Rambouillet 1975 |
1971: »Der Dollar ist unsere Währung, aber euer Problem.«
John Connally (1917–1993), Finanzminister in der Nixon–Regierung
Der Nixon–Schock
Rambouillet, Samstag, 15. November 1975. Im Schloss der kleinen Stadt, 50 Kilometer von Paris entfernt, trafen sich die Regierungschefs aus sechs Ländern zum ersten Weltwirtschaftsgipfel der Zeitgeschichte. Jede Delegation bestand nur aus drei Personen. So war's vereinbart. Alle Gespräche fanden „in einem einzigen Raum im Erdgeschoss des Schlosses statt“, erinnert sich Frankreichs damaliger Präsident Valéry Giscard d'Estaing an dieses Treffen, das er gemeinsam mit seinem neuen Freund, mit Bundeskanzler Helmut Schmidt initiiert hatte. „Um der Spontaneität und Offenheit unserer Gespräche willen hatten wir uns darauf geeinigt, bürokratische Hemmnisse auszuschalten.“[1]
Es ging um wichtige Themen. Die Welt war in Unordnung geraten. Die Chefs der sechs größten Industrienationen der freien Welt wollten mit diesem „Kamingespräch“, wie der Gipfel noch in aller Bescheidenheit genannt wurde, ein Zeichen setzen. Neben den beiden Initiatoren waren dabei Aldo Moro (Italien), Gerald Ford (USA), Takeo Miki (Japan) und Harold Wilson (Großbritannien). Sie alle nahmen mit jeweils zwei Beratern Platz an dem zehn Meter langen Konferenztisch.
Die Chefs hatten einiges zu besprechen: Die Ölkrise hatte die Weltwirtschaft 1973 in Angst und Schrecken versetzt. Hier gab es einen intensiven Gedankenaustausch, wenngleich die Presse sich über das Treffen eher geringschätzig äußerte. War das nichts anderes als ein „wirtschaftspolitisches Einführungsseminar der Finanzminister für naive Regierungschefs?“, fragte sich die 'FAZ'. „Banalitäten von Rambouillet“, nannte der britische 'Guardian' das 15–Punkte–Programm, das die Herren als Schlussdokument vorlegten. Für die 'New York Times' war es ein „Non–Event“, ein Nichtereignis.[2] Und doch war es so wichtig, dass der außenpolitische Berater des US–Präsidenten, Henry Kissinger, vorschlug, diesen Gipfel fortan jedes Jahr zu wiederholen. Der deutsche Kanzler fand das etwas übertrieben, aber verhindern konnte er es auch nicht mehr. Die Gipfel wurden mit den Jahren vielleicht nicht inhaltsreicher, aber immer pompöser. Und je mehr Polit-Prominenz der ersten, zweiten und dritten Reihe zu den Gipfeln kam, desto mehr drehte er sich um sich selbst.
An diesem Wochenende im November 1975 hatten die Herren vielleicht nichts zu entscheiden, dafür umso mehr zu besprechen. Vor allem war da ein Thema, das die Herren ganz besonders bewegte: das Chaos an den Devisenbörsen. Angerichtet hatte es ein Mann, der wegen einer ganz anderen Affäre ein Jahr zuvor, 1974, aus dem Amt gejagt worden war. Er war der mächtigste Mann der Welt gewesen und hatte vier Jahre zuvor eine Entscheidung getroffen, die er in all ihren Konsequenzen ganz bestimmt nicht überblickt hatte.
Washington, Sonntag, 15. August 1971. Die Überraschung war total, trumptotal. In einer Fernsehansprache verkündete der amerikanische Präsident Richard Milhous Nixon (1913–1994), dass er das auf festen Wechselkursen basierende System von Bretton-Woods aufkündigen werde. Kein Gold mehr gegen Dollar.
Ein Befehl ging um die Welt. Zur Prime-Time. Politik statt Ponderosa. Nixon statt Cartwright. Dollar statt Bonanza.
War dies der Befehl eines Verrückten, eines „Madman“?
Schon im Vietnam–Krieg hatte Nixon 1969 die Rolle des Hazardeurs gespielt, der den Gegner total verwirren und ihn durch geschickt inszenierte Unberechenbarkeit unter massiven Druck setzen wollte. Alles bei ihm war auf Außenwirkung ausgerichtet. So hatte er den Krieg in Südostasien um sechs Monate verlängert, nur damit er mit Blick auf seine Wiederwahl 1972 in seinem Land das Image des „Falken“ stärken konnte.[3] Seinen Außenminister Henry Kissinger hatte er einmal gebeten, den sowjetischen Botschafter Anatoly Dobrin anzurufen und ihm mitzuteilen, dass er, Kissinger, glaube, dass Nixon nun den Verstand komplett verloren habe und Nixon gar mit dem Gedanken spiele in Vietnam „sehr ernste Waffensysteme“, also die Atombombe, einzusetzen. Bei der Generalprobe dieses Telefonanrufs, das ihm der Präsident Wort für Wort vorgegeben hatte, soll Nixon sich köstlich amüsiert haben.[4]
Dass alle Telefone im Weißen Haus abgehört wurden, auch sein eigenes, belegt nur, was dieser mächtigste Mann der Welt war: ein „Kontroll-Freak“ ('Die Welt').[5] Ja, dieser paranoide Nixon war das willkommene Opfer für Satire. Der Schriftsteller Philip Roth publizierte 1971 das Buch „Our Gang“, in dem der Mann im Weißen Haus als „moralisch bornierter, rhetorisch banaler US-Präsident Trick E. Dixon verspottet“ ('Der Spiegel') wurde. Jede Menge Karikaturen und Dokumentationen rüttelten kräftig an seinem Image. Bei den Bündnispartnern war er „ein zunehmend schwieriger Partner geworden“, warnte 1971 das Blatt. Er galt als unberechenbar.[6] Bereits nach dessen Wahl am 5. November 1968 hatte das Magazin über Amerika und dessen neuen Präsidenten geunkt: „Vielleicht kann es einen Nixon gerade noch verkraften.“[7]
Konnte es eher nicht.
