Dienstag, 17. Juni 2025

Montag, 16. Juni 2025

taz und Nacht


 Quelle: Raimund Vollmer

Zum Tage: Glück (I)

 „Glück besteht aus einem soliden Bankkonto, einer Guten Köchin und einer tadellosen Verdauung.“

Jean-Jacques Rousseau (1712-1778), Genfer Philosoph

Sonntag, 15. Juni 2025

BÜRGER-GEGEN-RECHTS-BEWEGUNG


 

Zum Tage: Aufregende Langeweile

 „Unsere Zeit ist so aufregend, dass man die Menschen eigentlich nur noch mit Langeweile schockieren kann.“

Samuel Beckett (1906-1989),  irischer Schriftsteller und Literaturnobelpreisträger von 1969

 

Samstag, 14. Juni 2025

Heute vor 25 Jahren eröffnet: Sony-Center






 Bild: R.V.

Zum Tage: Stresemanns Europa

 „Europa ist nicht ein Gebilde, das für sich leben könnte. Europa ist nur möglich innerhalb der Welt und innerhalb der Weltwirtschaft.“

Gustav Stresemann (1878-1929), deutscher Außenminister

Freitag, 13. Juni 2025

Zum Tage: Zauberspruch

 „Man muss bezaubern, wenn man etwas Wesentliches bekommen will.“

Franz Kafka (1883-1924), österreichisch-tschechischer Schriftsteller

Mittwoch, 11. Juni 2025

Zum Tage: Angriff auf uns alle

 1986: „Man kann den Mord an unschuldigen Zivilisten auf keinen Fall rechtfertigen zur Durchsetzung politischer Ziele. Wenn man von dieser Basis ausgeht, werden alle zivilisierten Nationen – die Nato-Staaten, Japan und so weiter – begreifen müssen, dass der Terrorismus nicht den Angriff auf einen einzelnen, sondern auf alle bedeutet.“

 

Richard Nixon (1913-1994), ehemaliger Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika


Sonntag, 8. Juni 2025

Zum Tage: Könnte Putin der erste sein? ... Wohl kaum.

1996: "Noch nie wurde 
ein Herrscher vom Volk abgewählt."

Christiane Hoffmann (*1967). deutsche Journalistin in der FAZ 

 

Stimmt aucb heute noch...  Trotz Dmitri Anatoljewitsch Medwedew. 

Zum Tage: Die Würde

 „Heiliger noch als das Leben muss uns die Würde des Menschen sein.“

Ernst Jünger (1895-1998), deutscher Autor

Freitag, 6. Juni 2025

Zum Tage: Vollkommen

 „Ein Mensch ohne Fehler ist kein vollkommener Mensch“

Alfred Polgar (1875-1955), österreichischer Kritiker

 

Donnerstag, 5. Juni 2025

Nachschlagzeile: Internet 1997

 "Telefonieren über das Internet ist billig, 
aber nicht besonders gut"

FAZ, 17. Dezember 1997 

Mittwoch, 4. Juni 2025

Zum Tage: Putins Kloschüssel

2002: "Von einem Tag auf den anderen droht unsere Welt, Stück für Stück oder als Ganzes, in einer von Putins Kloschüsseln zu verschwinden."

André Glucksmann (1937-2015), französischer Philosoph 

Dienstag, 3. Juni 2025

Zum Tage: Der Mensch

Was ist der Mensch?
Ein Abfallprodukt der Liebe. 

Stanislaw Jerzy Lec (1909-1966), polnischer Aphoristiker 

Sonntag, 1. Juni 2025

Zum Tage: Wort der Heilung

 Manche Leiden werden nur durch die Wirkung des Wortes geheilt.

Robert Pinget (1919-1997), Schweizer Autor

Samstag, 31. Mai 2025

Zum Tage: Leerer Klang

 

1989: „Es gibt keine Vergangenheit, weil man sie beliebig für den momentanen Gebrauch auswechseln kann. Es gibt keine Zukunft, weil eine Zukunft ohne Geschichte nicht existiert. Es gibt nur eine Gegenwart, doch auch sie ist ein wenig aus den Fingern gesogen, denn ohne Gestern und Morgen wird der heutige Tag zum leeren Klang.“

