Dienstag, 4. November 2008

Wall Street Journal: Computermodelle tragen Mitschuld an Niedergang von AIG

Was wir an dieser Stelle bereits behauptet haben, dass die Finanzkrise letzten Ende doch aus dem Computer kam, wurde jetzt durch einen Hintergundbericht des Wall Street Journals (Seite 1) bestätigt. In einer Analyse des Niedergangs der amerikanischen Versicherungsgesellschaft American International Group (AIG) identifizierten die Journalisten Carrick Mollenkamp, Serena Ng, Liam Pleven und Randall Smith fehlerhafte Computermodelle als Mitursache für die Milliardenverluste. "Verteufelt kompliziert" konstruierte Deals im Wert von mehr als 400 Milliarden Dollar sind von Computermodellen taxiert und durch Credit Default Swaps abgesichert worden. Es sind Modelle, die Gary Gorton, Finanzgelehrter an der renommierten Yale School of Management, entwickelt und berechnet hat.
Allerdings berechneten diese Modelle nicht den Umschlag dieser als gesichert dargestellte Swaps in Verpflichtungen für das Versicherungsunternehmen. Diese Risiken hatte man gar nicht von Gary Gorton berechnen lassen, weil AIG sie gar nicht gesehen hat - und sorglos mit ihren Geschäftspartnern Verträge schloss, die dennoch den unwahrscheinlichen Fall eines Ausfalls berücksichtigten.
Prompt traten dieser Verpflichtungen ein - und AIG musste schließlich Staatshilfe im bis dahin unvorstellbaren Ausmaß in Anspruch nehmen. Da nicht nur AIG sich auf ihre Computer verließ, fragt sich nun das Wall Street Journal: "Vertrauten diese Firmen zu sehr ihren Computern, um noch die tatsächlichen Risiken zu erkennen?"
Die Verstoßung aus dem Paradies
Derweil trafen sich an der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen Finanzexperten aus Deutschland, um in der Nürtinger Stadthalle die Entwicklung "Von der Finanzkrise zur Subprime-Krise" zu diskutieren. So lautet auch der Name eines Buches von Michael Bloss, Dietmar Ernst und Jochen Häcker. Zwei der Wissenschaftler nutzen die mit rund 500 Studenten und Gästen gefüllte Stadthalle, um ihr bereits vor Erscheinenen ausverkauftes Buch vorzustellen. Auf die Frage, ob es wirklich gut gewesen sei, Lehman Brothers in den Gläubigerschutz fallen zu lassen und nicht mit Staatsgeldern zu stützen, bezeichnete der hin und lavierende Häcker dies schließlich als einen "Sündenfall". In der Tat, wenn dies ein Sündenfall war und damit eine Assoziaition zur biblischen Geschichte aufgebaut werden soll, dann müssen die Banker vorher in einem Paradies gelebt haben, aus dem sie nun verstoßen worden sind.
Dass genau dies passiert ist, wollten die Podiumsteilnehmer in ganzer Tragweite noch nicht wahrhaben. Jeder Mittelständler muss sich permanent eine Welt vorstellen können, in der es ihn nicht mehr gibt - in der ihn der Wettbewerb ausgestoßen hat. Banken lebten in der Illusion, dass es sie immer und ewig geben würde. Der Fall Lehman ist deshalb ein Schock, den sie in Wirklichkeit noch nicht verdaut haben. Und irgendwie hat man das Gefühl, dass sie nun, wo es keinen Weg mehr zurück ins Paradies gibt, der Staat nun als Ersatz für den Verlust herhalten muss. Wann - so fragt man sich - werden unsere Banken erwachsen? Wann dringt überhaupt die Nachricht zu ihnen durch, dass sie erwachsen werden müssen?
Momentan - so scheint es - genießen sie die große Aufmerksamkeit, die ihnen die Finanzkrise beschert hat. Aber die Realwirtschaft - so machte diese Diskussion deutlich - ist in der Finanzwirtschaft noch lange nicht angekommen.

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