich schon längst mitten unter uns war.

So treiben wir mit dem Datenstrom dahin – in einem Nirgendwo und Nirgendwann des Augenblicks. Wir merken nicht einmal mehr, wie Ort und Zeit durcheinander geraten. Unser Bewusstsein ist ohne Bewusstsein. Verloren im Jetzt.

Wir leben im Jahrhundert des Jetzt, vielleicht sogar im Jahrtausend des Jetzt. „Jetzt die guten Jahre“, titelte im Jahr 2000 die Hamburger Wochenzeitung ‚Die Zeit‘.[10] Waren sie – im Rückblick der letzten zwei Jahrzehnte – wirklich gut?

Schon rasseln die Gedanken.

1965, zwanzig Jahre nach Kriegsende, schrieb der angesehene Journalist Hermann Schreiber, dass das bis heute so verklärte „Deutsche Wunder“ einem „Irrglauben“ entstamme. „Es beruht auf Illusionen über die Gegenwart und auf Flucht aus der Vergangenheit.“  „Momentaufnahmen“ nannte er seine Reportagen.[11] Zu mehr will er sich nicht vorwagen. Das, was um uns jederzeit geschieht, zerrinnt zu reinen Reflexen. Wir haben das Gefühl, das wir in einer alles umwälzenden Zeit leben. Für immer. Ruhelos. Eigentlich schon immer, oder?

Seltsam. Auf der einen Seite das Gefühl permanenter Veränderung, auf der anderen Seite den Eindruck kompletten Stillstandes.

Es herrscht „Jetztzeit“ sagten bereits im 19. Jahrhundert der Schweizer Historiker Jacob Burkhardt und der deutsche Philosoph Arthur Schopenhauer.[12] Wir sind immer nur „die Gegenwärtigen“, wie uns Friedrich Nietzsches Zarathustra nannte. Also sprach er: „Alle Zeiten schwätzen widereinander in euren Geistern: und aller Zeiten Träume und Geschwätz waren wirklicher noch, als euer Wachsein ist.“

Unser Bewusstsein – unser Wachsein – wird bedeutungslos angesichts eines alles verschlingenden Datenstroms, dem Nirwana der Algorithmen.

Der Schriftsteller Siegfried Lenz bemerkte 1989: „Wer neue Paradiese errichten will,  zunächst dafür sorgen muss, dass das menschliche Gedächtnis ausgelöscht wird.“[13] Im Paradies lebt man von Jetzt zu Jetzt. In jedem Augenblick. Ist dies die Verheißung des neuen Jahrtausends?

Dieses dritte Jahrtausend hatte längst begonnen, als wir es in der Neujahrsnacht 2000 mit einem Feuerwerk rund um den Globus begrüßten, wir haben es nur nicht so recht wahrgenommen. Das Jetzt ist uns immer einen Augenblick voraus, so sehr wir uns auch beeilen. Wir jagen ihm immer nur hinterher, möchten es einfangen, vor Gericht stellen, in Epochen zerteilen, hinter uns lassen. Ohne Spuren. Nur als dunkle, amorphe Daten.

Der deutsche Philosoph Rüdiger Safranski (*1945) hatte im Jahr 2000 einen seiner Kollegen im Blick, der das alles bereits vorhergesehen hatte: es war eben dieser Friedrich Nietzsche, der 100 Jahre zuvor, 1900, gestorben war. Nietzsche „sah das Zeitalter eines radikalen Individualismus heraufziehen“, in dem kaum einer noch  „Verantwortung für die Zukunft übernehmen“ wolle. „Die Individuen wollen nur noch für sich selbst und ‚den Augenblick‘ sorgen“, schreibt Safranski. Am Ende verkommen wir zu „Endverbrauchern“. [14] Da sind wir jetzt gelandet: am Ende, das ein ewiger Anfang ist. Es ist ein adamistisches Zeitalter. Allerdings ohne Apfelbaum. Ohne Erkenntnis. „Die Gegenwart verschlingt alle andere Zeit“, titelte 1999 die Tageszeitung ‚Die Welt‘. [15]Es gibt kein Happy End, auch wenn wir uns im Konsumrausch „happy“ zu geben versuchen. Es gibt nur Übergang, ewigen Übergang. Happiness – das ist das Beste, was uns der Augenblick liefern kann. Bald wird er uns nur noch das geben. „Don’t bogart that joint, my friend, pass it over to me.“ Das Endstadium eines Prozesses, der vor 250 Jahren so hoffnungsvoll begann.

