Als es bei der Drei-Mächte-Konferenz auf Jalta zwischen dem 4. und 11. Februar 1945um die Aufteilung Deutschlands ging...
»Was ist des Deutschen Vaterland? Ist's Preußenland, ist's Schwabenland?«
Ernst–Moritz Arndt, 1813, deutscher Schriftsteller
Die Konferenz der Großmächte
Von Raimund Vollmer
Als unser Jahrtausend sich im 18. Jahrhundert entfaltete, hätte man die Frage, was des Deutschen Vaterlandes sei, mit dem Begriff „Kulturnation“ beantwortet, die sich in der gemeinsamen Sprache über alle Grenzen hinweg äußerte. Man dachte liberal, aber nicht nationalliberal. Niemand wäre Ende des 18. Jahrhunderts auf den Gedanken gekommen, dabei an einen Bundesstaat zu denken – wie er sich dann, ein Jahrhundert später, herausgebildet hat, meint der Bamberger Kommunikationswissenschaftler Rudolf Stöber.[1] Und so etwas wie das Dritte Reich hat sich niemand vorstellen können. Als dann mit dem Ende des 2. Weltkrieges die ganzen Grausamkeiten des Nationalsozialismus sichtbar wurden, war von dieser Kultur im Ansehen der Welt nichts mehr übrig geblieben. Was den Deutschen blieb, war nur noch die Sprache.
Wie sollte ein solches, völlig zerrüttetes und demoralisiertes Land ein Bollwerk gegen die sich immer drohender aufblähende Sowjetmacht darstellen?
Diese Sorge hatte schon in der Endphase des Krieges den britischen Premierminister Winston Churchill umgetrieben. Deshalb wollte er unbedingt, dass Frankreich als vierte Besatzungsmacht in Deutschland auftreten solle. Dass er mit dieser Überlegung beim damaligen Chef der provisorischen Regierung in Frankreich, beim späteren Präsidenten Charles De Gaulle, auf Wohlgefallen stoßen würde, war klar. Denn dieser hatte – wie wohl auch Churchill – keinen größeren Wunsch, als sein Land zu alter Bedeutung zurückzuführen. Der Historiker Gerhard L. Weinberg meint, dass beide eher Staatsmänner des 19. Jahrhunderts gewesen seien, die vergangenen Imperien nachtrauerten.[2] Als Besatzungsmacht wäre De Gaulle sogar in der Lage, den Erzfeind und Erzrivalen Deutschland ein- für allemal als Ganzes von der politischen Landkarte verschwinden zu lassen.
Genau das waren nach Recherchen des Historikers Walter Lipgens die Gedanken des Franzosen. Das Ruhrgebiet wollte er unter internationale Aufsicht stellen – mit dem Ziel, dass die Erlöse aus dem Verkauf von Kohle und Stahl vor allem Frankreich zukommen sollten. Der Rhein würde die Grenze zu einem zerstückelten Land sein, das im Westen so amputiert wäre wie im Osten.
Damit stand De Gaulle im Gegensatz zu ganz anderen Überlegungen aus dem französischen „Widerstand“. Die nichtkommunistische „Resistance“ glaubte nicht erst mit dem Einmarsch der Deutschen 1940, dass der Nationalstaat als solcher sich überlebt hatte und zu klein sei, um die wirtschaftlichen Probleme der Zeit zu lösen. Er konnte ja noch nicht einmal dem einzelnen Bürger Sicherheit bieten. So träumte der Widerstand von einer internationalen Gemeinschaft, wie sie sich dann über Montanuion, EWG, EG und EU mitsamt einer gemeinsamen Währung durch die Jahrzehnte mendelte. Aber diese Union ist noch längst nicht dort, wo sie dereinst diese Franzosen sahen. Ja, anfangs war es sogar so, dass die Außenpolitik De Gaulles, der sich mit seiner provisorischen Regierung innerhalb Frankreichs machtpolitisch durchsetzte, diesen „Anpassungsprozess“ verzögerte, wie der Historiker Walter Lipgens nachweist. Was aber wäre gewesen, wenn es De Gaulle nicht gegeben hätte? Wäre Frankreich überhaupt Besatzungsmacht geworden?