Andrzej Szczypiorski (19242000), polnischer Schriftsteller

Freitag, 30. Mai 2025

Zum Tage: Am 30. Mai ist der Weltuntergang

 1992: „Ich glaube, dass wir unwiderruflich verloren sind.“

Loriot (1923-2011), deutscher Humorist, in der Wochenzeitung „Die Zeit“

Donnerstag, 29. Mai 2025

Zum Tage: Der liebe Gott

 „Der liebe Gott selbst bedeutet wenig, aber die Idee, dass etwas Großes exitiert, ist ein Leitgedanke der Menschheit. Und dieser Gedanke wäre nicht möglich, wenn nicht irgendetwas Großes im Menschen selbst wohnte.“

Victor Weisskopf  (1908-2002), österreichisch-amerikanischer Physiker jüdischer Abstammung in seinem Buch „Mein Leben“

Mittwoch, 28. Mai 2025

Zum Tage: Fichte

 1799: „Du bist wandelbar, nicht ich, und ich werde stets unversehrt über den Trümmern deiner Gestalten schweben.“

 Johann Gottlieb Fichte (1762-1814), deutscher Philosoph, im Angesicht des Weltalls

Dienstag, 27. Mai 2025

Zum Tage: Goethe über Rezensenten

 „Bücher werden jetzt nicht geschrieben, um gelesen zu werden, um sich daraus zu unterrichten und belehren, sondern um rezensiert zu werden, damit man wieder darüber reden und meinen kann, so ins Unendliche fort. Seitdem man die Bücher rezensiert, liest sie kein Mensch außer den Rezensenten, und der auch so so. Es hat aber auch jetzt selten jemand etwas Neues, Eigenes, Selbstgedachtes und Unterrichtendes, mit Liebe und Fleiß Ausgearbeitetes zu sagen und mitzuteilen, und so ist eins des anderen wert.“

Johann Wolfgang von Goethe am 7. November 1805

Montag, 26. Mai 2025

Zum Tage: Schlüsselsatz der modernen Ästhetik

1859: „Die Phantasie zerlegt die ganze Schöpfung; nach Gesetzen die im tiefsten Seeleninnern entspringen, sammelt und gliedert die Teile und erzeugt daraus eine neue Welt.“

Charles Baudelaire (1821-1867), französischer Dichter

Sonntag, 25. Mai 2025

Zum Tage: Ein Gedicht

Nationalität

Volkstum und Sprache sind das Jugendland,
Darin die Völker wachsen und gedeihen,
Das Mutterhaus, nach dem sie sehnend schreien,
Wenn sie verschlagen sind auf fremden Strand.

Doch manchmal werden sie zum Gängelband,
Sogar zur Kette um den Hals der Freien;
Dann treiben längst erwachsene Spielereien,
Genarrt von der Tyrannen schlauen Hand.

Hier trenne sich der lang vereinte Strom!
Versiegend schwinde der im alten Staube,
Der andre breche sich ein neues Bette!

Denn einen Pontifex nur fasst der Dom:
Das ist die Freiheit, der polit’sche Glaube,
Der löst und bindet jede Seelenkette.

Gottfried Keller (1819-1890), Schweizer Schriftsteller

Samstag, 24. Mai 2025

DER SUGGESTIV-JOURNALISMUS (Teil 3) Von Raimund Vollmer


„Eine der niedrigsten Tendenzen des Menschen ist:
irgendwo dazu gehören zu wollen.“

Heimito von Doderer (1896-1966), österreichischer Autor

Vor dem Springer-Hochhaus in Berlin Bild: R.V.

Die Moralmaschine
der Medien

ACHTUNG: DIESER TEXT
IST SUGGESTIV!!!

 

Was ich hier und jetzt schreibe, was ich hier und jetzt sage, was ich hier und jetzt veröffentliche, ist meine Meinung und nichts als meine Meinung. Hier und jetzt.

So wahr mir Gott helfe.

Glauben Sie mir!

Es geht uns, den Journalisten, in unserem Aktivismus für die Demokratie nicht mehr um die Gesellschaft, sondern um etwas viel, viel Wichtigeres. Es geht uns um die Zivilgesellschaft. Das ist etwas ganz anderes als nur Gesellschaft. Diese ist amorph, unreflektiert, chaotisch. Die andere, die Zivilgesellschaft, ist gesittet, sie ist gesteuert, sie ist Ordnung.

Die eine Gesellschaft galt als offen, will aber heute ausgrenzen. Sie wirkt despotisch. Die andere galt als zersplittert, will aber heute alles integrieren. Sie wirkt demokratisch. Die eine Gesellschaft ist rechts, sie ist ungeklärt. Die andere ist links, sie ist aufgeklärt.

