Mittwoch, 17. Juli 2024

Gedankenexperimente aus tausend und einer Seite (Teil 63) (Staat ist Trump)

 

„Es gibt zwei Wege für den politischen Aufstieg: entweder man passt sich an, oder man legt sich quer.“

Konrad Adenauer (1876-1967), erster deutscher Bundeskanzler

 

Die Faust-Formel

Von Raimund Vollmer

Der Staat sieht uns gerne überall – nur nicht in der „Öffentlichkeit“. Sie ist sein ärgster  Feind, in den Demokratien ebenso geduldet wie gefürchtet, gilt sie als ein unberechenbarer Moloch, den man so gerne besiegen möchte, aber nicht besiegen darf. In den Autokratien ist sie, soweit nicht staatlich organisiert, schlichtweg verboten.

„Öffentlichkeit“, schrieb bereits vor Ewigkeiten der Schriftsteller Karl Krolow (1915–1999), „ist ein komplizierter Leviathan geworden, ein Ungeheuer, mit dem sich Experten mühsam abzugeben haben“.[1] Dieser andere, dieser unberechenbare Leviathan ist der letzte große Gegenspieler des Staates, den er nicht in den Griff bekommt. Trotz all der Helfer, der Qualitätsjournalisten, Medienwissenschaftler, Soziologen und Psychologen, die nicht merken, dass dieses „Monstrum“ sie längst verschlungen hat.

Sie haben sich selbst in der Öffentlichkeit verloren. Und auch Ex-Präsident Donald Trump weiß nun, dass die Öffentlichkeit ein tödlicher Ort ist, und die Öffentlichkeit weiß es auch. Aber zugleich ist die Öffentlichkeit der Ort, den er ganz besonders liebt. Hier ist er Trump. Hier kann er‘s sein.

Vielleicht ist dies im tiefsten Grunde sein Erfolgsgeheimnis, seine unausgesprochene Legende. Er steht da, ist jederzeit angreifbar, von dunklen Mächten umschlungen, jederzeit Todesgefahren ausgesetzt, nur von einem auserwählten Publikum geschützt, jederzeit einem Rechtssystem ausgeliefert, das ihn vernichten will.

Aber er, er reckt die Faust in alle Weltöffentlichkeit hinein. Er triumphiert. Er ist ein Held, kein Apparat. Er steht in der Öffentlichkeit – über Freund und Feind. Die Öffentlichkeit ist sein Freund, der Staat ist sein Feind, den es zu besiegen gilt, mehr noch zu beherrschen gilt. Darum muss er wieder Präsident werden,

Und so sagt er sich: Trump first.

Kann die Demokratie mit so einem fertig werden? Es wird Zeit, dass wir uns darüber Gedanken machen.

***

Dass die Demokratie als Regierungssystem vor allem vom wachsenden Wohlstand profitiere, wie lange angenommen wurde, scheint zudem immer weniger zu stimmen. „Die Union Gesellschaft-Staat-Wirtschaft ist auf Produktionszuwachs, Umverteilung, Soziale Sicherheit und Internationale Kooperation hin gebaut“, hielt  der Philosoph und Soziologe Arnold Gehlen (1904–1976) diese Entwicklung in den sechziger Jahren für „irreversibel“. Wir sind aufeinander angewiesen durch unsere Institutionen. Gehlen: „Es handelt sich um eine stationäre Subventionsordnung der Gesamtgesellschaft. Sie ist, so könnte man sagen, ein Äquivalent der alten Naturordnung.“

Jeder ist abhängig von jedem, „zur Anpassung zwingend“.[2] Warum kann es dann einen wie Trump geben? Könnte es soeinen auch in Deutschland geben, einen der uns die Höcke vollügt?

Geht’s der Wirtschaft gut, dann ist auch die Demokratie intakt – eine Beschwörungsformel im Rang eines Naturgesetzes, dem sich jeder Politiker unterwarf und das der Wirtschaft ungeahnte Macht zuschanzte. Doch der britische Historiker Niall Ferguson bemerkte 2008, dass ausgerechnet „jene Volkswirtschaften, die seit 2000 am schnellsten gewachsen sind, keine Demokratien“ gewesen seien. Und er nennt dabei vor allem China. Bitter. Eine florierende Wirtschaft braucht noch nicht einmal mehr Demokratie, sie braucht nur eine möglichst knallharte Regierung. Selbstbehauptung ist alles. Welch eine Verlockung für jede Bürokratie und Technokratie! 