Das hing Anfang 1945 allein von den drei Großen ab: Von Winston Churchill, Theodore Roosevelt und Josef Stalin. „De Gaulle hat man kaum zur Kenntnis genommen und zu Beginn gar nicht bei den Konferenzen zugelassen“, bemerkte 1992 der aus Breslau stammende amerikanische Historiker und Publizist Walter Laqueur.[3]
Im Februar 1945 trafen sich jedenfalls die drei mächtigsten Männer der Welt auf der Krim, in Jalta – ohne De Gaulle. „Roosevelt war ein todkranker Mann, er hat nicht an die Zukunft gedacht“, meint Laqueur, „das konnte man von Churchill nicht sagen“. In der Tat – der britische Premierminister hatte längst erkannt, dass er in Europa gegenüber der Sowjetunion ziemlich allein dastand. Laqueur: „Stalin wusste, was er wollte, nämlich die Grenzen des Sowjetimperiums so weit wie möglich nach Westen vorschieben.“ [4]
So überzeugte Churchill den US-Präsidenten davon, dass er De Gaulle dringend brauche, um den Russen Paroli bieten zu können. Die USA, die ja immerhin mit fünf Millionen Menschen im 2. Weltkrieg engagiert waren, wollten sich ursprünglich nach zwei Jahren aus Europa wieder zurückziehen – und Großbritannien wäre dann ganz allein auf weiter Flur gewesen. Ohne Unterstützung vor Ort.
Das war es wohl, was Roosevelt dazu bewegte, sich gleichsam unter vier Augen mit dem Kremlführer zu treffen. Stalin war alles andere als begeistert. Er meinte: „De Gaulle scheint die Lage nicht zu erfassen, noch scheint er zu begreifen, dass Frankreichs Beitrag zu den militärischen Operationen sehr gering ist und dass es außerdem im Jahr 1940 überhaupt nicht gekämpft hat.“[5] Aus welchem Grunde solle er, Stalin, denn Frankreich als Besatzungsmacht akzeptieren? So fragte er Roosevelt. „Aus Freundlichkeit“, antwortete ihm der US–Präsident. Stalin hatte ihm dann zugestimmt mit den Worten, dass „Freundlichkeit“ aber auch das einzige Argument sei, dass er akzeptiere.
So wurde Frankreich in den Kreis der Besatzungsmächte aufgenommen, marschierte ein und gehörte fortan zu den „Alliierten“.
Die USA hatten derweil mit Truman ihren neuen Präsidenten bekommen. Und der neue Mann in Washington hatte ganz andere Pläne. Er wollte zwar, dass nie wieder ein „hypertropher Einheitsstaat“ entstehen dürfe, wie der Historiker Ernst Deuerlein das Nazi–Regime einmal genannt hatte. Aber an einer Zersplitterung war er auch nicht interessiert.[6]
Obwohl Truman außenpolitisch kaum Erfahrung hatte, ahnte er, dass fortan nicht Deutschland das Problem sein werde, sondern die Sowjetunion. Am 12. März 1947 präsentierte er vor dem Kongress die nach ihm benannte Doktrin, der zufolge die Vereinigten Staaten allen Völkern beistehen werden, die einer bewaffneten Unterwerfung ausgesetzt sind. Anlass für diese Doktrin war Griechenland, das drohte in den Ostblock hineingezogen zu werden. 400 Millionen Dollar verlangte Truman zur Unterstützung Griechenlands und der Türkei. Bei alledem dachte der Präsident nicht an ein militärisches Eingreifen, die Doktrin besaß „keine militärische Komponente“, wie es der Journalist Herbert Kremp formulierte.[7]
Diese Maßnahmen, mehr noch aber die gescheiterten Konferenzen im März und April 1947, zu denen die Außenminister der vier Großmächte in Moskau zusammengekommen waren, führten zum Ende des Kriegsbündnisses mit der Sowjetunion. Die Anti-Hitler-Kooperation war geplatzt. Wie aber sollte man auf Dauer gegen Stalin, der gerade noch der Verbündete gewesen war, bestehen?