Die Zivilgesellschaft ist die Zukunft. Sie ist vernünftig. Sie ist wirklich. Seit 250 Jahren. Die andere gab es schon immer, als höhere, nun ist sie die niedere.

In der Tradition der Zivilgesellschaft stehen wir, die Journalisten. Wir sind wirklich. Wir sind vernünftig.

Über diese Zivilgesellschaft zu wachen und sie notfalls vor dem Mob, also der niederen Gesellschaft, zu schützen, ist höchste Verpflichtung aller moralisch hochstehenden Journalisten, wie sie dem DJV angehören, dem Deutschen Journalisten-Verband.

Das ist mein .unbedingtes Suggestiv. Das ist der vornehme Anspruch, dem wir, die Mitglieder, zu huldigen haben.

Wir sind Journalismus. Tag und Nacht. 

Berliner Zeitung - Am 21. MaI 1945 gegründet, als erste Tageszeitung nach dem Krieg. Bild: R.V.

***

Wir sind als Mitglied im DJV selbst Teil dieser Zivilgesellschaft, dieser Ordnung – und können deshalb auch guten Gewissens staatliche Unterstützung erwarten und verlangen. Das tun wir auch. Verhalten, vorsichtig, argumentativ. Vielleicht aber sind wir auch schon längst Teil einer dritten Gruppe, einer Gesellschaft, die sich über alles und jeden erhebt, einer allerhöheren Gesellschaft. Vielleicht sind wir sogar diejenigen, die diese neue Gesellschaft gründen – eine Gesellschaft mit maximalen moralischen Ansprüchen – so hoch, dass wir alles Recht haben über alles und jeden zu richten. Denn wir stehen für Demokratie.

Wir sind keine Widerständler zwischen dem einen und dem anderen, wir sind keine Mitmacher bei dem einen oder anderen. Wir sind keine Mutmacher für das eine oder andere.

Wir sind wir oder gar nicht.

Wir sind über allem. Wir sind die Verteidiger der Demokratie. Wie eine Monstranz tragen wir sie vor uns her, schauen weder links noch rechts, nur stur geradeaus. Wir gehen an der Spitze. Wir sind Spitze. Der große Liberale Lord Ralf Dahrendorf (1929-2009) hatte sich ein Jahr vor seinem Tod  in der Tageszeitung „Die Welt“ so etwas wie uns gewünscht: „Fast möchte man eine Bewegung zur Verteidigung der Politik schaffen.“[1] Sie wurde geschaffen. Wir sind es.

Überparteilich. Unabhängig. Das ist seit jeher unser Markenzeichen. Unsere guten Zeitungen nennen sich so. Seit 1971 sogar die „Bild-Zeitung“, das einstige Groschenblatt, das es nur am Kiosk gab – mit einer aktuellen Reichweite von fast sieben Millionen Menschen. 700.000 Menschen nutzen dabei das digitale Bezahlangebot.

„Bild“ ist unser Vorbild. Nein „Bild“ war unser Vorbild. Ehedem – ob wir wollten oder nicht. Auf dem Ladentisch beim Bäcker oder Metzger lag „Bild“ immer oben auf. Und wer am Kiosk sagte „die Zeitung“, der bekam „Bild“.


Bis heute, seit 1952, fällt „Bild“ jeden Alltag erbarmungslos sein Urteil über das, was in der Welt geschieht. Längst sogar sonntags. Niemand entkommt dem Boulevard. „Bild greift hinein ins volle Menschenleben, packt alles Interessante, beharrt auf seinem Standpunkt, fügt einen Spritzer Pikantes dazu und macht immer für einen Tag satt“, lobte 1967 der deutsche Schriftsteller Hans Reimann (1889-1969) das Blatt, gegen das kein anderes bestand.

Das war zu einem Zeitpunkt, als „Bild“ in der Bundesrepublik als die Marke mit dem höchsten Bekanntheitsgrad identifiziert wurde. Die Auflage betrug fast fünf Millionen und erreichte damit elf Millionen Leser. Auch wenn heute diese großlettrige Publikation mit etwa einer Million gedruckten Exemplaren im Vergleich zu der Zeit vor sechzig Jahren nur noch ein Schatten ihrer selbst ist, so ist „Bild“ immer noch die auflagenstärkste Zeitung in Deutschland. Trotz des Schwundes, der Transformation ins botenlos Digitale.  