Trump oder Biden? Wer reitet das System

 

Noch war Ferguson optimistisch und meinte: Was vielmehr zähle, so die Erkenntnis, seien Regeln, „die sich selbst verstärken. Je öfter sie angewendet werden, desto mehr werden sie respektiert“.[3]

Regeln haben wir mehr als genug. Und deren permanente Kommunikation kann perfekter kaum sein. Das ist eigentlich eine gute Botschaft, aber diese Regeln werden nicht mehr verstärkt durch Menschen, sondern durch Maschinen, durch Softwareprogramme, durch mobile Apps. Sie durchdröhnen vollautomatisch unser ganzes Leben. Im Bus. In der Bahn. Auf den Flughäfen. In den Geschäften. Überall ertönen Automatenstimmen, die uns – laut und deutlich – regelmäßig an unsere Maskenpflicht erinnerten. Es war die Stimme der Corona, Big Brother’s Sister. Es war unheimlich. Das war nicht Trump. Das war nicht menschlich. Das war Software.

Wenn man daran denkt, dass nichts so sehr auf Regeln basiert wie gerade Software, die in jedem Augenblick in milliardenfachem Echo ihre Befehle durch den Äther jagt, erleben wir längst die Diktatur des Programmiats. Nur hören wir es nicht. Wir nehmen sie – wenn überhaupt – nur unbewusst wahr.

Die Algorithmen verwandeln sich in subtile Instrumente, in die die ganze Staatskunst hineinprogrammiert werden kann. Aus Kunst wird der diskrete Befehl, dem sich alles zu unterwerfen hat. Das ist ein ebenso faszinierendes wie bestürzendes Angebot, das von der Technologie ausgeht, von der Wirtschaft und Wissenschaft – von der digitalen Transformation, der künstlichen Intelligenz und der Virtualisierung des Lebens. Die Zeichen für eine solche Entwicklung hatte der Philosoph Hans Jonas schon bald fünf Jahrzehnten deutlich erkannt. Er hatte dagegen sein „Prinzip Verantwortung“ gesetzt: „Primär ist Verantwortung von Menschen für Menschen“, erklärt er klipp und klar. Doch er sah auf seinem Radarschirm „die langfristige Umgestaltung der Lebensbedingungen durch die Technik zu einer typologischen Veränderung des Menschen, dieses plastischsten der Geschöpfe“. Er befürchtete, dass dieser Wandel kaum in die Richtung eines ethisch–utopischen Ideals gehen würde. Die „technologische Ordnung“, die uns in Schutz nimmt, die Gewere (also der Schutz der Dinge), würde demnach die Staatskunst, die der Munt (also dem Schutz des Menschen) dient, nach und nach verdrängen.[4]

Wir werden selbst zur Sache. Und das zerstört auf Dauer das „Prinzip Verantwortung“. Ein Typ wie Trump kann als Präsident machen, was er will. Er steht über den Dingen – und über uns. Und plötzlich wird er als das kleinere Übel angesehen. Einer wie Trump gaukelt uns vor, dass da noch einer ist, der etwas zu sagen hat.

Der Soziologe Ulrich Beck meinte 1996: „Verantwortung meint nicht Pflicht“, weil sie nicht auf „abrufbarer Gefolgschaft oder blinden Gehorsam aufsetzt“. In ihren Forderungen muss sie gut begründet sein, um ihre Wirkung zu entfalten. „Verantwortung ist das Gegenteil von Fanatismus“, sagt Beck, „entwickelt aber eine eigene Ansteckungskraft. Denn sie beruht auf Freiwilligkeit, und Freiwilligkeit kann – jedenfalls in Kulturen des eigenen Lebens – durchaus mehr Überzeugungs– und Bindungskraft entwickeln als erzwungene, von oben gesetzte Vorgaben.“[5]

Dann kam Corona, der Weltbrandbeschleuniger des 21. Jahrhunderts. Das Virus, das uns mit seiner Rationalität in den Konflikt von „blinder Gefolgschaft“ oder „Freiwilligkeit“ trieb – ausgerechnet durch von oben gesetzte Vorgaben.  

Es war cverrückt: Es bot die einmalige Chance, einerseits der guten, alten Staatskunst noch einmal zu altem Glanz zu verhelfen, also uns zu schützen, andererseits uns einen möglichen Nachfolger zu präsentieren, dessen Amtszeit unkündbar sein würde – wie die eines Monarchen. Dessen Nachfolge basiert dann nicht auf Vererbung, sondern auf Updates. So wie der Weltbrand von 1914 das Kaiserreich von der Republik trennte, so trennte nun das Virus die Demokratie von der Digitaldiktatur. Eine schaurige Vorstellung, die eigentlich nur an einem scheitern kann: an der Technik selbst, an ihrer Hybris, an ihrer Selbstüberschätzung – gegen die das Ego eines Trumps Bexcheidenheit symbolisiert.