Jetzt musste die mächtigste aller Waffen ran: Geld, viel Geld. Es sollte fortan alle Probleme lösen, bis es selbst zum Problem wurde. Aber da sind wir bereits im 21. Jahrhundert.
Nachtragender Nachtrag: Adenauer habe – so beharrt der Historiker Henning Köhler – bereits nach dem Ersten Weltkrieg und nach dem Zweiten einen „Rheinstaat“ aus Deutschland machen wollen. Aber auch er gibt zu: „Mit Separatismus hat das nichts zu tun.“ Es war – in höchster Not und Hoffnungslosigkeit – der Weisheit letzter Schluss.[8] Noch Jahre später, als die Wiedervereinigung die Namensgebung von Straßen und Plätzen in den ostdeutschen Städten die Gemeinderäte bewegte, weigerte sich zum Beispiel Rostock einem Platz den Namen Konrad Adenauers zu geben.[9]
[1] Die Welt, 26. September 1998, Rudolf Stöber: "Nationalliberalismus? Liberalnationalismus"
[2] Frankfurter Allgemeine Zeitung, 19. Mai 1995, Klaus Schwabe: "Weltsicht auf den Weltkrieg", danach zitiert
[3] Frankfurter Allgemeinde Magazin, 21. August 1992, Michael Freitag: "Warum muss Europa stärker werden, Professor Laqueur?"
[4] Frankfurter Allgemeinde Magazin, 21. August 1992, Michael Freitag: "Warum muss Europa stärker werden, Professor Laqueur?"
[5] Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte, Heft 1 1973, Walter Lipgens: "Etappen der Außenpolitik De Gaulles"
[6] Die Zeit, 22. Seotember 1972, Ernst Deuerlein: "Brauchen wir noch den Bundesstaat?"
[7] Die Welt, 8. März 1997, Herbert Kremp: "Aus dem Tal der Depression"
[8] Die Welt, 5. November 1994, Hans-Peter Schwarz: "Unter Augsteins Patronat Frieden mit Adenauer" (Buchbesprechung von Henning Köhler: Adenauer, Berlin 1994, danach zitiert)
[9] Frankfurter Allgemeine Zeiotung, 17. Dezember 1991, Johannes Leithäuser: "Kein Platz in Rostock für den Alten"
10 Kommentare:
Immer dieselbe Geschichte
"War die int Jeschichtsbuch nu schreim",
Sagt Emil, "da fint ick keen Reim.
Mir stört doch in etwa,
Det det janich det wa.
Nu, nacha, da sarenses eim !
Ernst Fabian
Neue Limmericks
Jedes Land ist ein Vaterland.
Aus China
"Große Künstler haben kein Vaterland."
Alfred de Musset (1810 - 1857), französischer Dichter, Novellist und Dramatiker, Verfasser nihilistischer und frivoler Werke
… unsre teure Amme, das Vaterland.
William Shakespeare
Da, wo wir lieben,
Ist Vaterland.
Johann Wolfgang von Goethe
Mein janzet Leben hab ick mir nach Heimat jesehnt.
Und nu.....hab ick mir Heimat abjewöhnt.
Armin Müller-Stahl
.....Es geht uns darum, dass die vielen Einzelnen ihre Heimat in dem Staat finden, den eine schmale Schicht von Mächtigen früher und lange wie ihren Besitz behandelt hat. Wir wollen den Staat zum Besitz aller machen...
Regierungserklärung des 2. Kabinetts Brandt/Scheel 18. Januar 1973
Ich möchte was darum geben, genau zu wissen, für wen eigentlich die Taten getan worden sind, von denen man öffentlich sagt, sie wären für das Vaterland getan worden.
G.C. Lichtenberg
Kritik des Lebens
Stuttgart 1948
Wenn auch meine Philosophie nicht hinreicht, etwas Neues auszufinden, so hat sie doch Herz genug, das längst Geglaubte für unausgemachtzu halten.
G.C. Lichtenberg
Ebenda
„Die heißesten Plätze in der Hölle sind für jene reserviert, die auf Erden zu allem zustimmend genickt haben.
Dante Alighieri
Und: „Es gibt keinen größeren Schmerz, als sich in Zeiten des Elends an das Glück zu erinnern."
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