Dieses Boulevard-Blatt ist ein Relikt. Es gehört einer vergangenen Zeit an, als die Welt noch zweigeteilt wahrgenommen wurde – geopolitisch in Ost und West, parteipolitisch in Schwarz und Rot, wirtschaftspolitisch in Kapital und Arbeit, konfessionell in katholisch und evangelisch, gesellschaftspolitisch in Spießer und Gammler, ideologisch in Strauß und Dutschke. „Bild“ agierte an den Grenzen unserer Gedanken und Emotionen. Aktivistisch.

1972: Springer-Verlag Bild: Eliot

So war es eigentlich auch nicht verwunderlich, dass der Gründer Axel Springer sein Verlagshaus unmittelbar an der Berliner Mauer errichten ließ. An der Grenze zwischen Gut & Böse. Demonstrativ.

Man muss es zugeben: Es gab kein demokratischeres Blatt als die „Bild-Zeitung“. Sie stellte sich jeden Tag der freien Wahl. Am Kiosk. Über Wohl & Wehe des Blattes entschied jeden Tag der Leser am Ladentisch. „Bild“ folgte der Meinung der Massen, „Bild“ prägte zugleich die Meinung der Massen. „Bild“ war ein ebenso artifizielles Konstrukt wie die Gesellschaft, für die ihre Journalisten und Journalistinnen titelten.

Die bundesdeutsche Wirklichkeit war bis ins kleinste Dorf durchdrungen von dem Glauben an das Wirtschaftswunder, an die Vorherrschaft der Industrie, vor allem von dem unerschütterlichen Glauben an die Automobilindustrie. „Bild“ war wie dafür geschaffen. Ja, das Blatt war ein Produkt dieser Zeit. „Bild“ prägte das Bild der Nachkriegs-Gesellschaft, in der es auf dem Print-Sektor im Kampf um die Meinungshoheit nur einen echten Konkurrenten gab: „Der Spiegel“.

„Bild“ war Gefühl. „Spiegel“ war Gehirn. 

„Entwickelte Industriegesellschaften sind historisch gänzlich beispiellose, künstliche Gebilde“, schrieb 1991 der deutsche Soziologe Burkart Lutz (1925-2013) in der Wochenzeitung „Die Zeit“.[2] Und „Bild“ war das Medium dieses „Gebildes“, das mit dem Übergang ins 21. Jahrhundert ein Publikum sucht, das als (anonyme) Masse mehr und mehr verschwindet – und als identifizierbare  Digitalmasse sich sehr launisch zeigt. Dem „Spiegel“ geht es kaum anders.

Die alten Märkte sind flüchtig. Was schwindet, ist das Gemeinschaftsgefühl.

***

Vergeblich versuchten wir, die Journalisten, die edlen, tugendhaften und braven Verteidiger der Demokratie, in all den Jahrzehnten auf Distanz zu gehen zu „Bild“ und seinem Verlag, dem Springer-Konzern. Insgeheim hofften wir, vor allem „Bild“ endlich und für alle Zeit in den Senkel stellen zu können. Selbst Günter Wallraff scheiterte.

Unser neuester Ansatzpunkt: die Demokratie. Sie ist das höchste Heiligtum der Zivilgesellschaft. Und Springer lästert darüber.

In seinen Medien wurde neuerdings die staatliche Demokratieförderung angegriffen, „in einer Zeit (…), in der ganze Regionen im Osten der rechtsextremen AfD verfallen“, schrieb im April-Heft der vom DJV herausgegebenen Mitgliederzeitschrift „journalistin“ der Journalist Michael Kraske (*1972).[3] Und weil ihm Springer nicht genügt, rechnet er auch gleich ab mit der CDU/CSU. Ebenso investigativ wie suggestiv.

Es ist ein Angriff auf unser edelstes Geschäftsmodell: die Zivilgesellschaft. Ebenso alt wie die Industriegesellschaft, ebenso künstlich, aber hochmoralisch und bis ins „Wording“ hinein progressiv. Und nicht aggressiv – wie „Bild“.

Ohne Zweifel. Mit der Industriegesellschaft, die durch und durch kommerziell denkt, hat die altruistisch gepolte Zivilgesellschaft wenig gemein. Sie ist die Zukunft. Und die muss geschützt werden. Unbedingt!

