Sonntag, 12. Januar 2020

1973: IBM und die Schummelsoftware

Gefunden in der Financial Times: 1970 war der Mensch noch der "Virtuose" an der Maschine, 1973 dann der "Virtuelle Speicher". Quelle: Journalyse-Archiv RV

Februar 1973: Nun hatten auch IBMs Mainframes einen virtuellen Speicher, gekennzeichnet mit der Schlusszahl "8". Der kommerzielle Top-of-the-line-Rechner IBM /370-165 wurde ersetzt durch IBM /370-168. So ging es die Leiter herunter, allerdings gab es keine 118 und keine 128. Genau 16 Megabyte umfasste der virtuelle Speicher, der - umgesetzt in Realspeicher - 16 Millionen Dollar gekostet hätte. Da war der virtuelle Speicher, bei dem softwaretechnisch die Platten so behandelt wurden, als seien sie Halbleiterspeicher, weitaus günstiger.

Nun: IBM strahlte, die Kunden auch - und die Mitbewerber schauten dumm aus der Wäsche. Nicht etwa deshalb, weil sie ein solches Wunderwerk nicht besaßen, sondern im Gegenteil: die Idee hatten sie schon in unterschiedlichen Varianten seit 15 Jahren implementiert. Spätestens seit 1967 hatte das Multics-Kombinat von General Electric/Honeywell  solch ein System im Programm, IBM hatte etwas Vergleichbares als Sondersystem, als /360-67 in seinem Verkaufshandbuch. Aber niemand war offenbar bis 1973 auf die geniale Idee gekommen, dies als Virtuellen Speicher zu vermarkten. Dachte jedermann. Irrtum: RCA hatte schon 1970 diesen Begriff ins Spiel gebracht.

Wann das also alles seinen Anfang nahm, ist ungewiss. Jedenfalls in meinem Archiv. Aber ich habe ja meine Freunde, die sicherlich alles richtig stellen.

Übrigens: die Geschichte bestätigt meinen tiefsitzenden Verdacht, dass Software ohnehin nur ein reines Täuschungsinstrument ist. Denn hier täuscht sie bis heute dem Rechner vor, dass er ein riesigen Hauptspeicher besäße. Irgendwie fast schon eine Art Selbstbetrug - eine Schummelsoftware. Insofern sollte man den VW- und Bosch-Ingenieuren Abbitte tun. Das Täuschen ist ja der Software "system-immanent"...
Raimund Vollmer

4 Kommentare:

Besserwisser hat gesagt…

Unterliegen wir nicht alle der Täuschung – und sei sie auch nur von Software erzeugt!

Wittgenstein über die Gewißheit: „Ich sitze mit einem Philosophen im Garten; er sagt zum wiederholten Male: ‚Ich weiß, dass das ein Baum ist‘, wobei er auf einen Baum in der Nähe zeigt. Ein Dritter kommt daher und hört das, und ich sage ihm: ‚Dieser Mensch ist nicht verrückt: Wir philosophieren nur.‘“

Und: „Es käme mir lächerlich vor, die Existenz Napoleons bezweifeln zu wollen; aber wenn Einer die Existenz der Erde vor 150 Jahren bezweifelte, wäre ich vielleicht eher bereit aufzuhorchen, denn nun bezweifelt er unser gesamtes System der Evidenz. Es kommt mir vor, als sei das System sicherer als eine Sicherheit in ihm.“

Anonym hat gesagt…

Software macht das, was der Koch aus einem Rezept macht: Etwas Schmackhaftes für die User :-)))))

Software macht (in der Regel) das Leben leichter. In der Ausnahme (Programmierfehler, Hardware-Störung) natürlich nicht.

Nicht die Software schummelt, sie macht nur was sie soll. Es schummelt ihr Programmierer oder dessen Auftraggeber.
Insofern liegt ein Riesenunterschied zwischen VW und IBM. In beiden Fällen tat zwar die Software genau das, was sie tun sollte.

Im Fall IBM wusste der Kunde das – es wurde ja schon im Namen der Software deutlich.
Im Fall VW wusste der Kunde das nicht. Und ob es unsere Verkehrsminister wussten, ist eine interessante Frage...

Anonym hat gesagt…

PS: Schummeln ist übrigens ein Euphemismus. Ich spreche hier von Betrug. Ein eiskaltes Verbrechen.

Raimund Vollmer hat gesagt…

Liebe Co-Kommentatoren, wunderbar! Danke für Eure Ergänzungen. Wittgenstein ist ja der, der alles zu Fall brachte. Und wir alle tappen in die Softwarefalle, die eben uns vorgaukelt, Tat und Täter (Autor) zu sein. Und wenn man sich dann gedanklich darauf einlässt, könnte man fast verrückt werden. Nochmals Danke. Euer verrückter Raimund.