So meinte einmal der Kultursoziologe Nicolaus Sombart (1923–2008), dass „unsere Gegenwart“, also unser Jetzt, nicht erst 1945 einsetzte, „sondern 1789, als époque de transition – als Krise.“[16] Sein Vater, Werner Sombart (1863-1941), ebenfalls Soziologe und zudem Volkswirt, befand: „Am liebsten möchte man die letzten 150 Jahre aus der deutschen Vergangenheit auslöschen und da wieder anfangen, wo wir 1750 standen.“[17] Das sagte er 1934. Stattdessen erwartete uns elf Jahre später, 1945, ein ganz anderer Nullpunkt. Wir mussten sehen, dass Vergangenheit und Zukunft vernichtet waren. Uns blieb nur die Gegenwart. Es herrscht vollends das Jetzt, der ewige Augenblick des Rationalismus, dem sich alles zu unterwerfen hat. Widerstand zwecklos.

Es ist ein langes Jetzt, in dem wir leben. Es ist ein Jetzt, in dem sich alles jederzeit ändert. Permanent. „Wir haben diesbezüglich keine Idee, was wir den Kindern in der Schule beibringen sollen. Denn wir wissen schlichtweg nicht, in welcher Welt wir in dreißig Jahren leben werden“, sagt der Historiker Yuval Harari. Unser Jetzt hat kein Ziel. Alles ist Prozess, alles ist Übergang, von uns zwar machtvoll initiiert und inszeniert, aber ohne Inhalt und ziemlich beliebig. Gerade wir Deutschen haben diese Ziellosigkeit in den letzten 150 Jahren immer wieder erfahren dürfen: „Wir sind gleichsam die ungewollten Weltmeister im Wechsel politischer Systeme und Ideologien“, meinte 1991 Bernd Rüthers, Rechtswissenschaftler an der Universität Konstanz.[18]

Selbst im Untergang erleben wir den Übergang. Aber keiner weiß wohin. Keiner fragt auch mehr danach. Zur Not haben wir ja immer noch den Klimawandel, der wird uns schon irgendwohin führen.

Die Fridays sind für die Future.Jetzt und immerdar.



8 Kommentare:

Analüst hat gesagt…

Noam begegnete mir seinerzeit im Informatik-Studiumm denn benannt nach ihm ist die Chomsky-Hierarchie. Gelegentlich wird sie Chomsky-Schützenberger-Hierarchie genannt nach dem Linguisten Noam Chomsky und dem Mathematiker Marcel Schützenberger. In der theoretischen Informatik benennt sie eine Hierarchie von Klassen formaler Grammatiken, die formale Sprachen erzeugen – und wurde 1956 erstmals von Noam Chomsky beschrieben. Die Hierarchiestufen unterscheiden sich darin, wie rigide die Einschränkungen für die Form zulässiger Produktionsregeln auf der jeweiligen Stufe sind; bei Typ-0-Grammatiken sind sie uneingeschränkt, bei höheren Stufen fortschreitend stärker beschränkt.

Die Backus-Naur-Form oder Backus-Normalform (kurz BNF) ist eine kompakte formale Metasprache zur Darstellung kontextfreier Grammatiken (Typ-2-Grammatiken in der Chomsky-Hierarchie). Hierzu zählt die Syntax gängiger höherer Programmiersprachen.

Anonym hat gesagt…

Leider fehlen die Fußnoten...

Raimund Vollmer hat gesagt…

Die Fußnoten fehlen mit Absicht, weil darin die meiste Arbeit steckt - und ich diese Quellen nicht einem "anonymen" Markt schenken will. Dahinter steckt mein ganzes "Kulturkapital".

Anonym hat gesagt…

Die Apokalypse ist schriftgewordene Ekstase.
Honoré de Balzac

Anonym hat gesagt…

"Und ist die Zeit gekommen, wo die Welt, um sich zu erneuern, sich vertilgt, da wird sich dies alles durch seine eigenen Kräfte zunichte machen; Gestirne werden gegen Gestirne prallen, und alles, was jetzt in bester Ordnung sein Licht ausstrahlt, wird bei dem allgemeinen Weltenbrande eine einzige Feuermasse bilden."
Lucius Annaeus Seneca (ca. 4 v. Chr. - 65 n. Chr.), genannt Seneca der Jüngere; römischer Philosoph, Stoiker, Schriftsteller, Naturforscher und Politiker; Selbsttötung auf Geheiß seines ehemaligen Schülers Nero

Anonym hat gesagt…

Fridays läuten das Wochenende ein

Raimund Vollmer hat gesagt…

Die Zukunft am Freitag ist stets Wochenende...
Work-Life-Balance-Weisheit

Analüst hat gesagt…

Krise ist ein produktiver Zustand. Man muss ihr nur den Beigeschmack der Katastrophe nehmen.
Max Frisch