Während der neue, beim Bundeskanzler Friedrich Merz angesiedelte Kulturstaatsminister Wolfram Weimer der Meinung ist, dass sich der Staat bei der Förderung publizistischer Projekte Enthaltsamkeit auferlegen sollte, ist der DJV entschieden anderer Meinung. „Deutschlands Journalistengewerkschaft“ – so meldete der Verband am 23. Mai 2025 – möchte die finanzielle „Förderung des kritischen und unabhängigen Journalismus“ vorantreiben. Es wären dann klassische, zivilgesellschaftliche Projekte, die dabei herauskämen. Denn es geht um die „Herausforderung der Demokratie durch Extremisten“.

Der Bundesvorsitzende des DJV, Mika Beuster, widerspricht deshalb dem Minister und setzt noch eins drauf: „Hier allein auf marktwirtschaftliche Modelle zu vertrauen, ist der falsche Weg, denn das klassische Geschäftsmodell der Verleger ist durch die marktbeherrschende Stellung der Big Tech-Monopole derzeit massiv unter Druck.“[4]

Die Zivilgesellschaft ist die Rettung.

***

 

Denn seit 1972, als die Wahlbeteiligung bei 91 Prozent lag, befindet sich die Industriegesellschaft in Auflösung. Nun geben wir ihr den Rest. Ihre Werte wanken. Ehe & Familie. Kirche & Religion. Demokratie & Parteien. Links & Rechts. Mann & Frau. Fake & News. Böse ist gut, und gut ist böse.

Und. Und. Und. Alles durcheinander. Nichts lässt sich mehr eindeutig bestimmen.

Kurzum: Es ist an der Zeit, dass wir, Journalistin und Journalist, neu entscheiden. Wir sagen, was Sache ist. Gebt uns dafür Geld. Spenden willkommen. Wir nehmen auch Staatsknete.

Wir, die guten Journalisten gehören zu jener „unheimlichen Maschinerie der Urteilsbildung“, wie dereinst die deutsche Dichterin Hilde Domin (1909-2006) über die schreibende Zunft befand. Wir sind eine Moralmaschine.[5] Da geht es „rattatattata“. Die Urteile werden im Sekundentakt gefällt. Im „Bild“-Stil. In Drei-Wort-Sätzen. Fakten. Fakten. Fakten. Takten. Takten. Takten. Stakkato.

Wir setzen die Maßstäbe. Und weil wir das klipp und klar tun, sind wir selbst über alle Zweifel erhaben.

Flash-Film: Epiktet

Nicht die Dinge verwirren die Menschen, sondern die Meinungen über die Dinge.“

Epiktet (50-138), antiker Philosoph

Per Faktencheck, der überall automatisch zupackt, wo irgendetwas nicht in Ordnung ist. Wir bringen die Dinge wieder in Ordnung. Vor allem unsere Demokratie. Tag für Tag. Zeile für Zeile. Bild für Bild. X für X. Fakt für Fakt.

Ständige Vertretung in Berlin: Freier Platz der Meinungen Bild: R.V.

 



Für Betulichkeit haben wir keine Zeit mehr. Die Demokratie ist in Gefahr. Weltweit. Sogar in den USA, wie uns im ZDF der Fernsehjournalist Klaus Kleber jüngst aus dem Silicon Valley über den „Staatsstreich der Tech-Milliardäre“ berichtet.

Das ist schlimm, sehr schlimm.

Das ist aber auch gut, sehr gut. Wir können in solchen Sendungen, öffentlich-rechtlich finanziert, zeigen, was uns droht. Denn die Tech-Milliardäre kennen keine Grenzen. Deswegen ist es am besten, wenn wir alle öffentlich-rechtlich werden. Dann ist das Finanzierungsproblem gelöst. Davon träumen wir. Insgeheim.

***

Wir sind die Feuerwehr. Wir sind die Guten.

Dass das so ist, ist allerdings kein Factum, sondern – wie gesagt – Meinung, einfach nur meine Meinung, meine Wahrnehmung. Ich übertreibe maßlos. Das tue ich schon deswegen, weil ich mich heute zum letzten Mal mit meiner eigenen Meinung äußern werde. Denn meine Meinung ist endgültig der Moralmaschine unterworfen. Sie berichtet nicht nur, sondern sie richtet auch. Zwischen den Zeilen und in den Zeilen. In Wort und Rat. Schonungslos. Erbarmungslos. Gnadenlos. Über Gut & Böse.  

Im Namen der Anständigen, im Namen der Zivilgesellschaft. Hier befinden wir uns in Übereinstimmung mit uns selbst.