Denn Nixons Paranoia sollte ihm schließlich im „Watergate–Skandal“ zum Verhängnis werden – mit bitteren Folgen. Drei Jahre nach seiner Fernsehrede, am 8. August 1974, trat Richard Nixon, 37. Präsident der der Vereinigten Staaten, als erster und bislang einziger Präsident von seinem Amt zurück. Er hatte seine Kreditlinie an Lügen und Täuschungen, die ihm als mächtigster Mann der Welt durchaus eingeräumt worden war, hoffnungslos überzogen.
Vor allem fehlte ihm in der „Watergate–Affäre“ ein Argument, das er sonst bei jeder Gelegenheit als Rechtfertigung für „dirty tricks“ ins Felde führte: die „nationale Sicherheit“. Wenn zu oft und zu Unrecht benutzt, lässt dies auf einen „deutlich faschistischen Charakter“ schließen, analysierte bereits 1976 der amerikanische Journalist J. Anthony Lukas (1933–1997) in seinem Buch „Nightmare: The Underside of the Nixon Years“.[8] Nun – inzwischen haben wir die „Trump Years“ hinter uns oder wieder vor uns und sammeln fleißig weitere Erfahrungen zum Thema „nationale Sicherheit“... Auch bei uns. Denn der Staat muss sich vor uns schützen.
Nixon selbst war davon überzeugt, dass sich die „USA immer dann von ihrer besten Seite zeigten, wenn sie mit Aggressionen oder anderen bedeutenden internationalen Herausforderungen konfrontiert waren“. So heißt es in seinem im Todesjahr veröffentlichen Buch „Beyond Peace“. Hier hält er es – mit Blick auf die USA – mit dem französischen Präsidenten Charles de Gaulle (1890–1970), der einmal über sein Land gesagt hatte: „Frankreich ist nur dann bei sich selbst, wenn es sich für eine große Sache engagiert.“[9]
Eine solche große Sache hatte Nixon mit der Aufkündigung der Goldbindung auf den Weg gebracht. Aus einer Schwäche heraus. Denn er hatte – so schien es jedenfalls – die Kontrolle über die wichtigste Waffe aufgegeben. Und doch sollte es für ihn das werden, was er später als „eines der besten Dinge, das aus dem gesamten Wirtschaftsprogramm herauskam“ bezeichnen sollte. So erinnert er sich 1990 in seinen Memoiren.[10] Es hatte sich gezeigt, dass die USA fortan „das einzige Land waren, das globale wirtschaftliche, militärische und politische Macht“ besaß.[11]
Obwohl die USA beim Übergang in die siebziger Jahre alles andere als strahlende Helden waren, sollten sie sich mit diesem Coup wieder in den Mittelpunkt des Geschehens rücken. Der Dollar spielte auch weiterhin auf dem größten aller Bühnenplätze die mit Abstand wichtigste Rolle: auf dem Devisenmarkt, dem liquidesten Markt der Welt?[12] Aber war das nicht eine Währung außer Rand und Band, in einem Land, das kaum in einem besseren Zustand war?
Es war ein Schock. Es war der „Nixon–Schock“. Und der saß tief. Knall auf Fall. Ein goldenes Zeitalter stürzte in sich zusammen.
9 Kommentare:
Alles hat heutzutage seinen Gipfel erreicht, aber die Kunst, sich geltend zu machen, den höchsten. Mehr gehört jetzt zu einem Weisen, als in alten Zeiten zu sieben, und mehr ist erfordert, um in diesen Zeiten mit einem einzigen Menschen fertig zu werden, als im vorigen mit einem ganzen Volke.
Baltasar Gracián
Handorakel und Kunst der Weltklugheit
Aus dem Spanischen von Arthur Schopenhauer
„Narren sind Alle, die es scheinen, und die Hälfte derer, die es nicht scheinen.“
Ebender Gracian
„Erfolg ist kein Hafen, sondern eine gefährliche Fahrt in unbekannte Gewässer.“
Ebender Nixon
Für den, der Unrecht tut, ist es schwierig, verborgen zu bleiben: er kann nicht darauf bauen, dass er verborgen bleiben werde.
Epikur
Die eine Hälfte der Welt lacht über die andere, und Narren sind alle.
Gracián
Das Schlimme anderen aufzubürden verstehen. Ein Schild gegen das Mißwollen zu haben ist eine große List der Regierenden.
Baltasar Gracián
1601 - 1658. Spanischer Jesuit, durch sein 'Handorakel' weltberühmt in der Nachfolge des Cortegiano.
„Die Ehe ist der Anfang und der Gipfel aller Kultur.“
Johann Wolfgang von Goethe
„Was du für den Gipfel hältst, ist nur eine Stufe.“
Lucius Annaeus Seneca (ca. 4 v. Chr. - 65 n. Chr.)
...und ab dann geht's bergab.
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