So nähern wir uns allmählich dem Höhepunkt einer Verschwörungstheorie, die zu nennen verboten ist, weil dieses Verbot ihr allergrößtes Geheimnis ist.

***

Keiner schien in Deutschland - zumindest für eine Weile - die Zeichen der Zeit so gut verstanden zu haben wie der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (*1967). Er wurde der Mann der Stunde, der beherzt und vorauseilend zeigte, dass auch nach dem Ende der Ära Merkel menschliche Staatskunst möglich sein werde – eben als Verantwortung von Menschen für Menschen. So wurde seine Botschaft empfangen, die zudem aus einem Bundesland kam, dessen Image seit den Zeiten eines Franz-Josef Strauß verbunden war mit hoch aufgerüsteter, technologischer Führerschaft. Regression und Progression – das eine herrschaftlich, das andere technisch. Es gab keine bessere Paarung.

Munt und Gewere.

Söder zeigte, wer der Hausherr war. Er war der „Corana–Chef“, meinte der ‚Economist‘.[6] Der Ministerpräsident stand wie kein anderer archetypisch für die altdeutsche „Munt“. Sie war die im germanischen Recht verankerte „Gewalt des Hausherrn über die in der Hausgemeinschaft lebenden, von ihm zu schützenden Personen“, sagt uns der ‚Duden‘. Die andere Gewalt, die „Gewere“, erweiterte das Herrschaftsrecht auf die Sachwelt, auf die Technologie. Wer also „Munt und Gewere“ beherrscht, der ist auf dem Weg zum „Staatsmann“ (Jonas), auf dem Weg zur Staatskunst.

Heute wissen wir, dass es die Staatskunst nicht mehr gibt, auch niemanden, der sich auf dem Weg dahin befindet. Und das macht uns ratlos.

Munt und Gewere müssen ausgeglichen sein. In Wirklichkeit sind sie außer Rand und Band – vor allem dort, wo sie Typen anvertraut wurden, denen die Menschen und Dinge, die ihnen anvertraut wurden, völlig egal sind.

Seltsamerweise sind es die drei Supermächte USA, China und Russland, die uns darauf aufmerksam machen. Vielleicht sind solche Typen wie Trump noch das kleinste aller Übel, einer, der seine Faust reckt. In aller Öffentlichkeit. Als Opfer, nicht als Täter.

Irgendwie bedrückend, Mister President. 


12 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Ist Trump das kleinere Übel als die Autokraten in Russland und China?
Da wäre ich mir nicht so sicher.
Trump ist egoistisch, spontan, erratisch, also unberechenbar.
Trump sitzt uns im Nacken und bestimmt unsere westliche Hausordnung mit.
Die beiden anderen sind berechenbar und jwd.

Anonym hat gesagt…

Mit Trump kann man auskommen.
Man muss es so machen wie seinerzeit der namensamerikanisierte Siemenschef in Davos oder der künftige US Vize - und dann auf Schleimspur bleiben. Dann überlebt man eine Präsidentschaft.

Analüst hat gesagt…

Kleiner Denkfehler: Wir sind die Öffentlichkeit!

Raimund Vollmer hat gesagt…

... aber wir zeigen uns nicht in der Öffentlichkeit. Großer Denkfehler... ;-)

Analüst hat gesagt…

Internet = Öffentlichkeit ????

Anonym hat gesagt…

Wo so ein Köpfchen keinen Ausgang sieht, stellt es sich gleich das Ende vor.
Mephistofeles

Anonym hat gesagt…

Das System rettet das System – Trump UND Biden sind nur seine Marionetten

Besserwisser hat gesagt…

Die Botschaft hör´ ich wohl, allein mir fehlt der Glaube.
Faust - ohne Formel

Anonym hat gesagt…

"Mir wird von alledem so dumm,
Als ging, mir ein Mühlrad im Kopf herum."
Schüler des Mephistofeles

Anonym hat gesagt…

Was Trump höchstwahr-scheinlich machen wird, steht im "Project 2025" der Heritage Foundation.

Besserwisser hat gesagt…

Was Trump höchst wahrscheinlich machen wird, weiß er selber noch nicht. Er ist halt wie er ist - spontan und erratisch. Unberechenbar...

Anonym hat gesagt…

...und weil er uns nicht kennt , können wir ihm unsere Hilfe nicht anbieten.