Hier geht es stur weiter im Text. Meinung an sich wird nicht mehr benötigt. Dieses Feld überlassen wir der Social Media, diesem Miststück zwischen alter Industriegesellschaft und Zivilgesellschaft, wo jeder meint, nach Herzenslust und ohne Risiko mitmischen zu können.

Keine Sorge: Wir passen auf. Wir löschen. Wir lassen löschen.

Wir sind die Feuerwehr. Wir sind die Guten.

Feuerwehrleute stehen mit einer Zustimmung von 94 Prozent im Ansehen an der Spitze der Berufe in Deutschland. Journalisten schaffen da nur 32 Prozent und gehören zu den Schlusslichtern.

Ungerecht.

***

1970: „Alle Versuche, die Moral anstatt in Hinblick auf ein Jenseits auf irdische Klugheit zu begründen…beruhen auf harmonistischen Illusionen. Es gibt keine logisch bezwingende Begründung, warum ich nicht hassen soll, wenn ich mir dadurch im Leben keinen Nachteil zuziehe.“

Max Horkheimer (1895-1973), deutscher Soziologe und Philosoph, Gründer der Frankfurter Schule[6]

Die Zivilgesellschaft ist unser ganz großes Ding. Sie ist das Ziel der ganz großen Transformation. Sie ist überhaupt ganz, ganz groß und ganz, ganz wichtig. Sie schützt uns, weil wir sie schützen. Sie nützt uns, weil wir sie nützen. Journalismus und Zivilgesellschaft – das ist ein perfektes Paar. Harmonie pur. Da gibt es keine zwei Meinungen. Das ist so. Ganz bestimmt.

Denkste!

***

„Mir ist zwar das gute deutsche Wort Bürgergesellschaft lieber, aber die ‚civil society‘ ist jedenfalls notwendige Bedingung einer freien Gesellschaft“, schrieb 2008 Ralf Lord Dahrendorf (1929-2009), dieser große, deutsche Soziologe britischen Adels. „Das heißt, dass es auf die Initiative der Bürger im nicht staatlichen Bereich ankommt, wenn man eine Gesellschaft will, die die Atemluft der Freiheit stärkt.“

Der große Lord ist sehr naiv. Denn die Freiheit ringt längst um ihren Atem.

Diese Bürgergesellschaft ist zudem nicht das, was wir unter Zivilgesellschaft zu verstehen haben. Achwas, eigentlich möchten wir uns gar nicht damit aufhalten zu erklären, was Zivilgesellschaft bedeutet. Am liebsten möchten wir diesen Begriff in der Schwebe halten. Als Luftschloss.

Der Kollege Kraske (wenn ich mir denn anmaßen darf, ihn so zu nennen) definiert sein Verständnis von Zivilgesellschaft jedenfalls eher indirekt – er meint nur den politischen Bereich, dort, wo NGOs „zwar parteipolitisch, aber keineswegs politisch neutral agieren“. Schreibt er. Weiß er. Meint er.

Damit es eindeutig ist, sei es wiederholt: Keine Parteipolitik! Aber deswegen politisch keineswegs neutral. NGOs sind engagiert bei der Sache, ein Lieblingswort. So sei es die vornehmste Aufgabe dieser NGOs „sich gesellschaftspolitisch zu engagieren“, sagt Kraske. Kurzum: Edel sei der Mensch! So edel, dass jeder ein Schuft ist, wer Grünes, Rotes oder Gelbes dabei denkt. Schwarz bleibt vorerst außen vor. Blau ist ohnehin verpönt.

Kurzum: Die NGOs, diese Non-Governmental Organizations,  vertreten das Gute in der Welt. Sie sind die Säulen der Zivilgesellschaft. Auf diese Säulen bauen wir. Unser Geschäftsmodell. Was aber verstehen wir denn tatsächlich unter dem Begriff der Zivilgesellschaft?

***

Zehn Jahre nach Dahrendorfs Definition knöpfte sich der Göttinger Politikwissenschaftler Franz Walter (*1956) in der F.A.Z. den Begriff vor und bestimmte, was wir darunter zu verstehen meinen: „Zivilgesellschaft – das war (und ist vielleicht noch) ein Lieblings-Topos der um die ‚politische Kultur‘  besorgten linksliberalen Bürger. Sie leuchtet ihnen wie eine Friedensfackel, denn sie signalisiert Gewaltlosigkeit, Toleranz, Mündigkeit, Altruismus, Solidarismus; und ihre Voraussetzungen nehmen mit besserer Bildung der Bürger durch den damit einhergehenden Zuwachs an Kompetenz, Urteils- und Kritikfähigkeit in der Wissensgesellschaft ständig zu.“[7]

Michael Kraskes Meinung von der Zivilgesellschaft scheint, ohne dass er es sagt, genau dieser Vorstellung zu entsprechen. Er definiert den Begriff mehr in der Distanz zu einem bösen Oppositionssystem, das den „gesellschaftlichen Pluralismus“ untergräbt und den „demokratiefeindlichen Tendenzen“ zuneigt. Für dieses Oppositionssystem steht einerseits die AfD, andererseits „Springer und CDU/CSU Seite an Seite“.  Sie sind offensichtlich nicht Teil seiner Vorstellung von Zivilgesellschaft. Nein, sie gehören eher in die Vorstellung von einer Industriegesellschaft, der sie ohnehin entstammen.

Die Zivilgesellschaft, die er insbesondere meint, ist jene, „die unverzichtbare Demokratiearbeit leistet“, wie es im Vorspann des Kraske-Textes heißt. Bald war mir klar: Diese Zivilgesellschaft ist das ganz Große Ding. Gerade für uns Journalisten. Auf was lassen wir uns da ein?

***

Der Politologe Franz Walter schreibt: „Nun umfasst die Zivilgesellschaft zunächst allein Initiativen und Selbstorganisationen von Bürgern, gewissermaßen die gesellschaftliche Fläche, die sich zwischen die Individuen und die staatlichen Institutionen legt.“ Okay. Zwischen Staat und Bürger. Da ist der Platz der Zivilgesellschaft. Aber dann kommt’s: Vor diesem Hintergrund sei auch die Pegida „unzweifelhaft ein zivilgesellschaftlicher Zusammenschluss“, formuliert zu meinem grenzenlosen Erstaunen der frühere Direktor des Göttinger Instituts für Demokratieforschung. Ein Affront.

Für Menschen wie Kraske oder auch Dahrendorf wäre dies ein Unding, das sich im Übrigen zum Glück selbst erledigt hat. Am 20. Oktober 2024 fand die letzte Pegida-Demonstration in Dresden statt.

Herrscht seitdem mehr „Atemluft der Freiheit“ (Dahrendorf) in der Zivilgesellschaft? Ersetzt sie tatsächlich die alte Industriegesellschaft, die ohnehin alles andere als zivil war, geprägt vom Kalten Krieg, von Aufrüstung und Klassenkampf? Oder ist es gar so, dass sich diese Zivilgesellschaft eher auf die Ideen einer Bürgergesellschaft besinnt, ganz im Sinne des großen Lords?

Schon 1990 meinte der britische Historiker Timothy Garton Ash (*1955), immerhin Träger des Karls-Preises, in seinem Buch „Ein Jahrhundert wird abgewählt“, dass es im Zuge der Revolutionen von 1989 an der Zeit wäre, die „Zivilgesellschaft“ an die Stelle der alten, noch von militärischem Gedankengut gespeisten Gesellschaft zu setzen. Was man nun sähe,  wäre gleichsam die Rückkehr zu alten Ideen und Begriffen wie Bürger und Bürgerrechte, zu denen wir zurückkehren sollten – gleichsam zu den Errungenschaften der Französischen Revolution. Toll. Der Bürger ist wieder Bürger und nicht bloß Einwohner. Die Freiheit ist wieder Freiheit und nicht Freizeit. Der Frieden wird wieder Frieden und der Krieg nie wieder Krieg. 

Während Ash und Dahrendorf auf konservative Werte vertrauten, war der Politikwissenschaftler Lothar Rühl (*1927) vor 35 Jahren sehr viel skeptischer. Er sah einen radikalen Wandel: „Nicht nur die Identität des bisherigen sozialistischen Europas, sondern auch die Westeuropas steht in Frage, obwohl die westliche Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung ihre Überlegenheit bewiesen hat,“ warnte er im Nachgang des Mauerfalls.[8]  Diese Überlegenheit schienen wir auch noch lange Zeit behaupten zu können – offenbar sehr zum Verdruss eines Wladimir Putin, der sich vor 25 Jahren anschickte, dieses Bild zu ändern. Mit seiner militärischen Sonderoperation wurde unsere Überlegenheit als hohl entlarvt. Die westliche Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung sieht sich gegenüber der Aggression aus Russland sehr relativiert.

Nun schauen wir ziemlich hilflos aus der Wäsche. Dabei droht uns nicht nur von außen Ungemach, auch im Inneren brodelt es.

***

Da steht vor allem der „Tabubruch, der die politische Kultur dieses Landes verändert hat“, eröffnet Kraske seine Story, die übrigens unter der Überschrift steht „Alte Feindbilder – neue, autokratische Freunde“. Er meint mit dem Tabubruch natürlich die Abstimmung Ende Januar 2025 über die Migrationspolitik im Deutschen Bundestag, bei der die CDU für ihren Antrag die Zustimmung der AfD bekam. Das erschütterte die Zivilgesellschaft, also zumindest den Teil, der „unverzichtbare Demokratiearbeit“ leistet. Gerade diese Zivilgesellschaft werde dämonisiert – durch Springers „Bild und Welt“.

Schon stehen sich zwei Lager gegenüber: Auf der einen Seite gehen „Hunderttausende gegen eine Zusammenarbeit mit der AfD auf die Straße“, schreibt Kraske“. Auf der anderen Seite starten die „Springer-Medien Bild und Welt“ mit einer „Kampagne gegen zivilgesellschaftliche Organisationen, die den Protest mittragen.“ Das sind dann vornehmlich NGOs wie zum Beispiel die „Omas gegen Rechts“. Dabei geht es um Geld, das die NGOs vom Staat bekommen, um Demokratieprojekte zu ermöglichen. Da herrscht Einklang zwischen dem Staat und diesen Organisationen. Aber die Springer-Medien meinen, dass die staatlichen Mittel als „Demo-Geld“ missbraucht werden. Und schon wächst daraus eine Verschwörungstheorie, gegen die sich wunderbar empören lässt.

Damit positionieren sich Journalisten gegen Journalisten.

So stehen den im „Netzwerk Recherche“ organisierten 1300 „Journalist*innen unterschiedlicher Überzeugungen“ (Kraske) die etwa „2400 Journalistinnen und Journalisten“ (Die Welt) im Springer-Konzern gegenüber:[9]

-         Die einen gehören zu einer Aktiengesellschaft,

-         die anderen zu einer Zivilgesellschaft.

Eine durchaus spannende Konstellation, die sehr zum Nachdenken anregen könnte: Zwischen Gemeinnützigkeit auf der einen Seite und Eigennützigkeit auf der anderen.

Wenn Kraske der Springer-Presse vorwirft, dass es ihr um Aufmerksamkeit „um fast jeden Preis“ geht, dann greift er unmittelbar deren Geschäftsmodell an:

- Der Egoist Springer lebt von den frei herumvagabundierenden Lesern und Werbekunden.

- Die altruistische Zivilgesellschaft lebt von Spenden und Mitgliederbeiträgen. Vor allem aber möchten sie durch staatliche Gelder finanziert werden.

Kurzum: die Presse, die weiß, wo ihre Sympathien liegen, möchte gerne von allen Seiten unterstützt werden.

(Übrigens ist die Konstellation irgendwie auch kurios: Da sind auf der einen Seite die gesellschaftspolitisch engagierten „Omas gegen rechts“, die sich primär durch Mitgliedsbeiträge finanzieren, nicht einmal ein Verein sind, aber auch für ihre Projekte Staatsgelder beantragen, und auf der anderen Seite ist die „überalterte Leserschaft“ der Springer-Zeitungen, wie in dem Kraske-Text der „Medienwissenschaftler Volker Lilienthal“ zitiert wird. Das sind vornehmlich Rentner, die ihren täglichen Obolus am Kiosk entrichten.)

Der Leser, soweit er nicht aktivistisch organisiert ist, der Privatmensch also, spielt im Denken von Michael Kraske keine Rolle. Warum auch? Man sieht sich ja fast schon in einem hoheitlichen Auftrag unterwegs. Das ist offenbar auch der Ansatz des DJV, meines Verbandes, meiner Gewerkschaft,

Da bleibt allerdings eine Frage offen: Woher nimmt die Zivilgesellschaft eigentlich als Zwischenreich ihre Legitimation? Aus demokratischen Wahlen wohl kaum. Woraus dann? 

***

An der Antwort bastele ich gerade. Natürlich ohne eigene Meinung. Rein journalistisch.

TEIL II: Demokratie als Pandemie-Ersatz

TEIL I: Wir stehen darüber